Durchgelesen: Alexander Gorkow – „Kalbs Schweigen“

Alexander Gorkows Zynismus ist verblüffend. Zumindest manchmal.
Autor Alexander Gorkow
Titel Kalbs Schweigen
Verlag Diana
Erscheinungsjahr 2004
Bewertung **

Medienjournalisten sind per se in einer Zwickmühle. Ähnlich wie Spielertrainer sollen sie etwas beobachten und bewerten, zu dem sie doch selber beitragen und in das sie selbst verwickelt sind. Wenn Medienjournalisten in dieser Rolle auch noch die Medien aufs Korn nehmen (und das tun sie meistens), dann wird es ein wenig absurd.

Das ist das Problem an „Kalbs Schweigen“ von Alexander Gorkow. Der Autor leitete früher die Medienseite der „Süddeutschen Zeitung“ und ist heute für deren Wochenendbeilage zuständig. Wie distanziert er seinem Metier und dessen Protagonisten gegenüber steht, lässt das Buch nicht bloß erahnen. Wie wenig er damit auch von seinen Kollegen, seinen Chefs und seinem Publikum hält, wird ebenfalls deutlich.

Gorkows Debütroman ist in seinem Zynismus manchmal verblüffend, am Ende rührend und stets hellsichtig. Er erkennt viele Mechanismen und Probleme der Journaille: ihre Selbstfixiertheit, ihren Fatalismus, ihre Arroganz. Wenn er mit seiner Geschichte, die von einem plötzlich verstummten Talkshow-Moderator erzählt, jedoch deutlich machen will, wie sehr seine Figuren (und wohl auch er selbst) unter diesem System leiden, dann macht er Täter zu Opfern.

Beste Stelle: „Sämtliche Programmreformen der vergangenen Jahre waren trotz blumenreicher Begleiterklärungen seitens der Intendanz und der devoten Pressestelle jener Intendanz auf nichts anderes ausgerichtet als darauf, den notorischen Entrüstungsdrang der Leute draußen im Lande zu füttern und ihn mit kasperbunten Abgeschmacktheiten andererseits wieder zu betäuben. Immer wieder hatte Kalb auch seinen Leuten eingetrichtert: ‚Es geht um Rührung oder Entrüstung oder Betäubung, den Rest können wir bitte vergessen.‘ Auf gewöhnliche Zugverspätungen reagierten die Menschen, für die dieses Programm gemacht wurde, mit Tätlichkeiten gegen das Bahnpersonal und auf minimale politische Krisen oder einen toten Soldaten, der bei einem Auslandseinsatz von einer Spinne in seinem Feldbett vergiftet worden war, mit Hamsterkäufen, Massendemonstrationen und damit, ihre weinenden Kinder in die Fernsehkameras zu halten. Kalb war das vollkommen egal.“

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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