Künstler | Dream Nails | |
Album | Dream Nails | |
Label | Alcopop Records | |
Erscheinungsjahr | 2020 | |
Bewertung |
Man könnte das einfallslos finden: eine Punkband, die einen Song namens DIY aufnimmt, also das Credo vertont, das den Kern dieses Genres bildet. Dream Nails haben aber sehr, sehr gute Argumente gegen diesen Vorwurf. Erstes ist dieses Stück das beste auf ihrem famosen Debütalbum. Zweitens leben sie das Ethos von Unabhängigkeit und Individualität so authentisch und überzeugt, wie es nur geht. Und drittens bezieht sich das „Do It Yourself“ bei diesem Quartett aus London keineswegs nur auf Musik, Kunst oder Heimwerken, sondern hat eindeutig auch eine sexuelle Komponente. Schließlich betrachten sich Sängerin Janey Starling und ihre Mitstreiterinnen als queer-feministische Band. DIY wird mit seinem Call and response extrem kurzweilig und nicht zuletzt, und natürlich ist genau das die Idee, ist es aufstachelnd. Wer Dream Nails hört, soll aktiv werden. Man nennt das auch: Empowerment.
Die Platte enthält 15 Tracks, davon sind vier Skits, die genauso auf die wichtigsten Themen dieser Band verweisen wie die Songs selbst, denn es gibt darin unter anderem Tipps zur Selbstverteidigung und einen Nachrichtenbeitrag über Frauen, die in einem Bus zusammengeschlagen wurden, weil sie sich der dämlichen Anmache von ein paar Typen entziehen wollten. „Not all women have vaginas“, wird in dem kurzen Einspieler vor Vagina Police klargestellt, das Lied macht dann deutlich, dass diese Polizei ziemlich brutal und nicht allzu gesetzestreu ist. Ganz am Ende des Albums klingen Dream Nails in Kiss My Fist ebenfalls wie eine Einheit, die zu allem bereit ist, auf Regeln scheißt und ihre Kraft aus dem Zusammenhalt bezieht – nicht nur wegen der Drohung „We’re gonna eat your brains.“
Payback thematisiert den skandaläsen Umgang mit Opfern von sexueller und körperlicher Gewalt. „In Großbritannien führen nur 1,5 Prozent aller Vergewaltigungsfälle zu einer Vorladung oder Anklage. Payback ist ein Song darüber, wie unser Strafjustizsystem daran scheitert, Überlebenden zu helfen – und darüber sind wir wütend“ sagt Janey Starling. Natürlich braucht man nicht solche Statistiken, um glaubhaft empört zu sein, aber die Informiertheit, die aus der Musik (und den Interviews) von Dream Nails spricht, ist in jedem Fall ein Pluspunkt. Starling weiß auch, dass im UK pro Woche zwei Frauen von ihrem Partner oder Ex-Partner ermordet werden („So viele Frauen haben sexuellen und körperlichen Missbrauch erlebt und tragen die Narben der Erinnerung daran – sie werden aber niemals Gerechtigkeit dafür erfahren.“), auch ihnen ist Payback gewidmet. Die Band klingt hier wirklich furchteinflößend, Dream Nails zeigen unmissverständlich, wie ernst es ihnen ist und zugleich die größte musikalische Bandbreite aller Songs auf dieser Platte.
Zu den Stärken dieses Debüts zählt indes auch, dass das 2015 gegründete Quartett bei allem Engagement und Aktivismus auch Raum für Leichtigkeit lässt. Jillian eröffnet den Reigen mit einem kraftvollen Bass und abenteuerlustigen Drums, später kommt ein Surf-Gitarrensolo hinzu und der Gesang klingt zunächst betont mädchenhaft, bis er am Ende auch Zähne zeigt. This Is The Summer wirkt wie die Bangles auf dem Kriegspfad oder Bleached im Aggro-Modus, das geistesverwandte Swimming Pool erlaubt sich (und uns) einfach mal Unbeschwertheit und Spaß, People Are Like Cities klingt wie eine Riot-Girl-Version der Pipettes, und das ist ein Konzept, das viel, viel besser funktioniert als man sich je hätte vorstellen können.
Die Single Text Me Back (Chirpse Degree Burns) behandelt das Zusammentreffen von Dating-Apps und Ghosting. „Jeder, der jenseits der M25 geboren wurde, weiß dass ‚chirpse‘ Londoner Slang für ‚flirten‘ ist, und ‚chirpse degree burns‘ eben die Verletzungen sind, die man sich zuzieht, wenn man erfolglos flirtet“, erklärt Janey Starling. „Dieser Song ist ein Tribut an dieses magenumdrehende Gefühl, wenn man alle fünf Minuten auf sein dummes Telefon schaut, ob man endlich eine Nachricht erhalten hat.“ Genau dieser Mix aus gekränktem Stolz, Taumel, Hoffen und Bangen prägt das Lied dann auch. Das wilde Corporate Realness bringt hingegen in Erinnerung, wie schlimm es eigentlich ist, einen großen Teil seiner Lebenszeit mit einem Bürojob zu verbringen, den man nicht leiden kann. Auch dieser Song ist sehr exemplarisch für den Effekt von Dream Nails: Man hört die Frustration, noch mehr aber die befreiende Freude, die Revolte und Ausbruch bringen können.