Nackt unter Wölfen

Film Nackt unter Wölfen

Pippig (Florian Stetter) will einen kleinen Jungen retten.
Pippig (Florian Stetter) will einen kleinen Jungen retten.
Produktionsland Deutschland
Jahr 2015
Spielzeit 102 Minuten
Regie Philipp Kadelbach
Hauptdarsteller Florian Stetter, Peter Schneider, Sylvester Groth, Sabin Tambrea, Robert Gallinowski, Rainer Bock
Bewertung

Worum geht’s?

März 1945: Seit zwei Jahren ist der Zimmermann Hans Pippig im KZ Buchenwald interniert, weil er Flugblätter verteilt hatte, die gegen Hitler wettern. Gemeinsam mit anderen kommunistisch gesinnten Häftlingen plant er einen Aufstand im Lager. Die Widerstandgruppe ist gut organisiert, hat sogar ein paar Waffen gebunkert und hofft darauf, dass die SS geschwächt ist, weil längst klar ist, dass Deutschland den Krieg verloren hat und die gegnerischen Armeen aus Osten und Westen immer näher rücken. Doch ein kleiner Junge bringt das geheime Netzwerk in Gefahr: Ein neuer Häftling, der den Marsch aus Auschwitz nach Buchenwald überstanden hat, bringt einen Dreijährigen in einem Koffer mit, um ihn vor dem sicheren Tod zu retten. Er bittet Pippig, sich des Jungen anzunehmen. Der will das Kind gerne gemeinsam mit seinen Kameraden beschützen. Doch wenn der Junge entdeckt wird, bedeutet das seinen sicheren Tod – und könnte die ganze Gruppe an Verschwörern auffliegen lassen.

Das sagt shitesite:

Nackt unter Wölfen basiert auf dem 1958 erschienenen Buch von Bruno Apitz, der selbst Häftling in Buchenwald war und dessen Werk in der DDR jahrelang Pflichtlektüre in der Schule war. Man muss bei dieser Ufa-Adaption zunächst feststellen: Die Stärken dieser Geschichte sind die Stärken des Romans, nicht die Stärken der Verfilmung. Manchmal ist sie etwas zu pädagogisch (beispielsweise mit den eingestreuten Dokumentarszenen), oft ist sie zu melodramatisch (vor allem mit der unnötigen Rückblende auf das idyllische Liebesglück, das Pippig in Freiheit genießen durfte). Und es gibt, im Gegensatz zur Defa-Verfilmung aus dem Jahr 1963 mit Erwin Geschonneck und Armin Mueller-Stahl, auch keine Schauspiel-Leistung zu sehen, die das Zeug zur Legende hätte.

Trotzdem hat Nackt unter Wölfen auch in dieser Version, die teilweise an Originalschauplätzen gedreht wurde, zwei große Stärken. Die erste ist die beklemmende Atmosphäre. „Ihr seid ehrlos, wehrlos, rechtlos“, schallt es den Neuankömmlingen im KZ entgegen. Mit etablierten Mitteln, aber deshalb nicht weniger schockierend, zeigt der Film dann die katastrophale Hygiene im Lager, die erbärmliche Versorgung, das brutale Pensum der Zwangsarbeit sowie die totale Willkür und die bestialische Folter der SS-Leute, die längst wissen, dass sie auf verlorenem Posten stehen. Wenn die Häftlinge mit Blasmusikklängen auf einen Todesmarsch geschickt werden oder der Foltermeister Mandrill seine Werkzeuge sauber sortiert wie ein Chirurg, dann ist der Zynismus dieser Welt kaum zu ertragen.

Zur klaustrophobischen Stimmung trägt auch die Tatsache bei, dass es in diesem Film keinen richtigen Helden gibt, der den Zuschauer an die Hand nehmen könnte. Zum einen wird die Handlung von vielen verschiedenen Figuren vorangetrieben, statt sich auf einen Protagonisten zu konzentrieren, zum anderen wirken selbst der Widerstand der Häftlinge und ihr Einsatz für den Jungen kaum heroisch, sondern eher wie eine zwangsläufige Reaktion auf eine Umwelt, in der bloß noch die Zweckmäßigkeit regiert – die der Vernichtung, die des Überlebens, die des Terrors und die des Zusammenhalts.

Das führt zur zweiten großen Stärke von Nackt unter Wölfen: Basierte die Handlung nicht auf eigenen Erfahrungen von Bruno Apitz, müsste man es als genialen literarischen Einfall loben, den Plot in den letzten Wochen vor der Befreiung des KZ anzusiedeln. Zu diesem Zeitpunkt zeigt sich eine Spur von Nachgiebigkeit, wenn auch nicht Reue, bei manchen Tätern. Und zugleich wird das Festhalten an einen Rest von Humanität bei den Opfern immer verzweifelter.

Dieses Timing wirft die Fragen auf, die Nackt unter Wölfen so bewegend machen: Ist ein Toter kurz vor der Befreiung des Lagers tragischer als ein Toter drei Jahre zuvor? Ist das Leben eines Kindes mehr wert als das eine Greises? Das Leben eines Verwandten mehr als das eines Fremden? Nicht zuletzt auch: Ist das Leben eines Kommunisten mehr wert als das Leben eines Sinti und Roma, Juden oder Homosexuellen?

Absoluter Egoismus, getrieben von nackter Existenzangst, trifft in den Tagen unmittelbar vor der Befreiung des KZ und dem Zusammenbruch der Nazi-Herrschaft auf Kumpanei und Klüngel – und zwar auf beiden Seiten. Auch dem Zwiespalt zwischen Gehorsam und Feigheit sehen sich hier sowohl die kommunistischen Verschwörer als auch die SS-Wachen ausgesetzt. Alle stehen in diesen Tagen vor der Frage: Sollen sie die eigene Haut retten oder ihr Leben, so kurz vor dem absehbaren Ende des Krieges, noch für ein übergeordnetes Ideal riskieren? Es ist dieser Kunstgriff, der Roman und Film so eindrucksvoll, spannend und vielschichtig macht. Und der dafür sorgt, dass ein kleiner Junge zum perfekten Symbol für die Botschaft wird: Der wichtigste Wert des Menschen ist seine Menschlichkeit.

Bestes Zitat:

„Sie wollen Tiere aus uns machen. Aber das werden sie nicht schaffen.“

Der Trailer zum Film.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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