Autorin | Alexa Hennig von Lange |
Titel | Je länger, je lieber |
Verlag | C. Bertelsmann |
Erscheinungsjahr | 2013 |
Bewertung |
Sie will gerade sein Hemd aus der Reinigung holen, da ertappt Mimi ihren Mann mit einer anderen Frau, knutschend, mitten in der Stadt. Für sie bricht eine Welt zusammen. Um den Kopf frei zu bekommen, zieht sie zu ihrer Großmutter Clara, zu der sie ein besonders inniges Verhältnis hat, seit ihre Eltern bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen sind. Doch die Oma hat kaum Zeit, ihre Enkelin aufzupäppeln: Sie bricht zusammen und muss ins Krankenhaus. Dort diagnostiziert der Arzt bei der fast 100-Jährigen ausgerechnet: ein gebrochenes Herz.
Es ist eine doppelte Liebesgeschichte, die Alexa Hennig von Lange (40) in ihrem neuen Roman Je länger, je lieber erzählt. Denn während Mimi vor der Frage steht, ob sie ihrem Mann verzeihen oder lieber aus Rache mit ihrem Jugendfreund Bruno anbandeln soll, entdeckt sie uralte Liebesbriefe ihrer Großmutter. Als ganz junges Mädchen hatte sich Clara in Spanien unsterblich in Jacques verliebt, doch die beiden fanden nie zusammen, weil Jacques dann Claras bester Freundin Daria versprochen wurde. Mimi ahnt: Wenn sie alles über diese unvollendete Beziehung herausfindet und Jacques aufspüren kann, bedeutet das vielleicht die Rettung für das kranke Herz ihrer Großmutter – und es kann ihr womöglich die Augen dafür öffnen, was Liebe wirklich bedeutet.
Je länger, je lieber ist ein Roman, den man sich sehr gut auch als romantische Komödie im Hollywoodformat vorstellen kann. Dazu trägt auch bei, dass eine durchaus üppige Requisite nötig wäre: Die Handlung umspannt ein ganzes Jahrhundert, Mimis Suche nach Jacques führt um die halbe Welt. Und nicht zuletzt hat dieser Plot die richtige Mischung aus hoch gespannten Erwartungen und den kleinen Alltäglichkeiten, die perfekt für den Mainstream-Geschmack sind.
Das wundert nicht bei einer Autorin, die seit ihrem Debüt Relax (1997) gut und gerne 20 Bücher vorgelegt hat. In der Tat hat Je länger, je lieber gelegentlich ein paar Momente, die zu viel Routine und Handwerk und zu wenig Esprit und Eleganz beweisen. Ein Beispiel: Zufälligerweise räumt Mimi gerade das Archiv ihrer Firma auf, als sie der Spur in die Vergangenheit ihrer Großmutter folgen will, und prompt findet sich ein hilfreiches Fax. Es gibt eine Sexszene im Waldsee, die auch gut in den einen oder anderen Groschenroman passen würde. Und als Mimi nach und nach klar wird, dass sie vor lauter Pflichtgefühl schon ewig ihre eigenen Träume und ihr eigenes Leben vergessen hat, da gibt es einige Passagen, die man Dutzendweise am Kiosk (im Regal mit den Frauenzeitschriften) bekommt.
Bezeichnenderweise ist keine der Frauenfiguren in diesem Roman glücklich. Alle sind gescheitert im Prozess der Selbstvergewisserung, alle sind auf eine gewisse Weise emanzipiert, aber nicht von den Konventionen, die sie über ihre eigenen Wünsche gestellt, und nicht von der Bürde, der sie mehr Kraft als ihren Träumen zugetraut haben. Insbesondere Mimi und Clara wirken so auf Dauer wie ein gedankenloser, leicht missratener Zwilling ihres eigenen Selbst. Sie haben beide jahrzehntelang in der Gestalt dieses Zwillings gelebt. Beide müssen nun in die Vergangenheit reisen, um die Weiche zu entdecken, die sie aufs falsche Gleis geführt hat und um dann hoffentlich noch einmal neu in die Spur finden zu können.
Manches in diesem Buch ist zu explizit, wiederholt entwickelt Alexa Hennig von Lange einen klugen Gedanken, eine interessante Parallele oder eine rührende Szene wie die, in der Jacques all die Briefe vergräbt, die er von Clara erhalten hat. Aber selten lässt die Autorin dem Leser das Vergnügen, das selbst zu entdecken, sondern sie reibt es ihm ein paar Sätze später gerne in aller Deutlichkeit unter die Nase.
Trotzdem ist Je länger, je lieber ein sehr kurzweiliges, oftmals bewegendes Buch. Zum einen trägt dazu schlicht die Spannung bei: Warum fanden Clara und Jacques nicht zusammen, obwohl sie doch mehr als 80 Jahre Zeit dafür hatten? Kann Mimi die Jugendliebe ihrer Großmutter noch finden? Und wird sie ihrem eigenen Mann noch eine Chance geben? Immer abwechselnd erzählt Alexa Hennig von Lange die Geschichte von Claras Liebe und von Mimis Suche, und schon nach etwa der Hälfte des Buches sind beide so aufregend, dass man am liebsten die Mimi-Kapitel überspringen möchte, um zu erfahren, wie es mit Clara weitergeht – und umgekehrt.
Zum anderen hat die Geschichte von Clara und Jacques (vor allem die Briefe, aus denen gelegentlich zitiert wird) eine enorme Poesie. Als sie sich verlieben, sind sie fast noch Kinder, nicht einen einzigen Kuss hat es zwischen ihnen gegeben, doch sie kommen ein Leben lang nicht los von dem Wunsch, an der Seite des anderen zu sein. Im hohen Alter haben sie längst erfahren, dass es immer tragisch endet, wenn sie versuchen, sich anzunähern („All die hilflosen Versuche, dem Schicksal zu entrinnen, hatten es nur immer schlimmer gemacht, und nun waren wieder zwei Menschen bei einem dieser Versuche auf der Strecke geblieben“, meint Jacques an einer Stelle konsterniert angesichts etlicher Toter in dieser Geschichte) – aber dennoch wirkt da eine magische Kraft zwischen ihnen.
Es geht in Je länger, je lieber um Verlust und die Kunst, damit umzugehen, ohne ihn je als gerecht zu empfinden. Es geht aber vor allem um die bedingungslose Hingabe, die es eben nur um den Preis gibt, dass man möglicherweise irreparabel verletzt wird. Vor allem zeigt dieser Roman, wie schwierig es ist, die richtige Entscheidungen zu treffen: Jacques und Daria haben in ihrer Jugend einmal zu wenig Nein gesagt, und das hat ihr Leben ruiniert. Mimi und Carla haben in ihrem Leben viel zu oft ja gesagt und sich damit eine Last aufgeladen, die sie schließlich erdrückte.
Bestes Zitat: „Sie lächelte nicht wie ein kokettes Mädchen. Nicht wie Daria, die sich ihrer Schönheit bewusst war und die Männer mit ihrem Anmut um den Finger wickelte. Clara lächelte wie das Leben selbst. Wie der Sand, auf dem die Wellen brandeten. Wie der Wind, der über ihr niedliches Gesicht strich. Wie das Luftanhalten unter Wasser. Wie der Schatten, den die Olivenbäume warfen. Wie die Trauben, aus denen seine Familie den Wein gewann.“