Künstler | Drose | |
Album | Boy Man Machine+ | |
Label | Computer Students | |
Erscheinungsjahr | 2019 | |
Bewertung |
Fast N’Loud. Top Gear. Steel Buddies. PS Profis. Turbo. So heißen Autosendungen im Fernsehen, und man sieht darin sehr häufig kräftige Männer, großflächig tätowiert, meist in schwarz gekleidet, bei schweißtreibenden/gefährlichen Tätigkeiten. Ich bin kein Experte in diesem Metier, aber ich kann mir gut vorstellen, dass als musikalische Untermalung nicht selten zu härteren Gitarrenklängen gegriffen wird. Autos und Metal – das scheint zusammenzupassen, womöglich gar zusammenzugehören.
Drose aus Ohio sehen nicht unbedingt aus wie die typischen Schrauber, die in diesen Sendungen so gerne gezeigt werden. Dope statt Dosenbier, Tofu statt Schnitzel, Gammeln statt Bleifuß – wenn man auf Klischees steht, könnte man Sänger und Gitarrist Dustin Rose, Gitarrist Gregory Packet und Schlagzeuger John Mengerink vielleicht so umschreiben. Die Idee von „Autos und Metal“ haben sie trotzdem ebenfalls umgesetzt, und zwar auf sagenhaft konsequente Weise: Ihr Album Boy Man Machine haben sie im Center for Automotive Research in ihrer Heimatstadt Columbus aufgenommen, während dort ein Rennauto konzipiert und gebaut wurde. Zusätzlich zu den Instrumenten und dem Gesang haben es also reichlich Maschinengeräusche mit auf die Platte geschafft, von Hebebühnen, Schweißgeräten, Fräsen und all den anderen Werkzeugen, an denen sich die PS-Freunde in den Fernsehdokus so gerne austoben.
Das Konzept passt zum Ansatz dieser Band, Heavy Metal unbedingt als Experiment zu begreifen und damit die Möglichkeiten des Genres zu erweitern (und zu ihrem Look, der eher Nerds als Headbanger vermuten lässt). Man sollte aber nicht glauben, Boy Man Machine+ würde deshalb irgendetwas von der Härte verlieren, die Drose ebenso ausmacht: The Unraveling eröffnet das Album und klingt, als spreche jemand aus der Hölle zu uns und flehe um Erlösung von seinen Qualen. Das folgende An Idol könnte mit seinen Schritten, Hecheln und weiteren Geräuschen gut einen Horrorfilm à la Blair Witch Project untermalen. A Loss setzt zunächst nur auf Schlagzeug und Gesang, bevor dann nach zweieinhalb Minuten die Gitarre hinzukommt und klingt wie eine Massenvernichtungswaffe. The Man wirkt, als habe Dante auf dem Weg ins Inferno ein Aufnahmegerät dabei gehabt. Bei A Change scheinen die Instrumente mehrfach einen echten Song in Gang setzen zu wollen, aber der Gesang kann sich vor lauter Schmerz offensichtlich nicht darauf einlassen.
Warum die zehn Songs von Boy Man Machine, ursprünglich im April 2016 über Orange Milk Records veröffentlicht, jetzt noch einmal neu herauskommen, erschließt sich zwar nicht unmittelbar. Allein die wundervolle Verpackung für die verschiedenen Formate legt aber die Vermutung nahe: Hier haben wir es mit einem Liebhaberprojekt der Leute von Computer Students zu tun. Sie haben das ursprüngliche Album von Carl Saff neu mastern lassen. Außerdem sind auf Boy Man Machine+ drei bisher unveröffentlichte Songs von Drose zu hören, die im Dezember 2018 aufgenommen wurden, und die vier Stücke von der ersten Single der Band aus dem Jahr 2012. Insgesamt kommt man so auf eine Spielzeit von mehr als 72 Minuten.
Das ursprüngliche Konzept, quasi Ingenieurskunst und industrielle Anlagen mit zu Autoren der Songs zu machen, wird etwa in Numerical Control sehr deutlich, das wie die letzten Zuckungen einer Maschine klingt, oder in A Clay Mind mit seinem ebenso primitiven wie plakativen Rhythmus. Mechanism Is Lord eröffnet ein Trommelschlag wie ein Peitschenhieb, dann setzt sich ein Berserker-Sound in Gang, in dem man durchaus die Urkraft von hydraulischen Pressen oder Stahlscheren heraushören kann. Das sorgt, auch im Vergleich zu anderen Industrial-Metal-Hybriden, für eine in der Tat ziemlich einmalige Ästhetik – His Reflection, der Abschluss der ursprünglichen Platte (mit einem zusätzlichen Bass von Bob Brinkman) ist eines der wenigen Stücke, die man sich mit etwas Fantasie auch von anderen Acts vorstellen könnte.
Erstaunlich an dem Bonusmaterial ist, wie kohärent es sich anschließt. Von den drei neuen Stücken wird The Tapping etwas theatralischer und dissonanter als der Durchschnitt bei Drose, A Room bekommt trotz betonter Langsamkeit eine große Wucht. Klingt darin die Gitarre von Gregory Packet wie ein Stachel im Fleisch, weiß man bei Mine nicht, ob das Schlagzeug von John Mengerink den Sänger Dustin Rose eher antreiben oder umbringen will. Die vier Stücke von der Debüt-Single, die ebenfalls neu gemastert wurden, fügen sich ebenfalls nahtlos ein. A Voice könnte man für den Soundtrack einer Beschwörung in einer Satans-Sekte halten, das tonnenschwere My Face kommt der Erfahrung nahe, zum Zuschauen bei einer Hinrichtung gezwungen zu sein. Bei A Cry wird am besten erkennbar, wie viel Komplexität in der Musik von Drose stecken kann. Das abschließende Knuckle hat fast Hörspiel-Charakter. Wüsste man nicht, dass es vier Jahre vor Boy Man Machine und sieben Jahre vor dieser Neuauflage erschienen ist, könnte man sagen: ein passender Schlusspunkt für die Idee, die Geräte zur Klangerzeugung selbst zum Thema des Klangs zu machen.