Die Regierung – „Da“

Künstler Die Regierung

Die Regierung Da Review Kritik
Jakobus Siebels (Ja König Ja) hat das Cover für „Da“ gestaltet.
Album Da
Label Staatsakt
Erscheinungsjahr 2021
Bewertung

Ich bin der Stimme von Tilman Rossmy erstmals im Jahr 1996 begegnet. Dem Rolling Stone war damals eine CD beigelegt, und darauf sang er Bodycount-T-Shirt, ein umwerfendes Lied über spektakulär starke Frauen, die manchmal auch schüchterne Jungs ranlassen, und natürlich hat mir das gefallen. Mehr noch als die Selbstironie im Text oder die herrlich warme Orgel im Hintergrund war es allerdings der Gesang, der mich beeindruckt hat. Lässig, aber anscheinend mit einer großen Erfahrung von Schmerz im Hintergrund. Weise, aber trotzdem nahbar.

Seitdem kann ich nicht anders: Wenn ich diese Stimme höre, geht mir das Herz auf. Egal, ob er solo agiert, mit dem Tilman Rossmy Quartett oder eben, wie jetzt wieder, mit Die Regierung. Er selbst übt sich in Understatement, sowohl was die Fortschritte seiner seit 1982 bestehenden Band angeht, als auch hinsichtlich der Wirkung seines Gesangs. „Ich spiel eher noch schlechter Gitarre als früher and I still couldn’t sing to save my life, ich halte also die Fahne des Nicht-Könnens weiter hoch…bis ich den besseren Regierungs-Sänger finde!“, sagt er angesichts des Erscheinens von Da, dem insgesamt siebten Album der Band und dem dritten innerhalb von vier Jahren.

Dass es eine Weiterentwicklung gegeben hat, streitet der Frontmann indes nicht ab, er verweist sowohl auf Akkorde und Fertigkeiten, die Robert Lipinski, Ralf Schlüter, Ivica Vukelic und Alexander Fürst von Lieven in den Anfangstagen von Die Regierung wohl noch völlig unbekannt waren, als auch auf feinere Arrangements („Sie sind mir eine Freude und vereinfachen das Nicht-Singen deutlich….“), die man auf Da finden kann. Diese Selbsteinschätzung bestätigen die zehn Songs schnell. Die Platte ist vielfältig und zugleich in sich geschlossen.

Alles Lüge, alles gut ist psychedelisch (was wohl für die Fragwürdigkeit im ersten Teil des Songtitels steht) und entspannt (die Gelassenheit im zweiten Teil). Mit Dir und ohne Dich klingt wie eine Slacker-Version der Liga der gewöhnlichen Gentlemen. Das spacig-gebremste Weil morgen niemals kommt baut unter anderem sphärische Synthies und einen Dub-Bass ein und sorgt somit dafür, dass darin nicht nur die Zeit in Schleifen verläuft.

Letzteres ist sowohl typisch für die Ästhetik von Da als auch für die Themen der Platte. Tilman Rossmy nennt es ein „astreines psychedelisches Album“, Jakobus Siebels (Ja König Ja), der das Cover gemalt hat, drückt es so aus: „Toll herum geballert mit den Effekten, ohne angestrengt zu wirken.“ Das kann man beispielsweise in der Single Tiefe tiefe Liebe erkennen. Sie verweist auf New Wave, nicht nur wegen des The-Clash-Zitats in der Gitarre, und hat von allen Songs auf Da am meisten Kraft und Unmittelbarkeit. Wer bin ich ist so existenziell (und sogar metaphysisch) wie dieser Titel klingt, wieder wählt Die Regierung als passende Form dafür Dub. Jetzt was? setzt auf Garagen-Rumpeln rund um eine Frage, die man sich jenseits der 60 schon einmal stellen kann: „War das schon alles, oder kommt da noch was?“

„Diese Platte fing ihr Leben eigentlich an als Live-im-Proberaum-Geschichte und wurde dann coronabedingt zu einer Homerecording-Frickelei, was der ganzen Sache erstaunlicherweise sehr gut getan hat. Haben wir also vom Virus profitiert“, berichtet Rossmy über die Entstehung. Zu den Liedern, die recht ursprünglich geblieben sind, gehört Lass die Gans raus. Da steht dem Sänger das von einem besonders prominenten Klavier unterstrichene Über-den-Dingen-Stehen besonders gut, als würde Jan Delay einen Song von Nick Cave singen. Auch das herrlich erwachsene Liebeslied Der Pfad kann man zu dieser Kategorie zählen. „Ich bin einfach nur so dankbar für die Schönheit und die Liebe, die ich fand / bei dir.“

Herausheben kann man zudem den Start und Schluss der Platte: Der Witz ist eröffnet Da keineswegs als Klamauk, sondern gleich mit der Suche nach dem Selbs. Das Spektrum der textlichen Bezüge reicht von Platons Höhlengleichnis bis hin zu Freuds Strukturmodell der Psyche. „Es steht in den Büchern, und das nützt mir nichts“, lautet eine der Erkenntnisse, begleitet von einem beschwingten Sound, der an Die Sterne denken lässt, und dann von einem zuerst seltsam gebremsten und schließlich extrem freigeistigen Gitarrensolo. Den Abschluss macht Geliebte Stille, der vielleicht schönste Song auf dieser Platte: Er hat eine tolle Dramaturgie und eine tolle Atmosphäre, ist eingängig und einnehmend, ohne dafür den wunderbar eigenen Charakter dieser Band preiszugeben.

In die tiefe Leere scheint das Lyric-Video zu Tiefe tiefe Liebe eintauchen zu wollen.

Die Regierung bei Facebook.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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