Draufgeschaut: Fremdgehen

Nikolas (Thomas Sarbacher) trennt sich von seiner Frau Lilith (Antje Schmidt).
Nikolas (Thomas Sarbacher) trennt sich von seiner Frau Lilith (Antje Schmidt).
Film Fremdgehen
Produktionsland Deutschland
Jahr 2010
Spielzeit 90 Minuten
Regie Jeanette Wagner
Hauptdarsteller Thomas Sarbacher, Antje Schmidt, Tanya Barut, Özgür Karadeniz
Bewertung

Worum geht’s?

Seit 30 Jahren sind Nikolas und Lilith zusammen. Gut situiert, mit einem Volvo in der Garage, Lebensversicherung und netten Freunden. Geordnete Verhältnisse. Dann sagt Nikolas die zwei Sätze, die alles auf den Kopf stellen: „Ich verlasse dich. Ich habe mich verliebt.“ Er hat eine Affäre mit Meriyem begonnen, der türkischen Putzfrau des Paares. Er verlässt Lilith und will mit Meriyem ein neues Leben anfangen. Doch die ist verheiratet, hat einen kleinen Sohn und einen herrischen Ehemann – bald stehen alle vor der Frage, ob sie die Tragweite ihrer Entscheidung richtig eingeschätzt haben.

Das sagt shitesite:

Der Titel dieses Fernsehfilms von Jeanette Wagner (Buch und Regie) erscheint zunächst falsch gewählt. Es geht in Fremdgehen nicht um Seitensprünge, um Affären und sexuelle Treue. Es geht nicht ums Betrügen, sondern ums Verlassen.

Trotzdem erweist sich der Titel dann nach und nach als treffend. Nikolas ist nur deshalb für ein Abenteuer zu haben, weil ihm seine eigene Frau fremd geworden ist. Diese Entfremdung ist es auch, die Lilith nach der Trennung mehr schmerzt als die Tatsache, dass sie betrogen worden ist. Sie verkriecht sich tagelang ins Bett und man weiß: Schockierend findet sie vor allem, dass die fehlende Nähe ihre Beziehung schon so lange geprägt hat – der Seitensprung hat nur dafür gesorgt, dass beide Eheleute ihre innere Distanz auch erkennen. Fremder, als sie im Taumel der Verliebtheit zunächst ahnen, sind sich schließlich auch Nikolas und Meriyem, als sie versuchen, ein gemeinsames Leben zu beginnen.

Alle drei sind hin- und hergerissen. Nikolas gibt sich mit Meriyem seiner Leidenschaft hin, fühlt sich aber auch für Lilith verantwortlich, die er im Stich gelassen hat und an die ihn viele Erinnerungen, vielleicht sogar noch ein paar Gemeinsamkeiten binden. Lilith weiß nicht, ob sie ihn zurück haben und um ihre Ehe kämpfen will, sie weiß nur, dass sie verletzt und einsam ist. Meriyem will aus ihrer Ehe fliehen, muss aber auch das Wohlergehen ihres Kindes berücksichtigen. Deshalb wird Fremdgehen ein Film des Schwankens – und des Schweigens.

Die fehlende Kommunikation ist es hier, die alle Konflikte immer größer werden lässt. Fremdgehen hat lange Passagen, in denen die Figuren wortlos bleiben, und darin zeigt sich wahlweise ihre Ohnmacht und ihre Entschlossenheit. „Ich habe immer gedacht, du verstehst mich, auch wenn ich nichts sage“ – mit diesem Satz bringt Nikolas sowohl das Versprechen als auch das Dilemma seiner Ehe zum Ausdruck. Eindrucksvoll wird dieser Film auch, weil sich die Akteure nicht in Leidenschaft und Affekt verlieren, sondern immer wissen, welche Verantwortung sie füreinander haben. So gibt es einige Szenen von hoher Emotionalität, die dann abrupt enden und dadurch umso effektvoller werden.

Etwas störend (und zudem überflüssig) sind die fantastisch-esoterischen Elemente von Fremdgehen. Tiere tauchen auf (ein Hund, ein Reh, Pferde und eine Maus), befreundete Paare sind in ähnlichen Situationen, das Archaische wird ebenso überbetont wie die Geschlechterrollen. Trotzdem ist Fremdgehen ein feines Drama – lebensnah, eindringlich und famos gespielt.

Bestes Zitat:

“In ein paar Jahren bin ich 50 – und ich weiß nicht, wer ich bin.”

Es gibt leider keinen Trailer zum Film.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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Ein Gedanke zu “Draufgeschaut: Fremdgehen

  1. Scheint ein interessanter Film zu sein. Der das Problem wohl sehr vieler eingefahrener Beziehungen aufzeigt. Da braucht es dann nicht mehr viel zum Fremdgehen. Nur dass in diesem speziellen Fall wohl keine Zukunftsperspektiven für den Mann und die Putzfrau gibt.

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