Künstler | Dorit Jakobs | |
Album | Im Aufruhr der Lethargie | |
Label | Grand Hotel van Cleef | |
Erscheinungsjahr | 2018 | |
Bewertung |
Immerhin heißt das vorletzte Lied auf dieser Platte. Es ist ein Wort, das gut zusammenfasst, wie Dorit Jakobs ihr eigenes Leben wahrnimmt. Ganz oft geht es in den Liedern der 34-Jährigen um Anspruch und Wirklichkeit und die Frage, wo man sich dazwischen einrichten kann. Ebenso richtet ihr Debüt Im Aufruhr der Lethargie den Blick auf das, was sie schon erreicht hat und wonach sie noch strebt.
Das passt auch gut zu ihrer musikalischen Laufbahn. Geboren in Bremerhaven, lebt sie seit 2011 in Hamburg. Anlass für den Umzug war auch die Idee, es nach einigen Jahren in Bands und mit englischen Texten nun als Solokünstlerin zu versuchen, auf Deutsch. „Ich habe in Hamburg diesbezüglich viel Inspiration erfahren – durchaus auch negative Inspiration, wo mir sofort klar war: So willst du es auf keinen Fall machen. Ich habe mir dann sehr viel Zeit gelassen, meine eigene Stimme in diesen deutschen Texten zu finden. Ich habe bestimmt zwei Jahre lang bis auf ein paar Konzerte hier und da wirklich nur geschrieben und geschrieben, vieles ausprobiert und wieder verworfen“, erzählt Dorit Jakobs. „Diesen Luxus wollte ich mir einfach erlauben.“
Wie das gemeint ist, wird auf Im Aufruhr der Lethargie schnell deutlich: Es gibt einige Texte mit einem Charakter von „Passt schon, fühlt sich richtig an“ statt perfekt ausgearbeitetem Reim oder Metrum, gleichzeitig wird es manchmal so verkopft, dass man trotzdem spürt, wie intensiv Dorit Jakobs damit gerungen hat. Man ahnt: Es geht um Unmittelbarkeit und Authentizität, ebenso um eine eigene poetische Identität. „Das Assoziative, das häufig in der deutschen Sprache benutzt wird, mündet eben doch sehr oft in irgendwelchen Phrasen, die man zumindest im Deutschen echt nicht mehr hören kann – im Englischen mag das noch anders sein. Daher kam ich dann irgendwann darauf, dass es viel sinnvoller ist, Dinge durchaus deutlich und direkt auszusprechen“, sagt Dorit Jakobs, die als Einflüsse passenderweise etwa Alanis Morissette, Suzanne Vega oder Ani DiFranco benennt. „Ich finde beispielsweise manche Schlager von den Texten her viel treffender und unkitschiger als so manchen deutschen Popsong, der uns vorgaukelt, textlich irgendwie mehr zu sein, bei genauem Hinsehen aber doch vor allem Emotions-Schablonen bedient.“
Dieser Ansatz bringt bei ihr Lieder hervor wie Leicht lethargisch, in dem sie ihre eigene „Luxus-Lethargie“ erkennt, die ihr auch ein (kleines) schlechtes Gewissen macht. Ich mag Dich nur zur Hälfte handelt von jemandem, der ein Depp sein kann, aber eben auch liebenswerte Seiten hat. „Liebesbeziehungen sind nicht kompatibel mit der feindseligen, neidischen Welt“, ist in Konfliktuniversum der Liebesbeziehungen eine typische Zeile für dieses Album, die Stimme von Dorit Jakobs erinnert hier am meisten an Judith Holofernes, dazu gibt es in dem gut sechsminütigen Stück ein schönes Bläserarrangement, später auch Streicher.
Für die Musik hat die Künstlerin eng mit Marcus Schneider (Home Of The Lame) zusammengearbeitet. „Wir haben schon viel reifen lassen, gleichzeitig hatte ich immer ziemlich konkrete Vorstellungen davon, wie die Platte am Ende klingen soll. Marcus und ich waren einfach beide klar fokussiert und gleichzeitig offen für gute Ideen oder überraschende Klänge. Manchmal musste ich Marcus auch bremsen, er hatte so viele Ideen. Aber es ist eben auch wichtig, dass man auch mal einen Punkt setzt und Dinge zu einem Schluss bringt“, beschreibt sie die Rollenverteilung. Gemeinsam gelingt es ihnen, einen Soundkosmos zu erschaffen, der von sehr reduzierten Stücken über Kammerpop bis hin zu dezent rockig reicht und so sehr gut den Themen entspricht, die auf Im Aufruhr der Lethargie verarbeitet werden. „Auf die Texte setze ich einen großen Fokus. Das Instrumentale sollte, das war mir klar, gern auch einen leichten Zugang haben. Ich bin durchaus verwurzelt im Pop und kann einer Melodie, die griffig ist, viel abgewinnen. Aber umso mehr Freiheit wollte ich mir bei den Texten nehmen. Gleichzeitig sehe ich mich nicht als ein Pop-Misanthrop, daher haben wir schon geschaut, dass die Songs auch ein wenig Leichtigkeit in sich tragen“, umreißt Dorit Jakobs ihr Ziel für dieses Zusammenspiel.
Als wichtigstes Thema der Platte kann man ihre Suche nach Orientierung betrachten, sowohl im eigenen Leben als auch als Mitglied ihrer Generation (irgendwo zwischen X und Y), mehr noch im Vergleich zum Lebensentwurf, der noch für ihre Eltern gängig war. Nicht selten gesteht sie ein, dass sie die Sache mit dem Erwachsensein noch nicht gemeistert hat, gelegentlich wird die Verantwortung dafür auch auf die Erziehung geschoben. „Warum habt ihr mir nicht gleich gesagt: erwarte nichts, erwarte nicht zu viel“, fragt sie in Erwarte nicht zu viel und beklagt zugleich, statt dieser realistischen Prognose habe sie ein ungleich schwereres Ziel mitgegeben bekommen: „Du hast das Beste verdient / also geh’ los, verdien’ es dir.“
„Vielleicht will ich auch nur für immer ein beschütztes Kind sein“, singt Dorit Jakobs in Die verlorene Welt, das auch First World Problems heißen könnte und die Platte eröffnet. Neben diesem Hinweis auf eines der zentralen Sujets von Im Aufruhr der Lethargie gelingt es dem Opener auch, noch in anderer Hinsicht den Ton zu setzen: Das Lied konfrontiert den Hörer durch das sparsame Arrangement vor allem mit dieser besonderen, sehr klaren Stimme. „Dein perfektes Leben / mag es irgendwo anders geben“, vermutet sie später (Dein perfektes Leben), zum Abschluss des Albums schafft sie es, die Diskrepanz zwischen Ist und Soll zu abstrahieren. Nicht nur „Wo stehe ich?“, fragt die Single Nichtstun ist unsere Rebellion, sondern auch „Wo stehen wir?“ Die Antwort lautet: „Nichtstun ist unsere Rebellion / nichts fertig bringen – meine Generation / Rückzug ist meine letzte Bastion.“
Das ist natürlich klug beobachtet und zugleich eine (Selbst-)Anklage. „Wenn ich live spiele, stelle ich fest, dass meine Texte Reaktionen provozieren. Nicht immer nur schöne, manchmal ist da auch ein sichtbares Erschrecken aufgrund meiner Wortwahl, aber häufig gefolgt von einem ‚Aha, ja, das kenne ich auch’-Gefühl. Es freut und überrascht mich gleichermaßen, dass es manchmal gerade die schrägen Sachen sind, in denen sich andere wiedererkennen“, hat Dorit Jakobs wohl auch bei Zeilen wie diesen erkannt. Mut ist auch die Eigenschaft, die das beste Lied von Im Aufruhr der Lethargie auszeichnet: In Mein Sozialleben wünscht sie sich auf sehr originelle Weise, frecher, direkter, ehrlicher sein zu können. Ähnlich gelagert ist Platz für alles Schöne. Auch hier wird die Welt als Gegner betrachtet, und die Sängerin wäre gerne anders, um ihr besser begegnen zu können, selbstbewusster, robuster.
Als Analyse funktioniert das oft sehr gut. Was den Liedern fehlt, ist die Fähigkeit, daraus auch Schlussfolgerungen zu ziehen und die eigene Verantwortung für die Kongruenz von Anspruch und Wirklichkeit anzuerkennen. Im Zweifel neigt sie dann eben doch zu Lethargie statt zu Aufruhr. Die Künstlerin will ganz viel, weiß aber nicht so recht, was sie will, und erst recht nicht, wie sie es erreichen kann. Das wirkt bei aller Reflexion, die hier offenkundig stattgefunden hat, manchmal naiv, fast immer unentschieden. Was die Platte dennoch gelungen macht: Dorit Jakobs weiß um diese Unentschiedenheit, und sie ringt auf ziemlich individuelle Weise damit. Immerhin.