Künstler | Dirty Projectors | |
Album | 5 EPs | |
Label | Domino | |
Erscheinungsjahr | 2020 | |
Bewertung |
Es könnte gute Gründe geben, die knapp 20-jährige Geschichte der Dirty Projectors als eine Zeit zu sehen, in der sich diese Formation immer mehr zum Ein-Personen-Projekt von Frontmann David Longstreth entwickelt hat. Die Liste der ehemaligen Mitglieder bei den New Yorkern umfasst mehr als 30 Einträge, auf dem aktuellen Album Lamp Lit Prose hat Longstreth alle Songs geschrieben und produziert sowie unter anderem Gitarren, Klavier, Schlagzeug, Streicher- und Bläserarrangements beigesteuert und auch noch das Plattencover gemalt. Man könnte es hier also mit einem dieser Egomanen zu tun haben, die mit ihrem Streben nach musikalischer Alleinherrschaft nach und nach sämtliche Mitstreiter vergraulen und den einstigen Bandnamen letztlich nur noch als Tarnung missbrauchen. Nennen wir es den „Billy-Corgan-Effekt“.
Gegen diese Theorie gibt es mindestens drei Einwände: Erstens sind Dirty Projectors nun einmal sein Baby, von David Longstreth im Prinzip tatsächlich als Soloprojekt (beziehungsweise zum gemeinsamen Musizieren mit seinem Bruder) gegründet. Zweitens hat sich diese Band immer eher als Kollektiv betrachtet denn als Schicksalsgemeinschaft, eine nur temporäre Mitwirkung ist also Teil des Systems. Und drittens ist der Frontmann jüngst (genauer gesagt: während der Tour zu Lamp Lit Prose) wieder auf den Geschmack gekommen, was die Betrachtung von Dirty Projectors als Band angeht.
Ergebnis dieses Prozesses sind fünf EPs geworden, die im Verlauf dieses Jahres veröffentlicht wurden. Jede davon stellt ein Mitglied der Dirty Projectors in den Mittelpunkt, Longstreth sieht diese Reihe als eine Möglichkeit zum (Zusammen-)Wachsen als Band, unverkennbar aber auch als Signal, dass er bereit ist, Kontrolle abzugeben. Windows Open (mit Maia Friedman im Zentrum), Flight Tower (Felicia Douglass), Super Joao (Longstreth selbst), Earth Crisis (Kristin Slipp) und Ring Road (Mike Johnson) werden nun für das morgen erscheinende 5 EPs zusammengefasst. Die insgesamt 20 Lieder sind als limitiertes Deluxe-Vinyl-Boxset, CD oder Doppel-LP erhältlich.
Die Zusammenstellung zeigt nicht nur die Vielfalt und innovative Kraft dieser Songs, sondern macht auch deutlich, dass tatsächlich jede der fünf EPs einen eigenen Charakter und ein individuelles ästhetisches Konzept hat. Man trifft hier auf Schönklang und Experimente, Intimes und Eleganz, verspielte Rhythmen und klasse Melodien. Highlights sind nicht schwer zu finden. Dazu gehört das unschuldige On The Breeze mit dem sehr hübschen Gesang von Maia Friedman. No Studying offenbart Lust auf Rock und New Wave, Empty Vessel punktet mit einem tollen Zusammenspiel aus Stimmen, Beat und Effekten.
Por Qué No verkörpert im Sound vielleicht am besten den Ansatz der 5 EPs: Das Stück klingt organisch und spontan, als würde es gerade in diesem Moment entstehen, als Ergebnis einer gemeinsamen Improvisation und einer fast kindlichen Freude (nicht nur in der Zeile „I wanna eat all the ice cream“) am Zusammenspiel. Als verbindendes Element der 20 Songs kann man auch die Wertschätzung für Kürze betrachten, sowohl im Hinblick aufs EP-Format als auch innerhalb der Tracks: Wenn eine Idee ausgereizt oder ein Gedanke auserzählt ist, hört das Lied auch auf, statt unnötig lange strapaziert und gedehnt zu werden, um vielleicht eine für ein Album übliche Länge zu erreichen. Nicht zuletzt wird hier auch der Vorteil deutlich, den Longstreth wohl als den ultimativen Pluspunkt für Dirty Projectors sieht: Jeder bringt seine Einflüsse und Talente zum Wohle des Ganzen ein.