Film | Depeche Mode – Tour Of The Universe. Barcelona 20/21.11.09 | |
Produktionsland | Großbritannien/Spanien | |
Jahr | 2010 | |
Spielzeit | 120 Minuten | |
Regie | Russell Thomas | |
Hauptdarsteller | Depeche Mode | |
Bewertung |
Eine These: Niemals in den vergangenen 20 Jahren haben Depeche Mode mehr Genugtuung empfunden als am 5. November 2002. An diesem Tag ist Johnny Cashs American Recordings IV – The Man Comes Around erschienen – samt seiner Coverversion von Personal Jesus. Der Man in Black, die Inkarnation der musikalischen Glaubwürdigkeit, hatte Depeche Mode damit unwiderruflich und höchstpersönlich in die Riege der großen, ernsthaften Künstler aufgenommen.
„Finally I found that I belong here“, singt Martin L. Gore in Home – und man könnte diese Zeile auf diesen Moment beziehen. Niemals waren Depeche Mode, die vor mehr als einem Vierteljahrhundert die beschwerliche Reise aus dem Land von OMD und den Pet Shop Boys hin ins Reich von U2 und Pearl Jam angetreten haben, so nah an ihrem Ziel. Doch von Zufriedenheit, gar Glück kann trotzdem keine Rede sein. Tour Of The Universe, die nun genau acht Jahre nach dem Johnny-Cash-Album erschienene Live-DVD von Depeche Mode, zeigt nach wie vor eine beinahe schizophrene Band, die weit davon entfernt ist, sich ihrer selbst sicher zu sein.
Depeche Mode sind noch immer so prätentiös wie wohl nur eine Band sein kann, die sich nach einer Modezeitschrift benannt hat. Und doch zeigt jeder Takt, jede Note dieses Mitschnitts von zwei Konzerten in Barcelona im November 2009 ihre Sehnsucht nach Authentizität. Die Kamera wagt in den genau zwei Stunden des Konzerts keine einzige Nahaufnahme eines Gesichts. Das mag Eitelkeit des nicht mehr ganz taufrischen Trios sein, aber es zeigt auch: Nicht einmal Depeche Mode selbst können ihr Porträt zeichnen.
Dafür scheinen selbst die Outfits die wundersame Wandlung dieses Trios widerzuspiegeln. Zu Beginn tragen alle noch einen schicken Anzug, Martin Gore sogar ein Glitzersakko, das wohl auch in den Tagen zu seinem Kleiderschrank hätte gehören können, als man bei Depeche Mode noch zuerst an Elektropop dachte. Doch nach drei Liedern entledigt sich Sänger Dave Gahan der Jacke, singt in Weste weiter und nach knapp 90 Minuten dann schließlich mit freiem Oberkörper – die ultimative Rockstar-Garderobe.
Gahan ist die Verkörperung der Zerrissenheit. Nur, wenn er tanzt, scheint er kurz seiner Qual entfliehen zu können, ansonsten scheint die Show für ihn eine seltsam euphorisierende Tortur zu sein. Seine Ansagen sind eher Kommandos als ein Dialog mit dem Publikum. Immer wieder wirft er ein „Yeah, that’s right“ ein – als Anfeuerung, aber auch zur Selbstbestätigung. Spaß, Lächeln, gar Humor? Gibt es nicht.
Seine eigenen Posen und der Jubel der Fans sind für Gahan offensichtlich Trost und Narkotikum, gleichzeitig erkennt er, wie hohl und pervers sie sind, was ihm neuen Kummer bereitet. So wird der Sänger zum Messias und Mephisto – die Fans vergöttern und bemitleiden ihn. Und er selbst blickt ins Rund des Palau Sant Jordi, als wolle er jeden Einzelnen darin ficken und schlachten.
Dazu spielen Depeche Mode in einer erstaunlich reduzierten Show (nur fünf Leute stehen auf der Bühne, zwischendurch hat Gore immer wieder Quasi-Solo-Nummern) Musik, die runtergebrochen ist auf ihre Grundprinzipien. Die Beats kommen von Maschinen, die frustriert scheinen von ihrer eigenen Maschinität. Gahan singt dazu etwas, das bedeutend ist oder bloß bedeutend klingt. Und irgendwo zwischen Effekt und Emotion, Dilettantismus und Dunkelheit, Beschwörung und Bedrängnis haben Depeche Mode mit diesem Sound den ultimativen postmodernen Nerv getroffen, ohne selbst postmodern zu sein.
Precious wird sehr intensiv, Question Of Time kommt förmlich revitalisiert daher, Enjoy The Silence erweist sich erneut als unkaputtbar, und beim bereits erwähnten Home singen die Fans am Ende minutenlang weiter.
Es ist vielleicht der zentrale Moment in dieser Show und der Schlüssel zum Verständnis von Depeche Mode in der aktuellen Phase ihrer Karriere. Wirklich angekommen sind sie in der Welt des Rock auch nach einem Selbstmordversuch, fiesen Gitarren und Videos mit Anton Corbijn noch nicht. Das macht auch der Fall Johnny Cash deutlich: Wenn man den Spieß nämlich umdreht und sich vorstellt, Depeche Mode würden einen Song des Altmeisters covern, dann ist das eine komplett lächerliche Idee. Die Band scheint das zu ahnen. Sie leidet an diesem Stigma, und ihre eigenen Fans sind die einzigen, die sie von diesem Komplex befreien. In der Tat gibt es auf Tour Of The Universe einige Momente, die reichlich peinlich wirken würden – wenn nicht Tausende Fans gerade den schönsten Abend ihres Lebens hätten.
Depeche Mode spielen Personal Jesus live in Barcelona, und Martin Gore zeigt erneut, dass er auch nach 30 Jahren im Musikgeschäft einer der schlechtesten Gitarristen der Welt ist:
httpv://www.youtube.com/watch?v=6hm6WrebEuY
Eine kürzere Version dieser Rezension gibt es auch bei news.de.
2 Gedanken zu “Depeche Mode – Tour Of The Universe”