Das weiße Band

Film Das weiße Band

Rund um einen Gutshof ereignen sich seltsame Verbrechen.
Rund um einen Gutshof ereignen sich seltsame Verbrechen.
Produktionsland Deutschland
Jahr 2009
Spielzeit 144 Minuten
Regie Michael Haneke
Hauptdarsteller Christian Friedel, Leonie Benesch, Ulrich Tukur, Ursina Lardi, Burghart Klaußner, Josef Bierbichler, Rainer Bock, Susanne Lothar, Birgit Minichmayr, Detlev Buck
Bewertung

Worum geht’s?

Die „deutsche Kindergeschichte“, so der Untertitel von Das weiße Band, spielt in einem Dorf kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs. Die Idylle des Landlebens wird von seltsamen Ereignissen gestört: Erst wird ein Anschlag auf den Arzt verübt, dann kommt eine Bäuerin bei einem Unfall im Sägewerk ums Leben. Schließlich wird der Sohn des Gutsherrn entführt und misshandelt. Wie hängt das alles zusammen? Und wie kann das Dorf wieder seinen Frieden finden?

Das sagt shitesite:

Der Dorflehrer, der hier als Erzähler aus dem Off fungiert und die Handlung im Rückblick wie aus einem Tagebuch referiert, weist schon ganz zu Beginn darauf hin: Diese Geschichte könnte prototypisch sein. Gerade daraus bezieht Das weiße Band seinen Reiz. Denn Michael Hanekes schwarz-weißes Sittengemälde ist zum Gruseln: Es kann hier keine Rede sein von Unschuld und Tugend, die das titelgebende weiße Band verkörpern soll, das die Kinder des Pfarrers tragen müssen, wenn sie ungezogen waren. Im Gegenteil: Dieses Dorf ist der Gegenpol des Glücks, so abgrundtief dunkel, dass selbst die kleinsten Gesten der Menschlichkeit in dieser Umgebung wie ein Feuerwerk wirken.

Haneke hat viele famose Szenen in Das weiße Band gepackt: Der Dialog voller (Selbst-)Verachtung zwischen Arzt und Hebamme, die eine Affäre haben. Die Verklemmtheit des jungen Dorflehrers, als er bei Evas Vater um deren Hand anhält. Der Ehestreit zwischen Baron und Baronin, der kurz unterbrochen werden muss, damit das Dienstmädchen den Tisch fertig abräumen kann – all das hat viel Klasse, Kraft und Authentizität.

Die größte Stärke des Films ist es aber, dass hier von Anfang an jede Figur ihr Geheimnis hat – und die Kamera auch keinerlei Anstalten macht, dieses Geheimnis zu enthüllen. Ganz oft bleiben die Figuren, auch in zentralen Szenen des Films, im Dunkeln, hinter verschlossenen Türen oder in für den Zuschauer nicht einsehbaren Winkeln. So behalten sie ihre Privatsphäre, ihr Geheimnis – aber auch die Möglichkeit, weiter die Fassade aufrecht zu erhalten. Denn der von allen beschworene Friede in der Dorfgemeinschaft ist in Das weiße Band von Anfang an bloß geheuchelt – und alle wissen es. Was dieser Welt am meisten fehlt, ist Offenheit, aus der erst Transparenz und dann Respekt erwachsen könnte.

Es ist nicht Solidarität oder Menschlichkeit, was die Einwohner hier zusammenhält, sondern nichts anderes als ein Geflecht von Abhängigkeiten. Nach und nach aber wird es brüchig: Das Aufbegehren der Frauen, der Jugend, der Bauern nagt an der Ordnung, die bloß noch als gottgewollt hingenommen, aber kaum noch geglaubt wird.

Dass das Dorf keinen Namen bekommt und lange Zeit auch nicht klar wird, in welcher Zeit der Film spielt, ist besonders clever. Als der Zuschauer schließlich erfährt, dass die Handlung 1913/14 spielt, ist längst klar: Diese Geschichte könnte sich genauso auch drei, vier Generationen vorher abgespielt haben. So führt Das weiße Band vor Augen: Dieses System hat den Menschen so lange Selbstverleugnung, eiserne Disziplin und Demut abverlangt, dass es bis zum Bersten gespannt ist.

Gerade deshalb regiert im Dorf bloß noch das Recht des Stärkeren, sowohl in den persönlichen Beziehungen als auch zwischen den Ständen. Die Kinder bekommen das vorgelebt, von Erwachsenen, die sich als moralisch überlegen inszenieren und doch selbst genug Dreck am Stecken haben. Das ist vielleicht die erschütterndste Botschaft dieser auf den ersten Blick unspektakulären Geschichte: Womöglich war es genau diese alltägliche Mischung aus Brutalität und Fatalismus, die eben jene Kinder wenig später in zwei Weltkriegen zu Bestien werden ließ.

Bestes Zitat:

„Du musst sehr unglücklich sein, um so gemein sein zu können.“

Der Trailer zum Film:

httpv://www.youtube.com/watch?v=2aaapMYGBJs

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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