Man kennt das: Es ist Wochenende, man will ausgehen, Party machen. Man will Flirt, Drinks, Abenteuer. Man will tanzen. Aber man ist früh dran, es ist noch nichts los. Die Musik spielt, die Diskokugel glitzert, aber niemand will der Erste sein, der auf die Tanzfläche geht. Genau diese Phase schaue ich mir bei „Die Stunde Null“ an. Im Selbstversuch beobachte ich, wie Klassiker des Nachtlebens in Leipzig in Schwung kommen. Was passiert da? Wer kommt, wer geht, wer bleibt? Und vor allem: Wer tanzt? Heute Teil 3 der Serie: Die Elster tanzt im Elsterartig.
Die Fakten:
Ort: | Elsterartig | |
Event: | Die Elster tanzt (wöchentlich, umfasst immer Freitag und Samstag) | |
Wer legt auf: | Tracy Jacks (Design For Life) & Leamington Spa (Rialto Lounge) | |
Eintritt: | kostenlos | |
Offizieller Einlass: | 23:00 Uhr | |
Tatsächlicher Einlass: | 18:00 Uhr | |
Erstes Lied: | Im Zweifel für den Zweifel – Tocotronic | |
Bestes Lied der ersten Stunde: | Tonight I Have To Leave It – Shout Out Louds | |
Zahl der Gäste zur Stunde Null: | ca. 100 | |
Zahl der Gäste nach einer Stunde: | ca. 250 | |
Anzahl der verkauften Bier in der erste Stunde (Anzahl meiner eigenen Bier): | ca. sehr viele an insgesamt drei Bars, die ich nicht zugleich im Blick haben kann (2) | |
Zeitpunkt des ersten Tanzes: | 23:32 | |
Lied, das den ersten Tanz auslöst: | Dopamine – DIIV | |
Specials für Early Birds: | Es gibt keine. Ab und zu gibt es im Elsterartig aber Promo-Aktionen mit Freigetränken oder Sonderpreisen. |
Das Protokoll:
Mein Versuch, der erste Gast zu sein, scheitert kläglich. Ich bin zwar schon um 22:40 Uhr vor dem Elsterartig, also zwanzig Minuten vor dem offiziellen Start von „Die Elster tanzt“. Doch der Laden ist schon seit 18 Uhr für Barbetrieb geöffnet und bereits sehr ordentlich gefüllt. Die frühe Elster fängt den Wurm, heißt hier offensichtlich das Motto. Immerhin: Die Tanzfläche ist noch leer, die beiden Security-Leute am Eingang bestätigen, dass so richtig großer Party-Andrang normalerweise erst ab 0:30 Uhr herrscht. Es wird also hoffentlich doch noch Gelegenheit geben, das langsame/schüchterne/träge Entfalten einer Tanzveranstaltung zu begleiten, was bei „Die Stunde Null“ ja die Idee ist.
Obwohl schon recht viel los ist – Beweis dafür, wie schnell sich das knapp zwei Jahre alte Elsterartig im Leipziger Nachtleben etabliert hat – und ein paar Gäste auch schon verdächtig nahe an der Tanzfläche stehen, habe ich doch so meine Zweifel, ob das hier noch eine richtige Party werden kann. Die Jungs am Tischkicker, die ich befrage, wollen einfach mit ein paar Bierchen feiern, dass sie sich nach langer Zeit mal wieder sehen. Die Damen auf den Ledersesseln, die ich anquatsche, sind nach eigenem Bekunden auch eher zum Cocktailtrinken als zum Tanzen ins Elsterartig gekommen. Die Frage, ob sie mit Absicht oder aus Versehen schon so früh da sind, erübrigt sich also auch. Bisher ist vor dem Grill im Foyer jedenfalls deutlich mehr los als auf der Tanzfläche. Und die Musik ist vorerst so leise, dass sie kaum das Hintergrundgeplapper übertönen kann, das von den beiden Bars und aus den vielen Sitzecken kommt.
Auch DJ Leamington Spa (vom formidablen Rialto-Lounge-Team), der heute gemeinsam mit Tracy Jacks (vom fast genauso formidablen Design-For-Life-Team) für die Musik zuständig ist, bestätigt mir, dass „Die Elster tanzt“ ein bisschen von den üblichen Clubbing-Regeln abweicht. „Dadurch, dass man hier auch gemütlich sitzen kann und es keinen Eintritt kostet, weiß man nie so genau, was die Leute genau erwarten. Das Publikum ist nicht so spezifisch an einer bestimmten Musik interessiert wie in anderen Clubs“, sagt er. Ist es für einen DJ nicht noch schlimmer, ein Publikum zu beschallen, das vielleicht gar nicht tanzen will, als zwei Stunden lang eine leere Tanzfläche zu bespielen, bis es endlich wirklich losgeht? Auf keinen Fall, meint Leamington Spa: „Der Anfang des Abends macht hier normalerweise mehr Spaß: Auch wenn noch nicht getanzt wird, ist immerhin schon was los. Meistens ist es dann auch etwas einfacher, die Leute zum Tanzen zu bewegen.“
Als Wink mit dem Zaunpfahl, dass man hier nicht nur Sitzen und Trinken kann, wird kurz darauf schon einmal die Nebelmaschine angeworfen, auch die Lautsprecher werden ein bisschen aufgedreht, während es das DJ-Team beispielsweise mit 12:51 von den Strokes oder Ooh La von den Kooks immerhin schon schafft, ein paar Hüften bei den stehenden Gästen in Bewegung zu versetzen. Die Füße bleiben aber noch artig ruhig und halten Sicherheitsabstand zur Tanzfläche.
Nach einer knappen halben Stunde wird die Treppe geöffnet, die zum zweiten Floor im Elster-Club führt. Das hat erstmal einen Exodus zur Folge: Rund 40 Leute gehen sofort nach unten, fast entsteht ein kleiner Stau auf der Treppe. Entweder gibt es da etwas sehr, sehr Spektakuläres zu entdecken (eine Party? Freibier? ein geheimer Gang in den Kostümfundus des benachbarten Theaters?) oder dieser Teil des Publikums leidet an einer sehr akuten Indie-Allergie. Natürlich folge ich ihnen sogleich, finde ein Stockwerk tiefer allerdings auch bloß eine Bar, ein paar Sitzbänke und eine leere Tanzfläche vor, die gerade mit I’m So Glad von The Fuzz und später mit anderen Funk- und Discosongs beschallt wird.
Die Unterwelt des Elsterartig ist nicht nur für den DJ etwas undankbar, sondern auch fürs Personal an der Theke, erzählt mir Barkeeper Aljoscha. „Ich stehe lieber oben hinter dem Tresen, weil man da im Team arbeiten kann. Unten ist meistens weniger los, sodass man das auch alleine schafft. Normalerweise ist es hier ein Kommen und Gehen, ab 1 Uhr kommt dann meistens etwas mehr Stimmung auf. Der Schlüssel ist ganz klar: der Alkohol“, meint er.
Der hat offensichtlich mittlerweile auch eine Etage höher seine Wirkung getan. Denn um 23:32 Uhr geschieht tatsächlich das, was bisher noch nie bei „Die Stunde Null“ eingetreten ist: Es tanzt jemand. Eine blonde Dame, die vorher schon ein wenig am Fenster herumgewackelt hat, kann dem Beat von DIIV offensichtlich nicht mehr widerstehen. Sie geht auf die Tanzfläche. Als Erste. Ganz allein. „Wenn die Musik stimmt, dann kostet mich das keine Überwindung. Es muss das richtige Lied sein, der Rest ist egal“, sagt sie, als ich sie kurz danach befrage. Anja kommt nicht aus der Gegend und ist deshalb zum ersten Mal im Elsterartig, gemeinsam mit ihren Freundinnen hatte sie einfach eine Tanzgelegenheit für den gemeinsamen Wochenendausflug nach Leipzig gesucht. Besagte Freundinnen folgen ihr schnell auf die Tanzfläche, dann geht es Schlag auf Schlag: erste Ekstase bei den Kaiser Chiefs, Paartanz bei The Drums, kurz nach Mitternacht ist die Tanzfläche im Elsterartig tatsächlich voll.
Meine Mission ist damit erfüllt. Als ich gegen 0:30 Uhr nach Hause gehe, gibt es eine beträchtliche Schlange an der Garderobe und vorm Club. Anja – die Frau, die das Eis gebrochen hat an diesem Abend – ist da gemeinsam mit ihren Mädels schon wieder weg. „Wir wollen noch einen anderen Club erkunden, wo vielleicht mehr aktuelle Sachen gespielt werden“, sagt sie. Man darf bezweifeln, ob sie irgendwo bessere Stimmung (und vor allem: bessere Musik) finden wird. Und alle, die jetzt kommen, können sicher sein: Für einen Clubbesuch ist es zwar immer noch früh – aber diese Party braucht kein Aufwärmen mehr.
Besondere Vorkommnisse:
Die einzige männliche Klofrau der Stadt mag offensichtlich Emily von Adam Green. Und verteilt Bonbons an die Gäste, auch wenn sie kein Trinkgeld geben.