Wie fühlt es sich an, der erste Gast im Club zu sein? Wenn noch niemand tanzt und noch keine Stimmung ist, wenn noch reichlich Papierhandtücher in der Halterung sind und noch keine Kippenstummel vor dem Eingang liegen? Bei „Die Stunde Null“ finde ich es im Selbstversuch heraus und beobachte, wie Klassiker des Nachtlebens in Leipzig in Schwung kommen. Was passiert da? Wer kommt, wer geht, wer bleibt? Und vor allem: Wer tanzt? Heute Teil 2 der Serie: Täubchentanz im Täubchenthal.
Die Fakten:
Ort: | Täubchenthal | |
Event: | Täubchentanz (monatlich) | |
Wer legt auf: | Sergej Klang, Lovetower, Ed Paris | |
Eintritt: | 6 Euro (für Studenten: 3 Euro) | |
Offizieller Einlass: | 23:00 Uhr | |
Tatsächlicher Einlass: | 23:06 Uhr | |
Erstes Lied: | I Try – Macy Gray | |
Bestes Lied der ersten Stunde: | Don’t Stand So Close To Me – The Police | |
Zahl der Gäste zur Stunde Null: | 0 | |
Zahl der Gäste nach einer Stunde: | 34 | |
Anzahl der verkauften Bier in der erste Stunde (inklusive meiner): | 21 | |
Zeitpunkt des ersten Tanzes: | Es wird nicht getanzt. | |
Lied, das den ersten Tanz auslöst: | Es wird nicht getanzt. | |
Specials für Early Birds: | Es gibt keine. „Wir haben als Special Bier für 2,50 und Pfeffi für 1 Euro. Wer eher kommt, kann mehr davon trinken“, erklärt der Mann am Einlass sehr einleuchtend. |
Das Protokoll:
Es herrschen erschwerte Bedingungen. Semesterferien, Sommerpause, als Konkurrenz unter anderem das Holi-Festival und einer der wenigen Samstagabende in diesem Sommer, die man auch gut am See oder im Park verbringen kann. Der Täubchentanz, sonst im Saal zuhause, ist heute ins Clubzimmer umgezogen, weil deutlich weniger Partyvolk erwartet wird. Es ist also kein Wunder, dass ich tatsächlich der erste Gast bin, als ich kurz vor elf vorm Tor in Plagwitz stehe. Wie früh das ist, ruft die Umgebung in Erinnerung: Es ist noch so hell, dass man am Fahrrad kein Licht braucht, der Penny um die Ecke hatte vor einer knappen Stunde noch geöffnet, die vorbeikommenden Flaschensammler halten noch nicht nach Beute Ausschau, sondern pfeifen Die Gedanken sind frei vor sich hin.
Auch das Personal hat es nicht eilig, erst mit ein paar Minuten Verspätung öffnet sich das Tor zum Tanz. Kurz nach Mitternacht dürfte es voller werden, sagt der Türsteher. Die Garderobe ist noch nicht besetzt, an der Theke werden noch Flaschen in den Kühlschrank geräumt. Auch DJ Lovetower ist erst seit einer Viertelstunde hier. „Ich brauche nicht viel Vorbereitung. Und ich weiß ja, dass in der ersten Stunde normalerweise noch nichts los ist“, sagt er. „Einerseits ist das ganz schön, weil man auch selbst erstmal in den Abend und in die richtige Stimmung reinkommen kann. Andererseits ist der Anfang immer schwierig. Wenn nach knapp zwei Stunden immer noch nichts los sein sollte, wundert man sich natürlich. Und wenn die ersten Leute tanzen, muss man besonders sensibel sein, damit man nicht etwas auflegt, was die Stimmung wieder abwürgt. Beim Täubchentanz ist das besonders heikel, weil es hier eigentlich keine feste Szene gibt und wir als DJs nicht genau wissen, was die Leute, die herkommen, eigentlich am liebsten hören wollen. Meistens funktioniert R&B ganz gut. Prince ist meine Geheimwaffe, wenn es wirklich ein zäher Abend ist“, verrät er.
Nach einer Viertelstunde kommen ein paar Gäste und werden von Lovetower, der sich später mit den anderen beiden DJs als „Trio Fatale“ in loser Folge ohne festen Zeitplan abwechselt, mit Umarmung begrüßt. Ganz klar: Stammpublikum. „Wir kommen eigentlich immer zum Täubchentanz, mit unseren Arbeitskollegen. Und wir sind absichtlich so früh da“, erzählen Valerie und Josie. Selbstverständlich haben sie, wie die meisten Stammgäste, keinen Eintritt bezahlt: Bei den anderen Veranstaltungen im Täubchenthal werden über den ganzen Monat hinweg Freikarten in dreistelliger Zahl verteilt – wohl auch, um den Täubchentanz schon zu etwas früherer Stunde in Schwung zu bringen. „Ich mag das, wenn ich mir erst einmal einen Überblick verschaffen kann, wie der Abend wohl laufen wird. Und ich hätte auch kein Problem damit, die Erste auf der Tanzfläche zu sein“, sagt Valerie. Nicht ganz so sicher sind sich da Stephanie und Anja. Beide waren schon zu Konzerten im Täubchenthal, sind aber zum ersten Mal beim Täubchentanz. „Auf keinen Fall“, meint Stephanie zur Vorstellung, eine leere Tanzfläche zu betreten und von allen anderen Gästen, die sich selbst noch nicht trauen, beobachtet zu werden. Anja ist auch zögerlich: „Vielleicht würde ich es machen, wenn es mein absolutes Lieblingslied ist. Oder wenn man gleich eine kleinere Gruppe ist, die zusammen auf die Tanzfläche geht.“
Etwas später ist auch die Garderobe besetzt. Daria, die dort im Einsatz ist, findet es nicht allzu schlimm, dass bisher wenig los ist. Eine richtige Rush Hour erwartet sie allenfalls gegen 1 Uhr, sagt sie. Die Zeit ohne Gästeandrang nutzt sie, um für eine Uni-Prüfung zu lernen. Schluss ist normalerweise deutlich nach 5 Uhr, diesmal hat sie nach der ersten Stunde vielleicht ein Dutzend Jacken in ihre Obhut genommen. Das Clubzimmer ist derweil noch immer weitgehend leer, nicht nur die Tanzfläche, sondern auch die drumherum gruppierten Sofas. Zwar ist die Zahl der Gäste recht schnell gestiegen und nach einer knappen Stunde durchaus schon was los im Täubchenthal, die meisten bleiben aber erst einmal im Hof, um zu rauchen, auf Nachzügler zu warten oder im Liegestuhl den Rest des Sommerabends zu genießen. Bevor die Party dann wirklich startet.
Besondere Vorkommnisse:
Ein junger Mann im roten Shirt verpasst denkbar knapp den Titel als weltweit erstmals beobachteter Tänzer in der Stunde Null. Als kurz nach Mitternacht ein Remix von Adeles Rolling In The Deep erklingt, eröffnet er (wenn auch etwas schüchtern am Rand) die Tanzfläche im Täubchenthal, handgestoppte 63 Minuten nach dem Beginn des Einlasses. Das Signal wird verstanden: Ein Lied später (Rock Your Body von Justin Timberlake) ist die Zahl der Tänzer schon zweistellig. Eigentlich kein Wunder, dass es ein bisschen gedauert hat: Tauben sind Standvögel.