Film | Wer wenn nicht wir | |
Produktionsland | Deutschland | |
Jahr | 2011 | |
Spielzeit | 125 Minuten | |
Regie | Andreas Veiel | |
Hauptdarsteller | August Diehl, Lena Lauzemis, Alexander Fehling, Thomas Thieme, Imogen Kogge, Michael Wittenborn, Susanne Lothar, Sebastian Blomberg | |
Bewertung |
Worum geht’s?
Tübingen 1961: Bernhard Vesper studiert Germanistik und schreibt nebenher mit großer Leidenschaft eigene Texte. Seine literarischen Ambitionen beziehen sich aber nicht nur auf den Traum, ein Dichter zu werden. Er will auch die Werke seines Vaters rehabilitiert sehen, der während der NS-Zeit ein gefeierter Autor war und seitdem ignoriert wird. Ein eigener Verlag erscheint wie die ideale Lösung: Bernhard setzt die Idee gemeinsam mit seiner Kommilitonin Gudrun Ensslin in die Tat um, die erst seine Geschäftspartnerin, dann seine Mitbewohnerin und schließlich seine Geliebte wird. Doch neu aufgelegte Werke stigmatisierter Autoren verkaufen sich nicht allzu gut. Erst, als der Verlag auf aktuelle und politische Texte setzt, stellt sich der Erfolg ein. Der Verlag wird eine wichtige Kraft im Aufbegehren gegen die Nazi-Generation. Die Frage, wie weit man dabei gehen soll, führt aber nach und nach zu Differenzen zwischen Bernhard und Gudrun – nicht nur wegen der unterschiedlichen Lebenswege ihrer eigenen Eltern.
Das sagt shitesite:
Die zentralen Fragen der 68er-Bewegung konzentriert Wer wenn nicht wir in der Biographie zweier Menschen: Wie kann man die Generation der Eltern dazu bringen, sich ihrer Verantwortung für die NS-Zeit zu stellen, statt die Nazijahre zu verdrängen oder gar zu verklären? Und wie wird man der historischen Aufgabe gerecht, es selbst besser zu machen?
Der Film beginnt mit einer Szene aus Bernhards Kindheit in den Nachkriegsjahren, danach wird immer wieder dokumentarisches Material eingestreut. Aber viel weniger als beispielsweise in Der Baader Meinhof Komplex geht es in Wer wenn nicht wir um eine möglichst vollständige Erzählung der RAF-Vorgeschichte. Stattdessen steht die Psyche im Mittelpunkt.
Bernhard will sich nicht von seinem Vater, dem Hitler-Verehrer, lossagen und beharrt darauf, dass man poetisches Werk und politische Position getrennt voneinander betrachten müsse. Pastorentochter Gudrun, deren Vater von den Nazis festgenommen wurde, hätte sich von ihren Eltern energischeren Widerstand gewünscht, weil sie doch zu den wenigen gehörten, die das Unrecht der Nazi-Herrschaft erkannt hatten.
Im Schreiben sehen beide das geeignete Werkzeug für den Versuch der Emanzipation. „Ich schreibe so wie wenn man mit der Faust in die Fresse der Gesellschaft haut“, sagt Bernhard im Sturm und Drang eines Erstsemesters. In ihrer Beziehung und in ihrer Welt wird erst alles von der Literatur dominiert, dann alles von der Vergangenheit, dann alles von der Frage, wie weit Opposition gehen darf und muss.
Wer wenn nicht wir profitiert dabei nicht nur vom zeitgeschichtlichen Kontext, sondern auch von spannenden Geschlechterrollen: Er macht auf genialisch, sie übernimmt die praktischen Belange und legt die Zielstrebigkeit an den Tag, die er nur vorgaukelt – auch aus dieser Rollenverteilung, und nicht nur aus leidenschaftlichen Gefühlen, entsteht ihre gegenseitige Abhängigkeit. Seine Rolle als Romantiker und ihre als Macherin zeigt sich auch in ihren inneren Konflikten: Er kämpft mit der Last der Vergangenheit, mit der Frage nach Verarbeitung und Versöhnung, sie mit den Herausforderungen der Gegenwart, der Definition von Widerstand und Selbstfindung.
Es ist in beiden und zwischen beiden ein intellektueller Kampf, der sich ganz langsam anbahnt und dessen Hartnäckigkeit gerade dadurch deutlich wird. Sehr spannend führt der Film damit zu seiner zentralen Frage hin, die auch Bernhard und Gudrun letztlich spaltet: wie weit man der Kraft des Geistes vertrauen und wie viel man ihr zutrauen darf.
Bestes Zitat:
„Man muss nicht jeden Gedanken zur Tat schrumpfen lassen.“
Der Trailer zum Film.