American History X

Film American History X

Derek (Edward Norton) ist der brutalste Neonazi in Venice Beach.
Derek (Edward Norton) ist der brutalste Neonazi in Venice Beach.
Produktionsland USA
Jahr 1998
Spielzeit 114 Minuten
Regie Tony Kaye
Hauptdarsteller Edward Norton, Edward Furlong, Beverly D’Angelo, Avery Brooks, Jennifer Lien, Stacy Keach, Fairuza Balk
Bewertung

Worum geht’s?

Danny Vinyard vergöttert seinen großen Bruder Derek. Er eifert ihm nach, in quasi jeder Beziehung. Und weil Derek ein Neonazi ist, mit Glatze und Hakenkreuz-Tattoo, wird auch Danny ein Neonazi. In der Schule schreibt er einen Aufsatz, in dem er Adolf Hitler als Kämpfer für die Bürgerrechte darstellt. Sein Lehrer gibt ihm daraufhin eine Strafarbeit: Danny soll aufschreiben, was ihn mit seinem Bruder verbindet – ausgerechnet an dem Tag, als Derek wieder aus dem Gefängnis frei kommt, wo er eine dreijährige Haftstrafe abgesessen hat, nachdem er zwei Schwarze getötet hatte.

Das sagt shitesite:

Tony Kaye ist weiß. Für fast alle anderen Filme der Welt wäre diese Information irrelevant. Aber American History X erfordert diesen Hinweis geradezu zwingend. Nicht unbedingt allein deshalb, weil der Film dem Rassismus in Amerika auf den Grund geht. Sondern weil er dabei eine höchst erstaunliche Perspektive wählt: Die Figuren in diesem Film, mit denen sich der Zuschauer identifizieren soll, sind die Bösewichte. Die Neonazis stehen im Zentrum, aus ihrer Sicht wird das Geschehen erzählt. Alle anderen – Opfer, Mahner, Gegner – bleiben am Rand, bis auf wenige Ausnahmen sogar gesichtslos.

Erstaunlicherweise gewinnt American History X gerade dadurch seine Wirkungsmacht. Wie absurd die Gedankengänge von Danny und Derek sind, wie verblendet ihr Weltbild ist, wie falsch ihre Versuche sind, sich die eigenen Probleme zu erklären, das muss in diesem Film gar nicht explizit erwähnt werden. Gerade weil sie kaum zur Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Ideologie gezwungen werden, ist es umso eindrucksvoller, wenn Derek am Ende aus der Szene aussteigen will und auch Danny geläutert wirkt. Sie müssen nicht von außen bekehrt werden – ihr Hass fällt in sich zusammen, sobald sie einen klaren, unvoreingenommenen Blick auf die Welt werfen.

Darin steckt auch die wichtigste Botschaft von American History X (Regisseur Tony Kaye war mit dieser finalen Version übrigens so unzufrieden, dass er nichts mehr mit dem Film zu tun haben wollte; den Endschnitt verantwortete somit größtenteils Hauptdarsteller Edward Norton): Rassismus kann nur existieren, wenn man sich abschottet. Die Schwarzen sind für Derek und seine Gang in erster Linie Menschen, mit denen sie nichts zu tun haben wollen.

Aus dieser Verachtung wird Angst, als die Weißen in Venice Beach um ihren eigenen sozialen Status fürchten, und aus dieser Mischung wird fanatische Gewalt. Auch wenn American History X die Mechanismen innerhalb der Neonazi-Gang (Minderwertigkeitskomplexe, Gruppenzwang, die Sehnsucht nach Ordnung, Stolz und Führerschaft) manchmal ein bisschen zu schulbuchmäßig nachzuzeichnen versucht, wirft der Film doch einen sehr treffenden Blick auf dieses Zusammenspiel. Auch die feine Grenze zwischen Patriotismus und Rassismus (übrigens zehn Jahre, bevor irgendjemand von einer neuen Tea Party sprach) wird hier sehr gekonnt nachgezeichnet.

Ein paar Stilmittel wie die schwarz-weißen Rückblenden, die unglaubwürdige Konstellation, dass die Kluft zwischen Fanatikern und Versöhnern in der Rassenfrage hier auch mitten durch die Familie verläuft, oder das arg pathetische Schlussviertel von American History X sind fragwürdig. Dafür kann der Film auf exzellente Hauptdarsteller setzen: Edward Norton nimmt man den Über-Skinhead ebenso ab wie den Mann, der von Reue erfüllt aus dem Gefängnis kommt. Edward Furlong ist beinahe noch besser, wenn er mit seinem Mädchengesicht versucht, dem erbarmungslosen Bruder nachzueifern, als der seinen alten Idealen im Gefängnis schon längst abgeschworen hat. Längst nicht alles an diesem Film ist so brillant und subtil. Aber allein diese Performances machen die Schwächen von American History X wieder wett.

Bestes Zitat:

“Deine Wut versucht, dich von innen aufzufressen. Dein Zorn schaltet deinen gottgegebenen Verstand einfach aus.“

Der Trailer zum Film:

httpv://www.youtube.com/watch?v=cn7IM3hIWqw

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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