Draufgeschaut: Haus der Sünde

Die Mädchen im L’Apollonide sind bei reichen Freiern begehrt.
Die Mädchen im L’Apollonide sind bei reichen Freiern begehrt.
Film Haus der Sünde
Originaltitel L’Apollonide (Souvenirs de la maison close)
Produktionsland Frankreich
Jahr 2011
Spielzeit 122 Minuten
Regie Betrand Bonello
Hauptdarsteller Hafsia Herzi, Céline Sallette, Jasmine Trinca, Adèle Haenel, Alice Barnole, Iliana Zabeth, Noémie Lvovsky
Bewertung

Worum geht’s?

Das L’Apollonide ist ein Bordell in Paris, um das Jahr 1900 vor allem bei sehr zahlungskräftigen Kunden beliebt. Madeleine ist schon lange hier tätig, sie hofft, dass sie eines Tages einen Freier heiraten und der Prostitution entkommen kann. Die junge Pauline kommt vom Land und möchte sich in dem edlen Freudenhaus etwas dazu verdienen. Und die Puffmutter ahnt, dass ihr Haus demnächst geschlossen wird, denn die Stadt will derlei Etablissements nicht mehr dulden und der Eigentümer des Hauses verlangt eine ruinös hohe Mieterhöhung.

Das sagt shitesite:

Haus der Sünde beginnt mit der Szene einer Verstümmelung: Ausgerechnet der Kunde, von dem Madeleine sich erhofft, er könne sie freikaufen, fesselt sie und schlitzt ihr das Gesicht auf, sodass sie für immer entstellt ist. Die Szene wird dann im Verlauf des Films noch mehrmals wiederholt, in quälender Langsamkeit, sich immer weiter dem Punkt annähernd, an dem das Messer des Freiers die Wangen der Prostituierten zerschneidet.

Angesichts dieses grausamen Beginns überrascht es, wie gemächlich, beinahe teilnahmslos und in gewisser Weise wohlwollend Regisseur Bertrand Bonello danach das Geschehen im Haus der Sünde verfolgt. Doch nach und nach wird klar: Der Film vertritt keinen moralischen Standpunkt, sondern dokumentiert eher eine Stimmung, eine Ära. Das Bordell wird zu einem Ort, der stellvertretend für das fin de siècle steht, für Wandel, für Individualisierung derer, die es sich leisten können, und Vermassung derer, für die das nicht gilt.

Haus der Sünde kostet dabei vor allem die Möglichkeiten des Kinos aus und besticht mit einer besonderen Ästhetik. Die tolle Ausstattung und gelegentliche Kunstgriffe wie Splitscreens oder Szenen, die das Jahr 1899 zeigen, aber mit Musik aus dem Jahr 1967 unterlegt sind, tragen dazu bei. Die beste Szene des Films ist der Moment, als die Huren von der bevorstehenden Schließung des L’Apollonide erfahren haben und eine Abschiedsfeier machen, ohne Männer. Sie tanzen eng umschlungen, sie weinen, dazu erklingt Nights In White Satin.

Der Zusammenhalt der Prostituierten ist, neben der Balance aus Macht und Ohnmacht der Frauen, das wichtige Motiv in diesem Film. Keine von ihnen steht wirklich im Zentrum des Geschehens, sie posieren ständig nackt und stehen willfährig für diverse Rollenspiele zur Verfügung, trotzdem schafft es dieses Kammerspiel (nur zwei Szenen spielen außerhalb des Bordells), die Prostituierten zu Subjekten zu machen. Ihre hellsichtigen Reflexionen über die Männer und über die Prostitution sind dabei wichtige Elemente, vor allem aber ihre Solidarität untereinander. Ausgerechnet diese Frauen, durch ihre Schulden auf Gedeih und Verderb an das Bordell gebunden und auf die Attraktivität ihrer Körper angewiesen, sind im Herzen Feministinnen.

Sie sind umgeben von Gefahr: Verstümmelung, Geschlechtskrankheiten, Erniedrigung, Verkauf an ein anderes Bordell, Schwangerschaft, nicht zuletzt das eigene Altern oder die Bedrohung, sich unglücklich in einen der Freier zu verlieben. Sie sind vereint in ihrer Sehnsucht nach einem anderen Leben und der Angst, dass es ihnen in einem anderen Haus vielleicht noch viel schlechter ergehen könnte.

So lange man nicht in die Köpfe gucken kann, sieht das Bordell, vor allem zu Beginn des Films, wie ein mondänes Idyll aus. Auch der Schluss, der der Eleganz dieser Ära kurz die Tristesse eines modernen Pariser Straßenstrichs gegenüberstellt, mag den Eindruck erwecken, dass hier einer vermeintlich besseren Zeit nachgetrauert wird. Doch je länger man das Treiben im Haus der Sünde begleitet, desto deutlicher wird: Das L’Apollonide ist für die Freier vielleicht ein Freudenhaus, doch für die Frauen ist es ein Kerker.

Bestes Zitat:

„Die einzigen beiden Bücher, die ich besitze, sind die Tagebücher von de Sade und die Bibel. Aber die Bibel habe ich nicht gelesen.“

Der Trailer zum Film:

httpv://www.youtube.com/watch?v=dm7HfEWQ7QA

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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