Autor*in | Angela Elis | |
Titel | Betrüger-Republik Deutschland. Streifzug durch eine verlogene Gesellschaft | |
Verlag | Piper | |
Erscheinungsjahr | 2012 | |
Bewertung |
Das Bedürfnis, sich einmal so richtig auszukotzen, ist – verständlicherweise – weit verbreitet in diesen Tagen. Will man das besonders stilvoll, lukrativ und breitenwirksam tun, dann hilft es, wenn man mal im Fernsehen war (als Moderatorin unter anderem von ZDF-Wiso) und einen Beststeller mitgeschrieben hat (Typisch Ossi – typisch Wessi, gemeinsam mit Michael Jürgs). Auf Angela Elis trifft beides zu. Also kotzt sie. Und zwar richtig. Ihre Botschaft scheint zu lauten: Die Zeiten sind mies, und die Zukunft wird noch schlimmer.
Betrüger Republik Deutschland – Streifzug durch eine verlogene Gesellschaft heißt ihr aktuelles Buch. Es geht darin nicht etwa um die kleinen Gaunereien, mit denen wir uns alle durchs Leben schleichen, von Versicherungsbetrug bis zum Schwarzfahren (welche Tricks bei den Deutschen besonders beliebt sind, habe ich übrigens hier zusammengestellt). Sondern um das Gefühl, dass man allerorten bloß noch verarscht wird, dass der Anstand ebenso vom Aussterben bedroht ist wie das Ursprüngliche, Wahre, Echte. „Das Leben fühlt sich irgendwie falsch an“, umreißt Angela Elis den Ausgangspunkt für ihr Buch.
Natürlich trifft sie damit den Zeitgeist. „Fassadenpersönlichkeiten haben Hochkonjunktur“, stellt sie fest, um später noch deutlicher zu werden: „Schaut man derartige Metamorphosen nicht nur bei den Politikern an, sondern auch in den Medien, in der Ernährungs- und Gesundheitsbranche oder in Bezug auf den Finanzmarkt, dann ist die Analyse klar: Wahrheit wird systematisch abgeschafft. Es regiert das Prinzip von Vertuschung und Verblendung. Neben Täuschen und Tricksen geht es ums Faken, Wulffen und Guttenbergen. Uns umgibt eine Kultur des Lügens und Betrügens.“ Am Schluss schreibt sie gar, vor lauter Blasen hätte sich hierzulande eine „Zivilisation der Flatulenz“ herausgebildet.
Selbstverständlich hat Angela Elis auch die Ursachen dafür erkannt. Überall steigt der Druck – und als Resultat wollen wir mehr scheinen als sein. Die Inszenierung wird wichtiger als der Inhalt. Das gilt im Beruf, in der Wissenschaft, in den Medien, in der Beziehung. Außerdem schuld an der Blenderitis sind, je nachdem, welche Seite von Betrüger-Republik Deutschland man gerade aufschlägt: Technik, Internet, Konsum, Fernsehen, Bild-Zeitung, Werbung, Bologna-Reform, Lebensmittelindustrie, Gesundheitswesen.
Ähnlich bunt gemisch sind die Beispiele, die Angela Elis für ihre Thesen anführt. Sie reichen von Scripted Reality bis zum vernetzten Kühlschrank. Facebook ist in ihren Darstellungen mitunter schon einmal genauso gefährlich wie Fukushima und die Wirkung von Dieter Bohlen wird mit der von Werbung für Fertigessen verglichen. Auf Seite 22 schafft es die Autorin, innerhalb weniger Absätze etwa auf Michelle Hunziker, Antje Vollmer und Die unendliche Geschichte als Quellen zu verweisen.
Diese totale Beliebigkeit in den Belegen und Beispielen passt leider zum Buch insgesamt: Es gibt hier viel Empörung, aber keine Systematik, keine Synthese und erst recht keine Lösungen. Angela Elis macht sich beispielsweise nicht die Mühe, die Begriffe „Blender“, „Betrüger“ und „Lügner“ zu definieren oder vor allem voneinander abzugrenzen. Stattdessen schreibt sie sich – beinahe muss man ihr Neid und Beleidigtsein unterstellen – eine Menge Frust von der Seele. Mit den Fakten nimmt sie es dabei im Zweifel nicht so genau.
Was nicht zu ihrer These passt, blendet sie aus. Sie ist dabei oft genauso selektiv, polemisch und plakativ wie die bösen Medien, die sie in Betrüger-Republik Deutschland immer wieder kritisiert. Ein paar Beispiele: „Doch während die Brauerei [mit einer Werbekampagne, die pro verkaufter Kiste Bier die Rettung eines Quadratmeters Regenwald versprach] ihren Umsatz innerhalb von wenigen Jahren um 40 Prozent steigern konnte, schrumpfte der Regenwald weiter.“ Ein typischer Fall von unseriös interpretierter Statistik, schließlich kann der Regenwald aus anderen Gründen weiterschrumpfen, selbst wenn die Brauerei-Kampagne ein Erfolg sein sollte (ebenso wie das Umsatzwachstum andere Gründe als die Werbekampagne haben kann). Später beklagt Angela Elis, Journalisten würden nicht mehr recherchieren, dabei wurden viele der von ihr angeprangerten Skandale erst durch die Medien aufgedeckt. Ärzte sind bei ihr erst Absahner und Handlanger der Pharmaindustrie, ein paar Seiten später werden sie genauso pauschal gelobt für „direkte Hilfe am Menschen“. Das Internet ist nach Ansicht der Autorin natürlich schädlich und verführt die Kids in sozialen Netzwerken zu allerlei Blödsinn, gleichzeitig winkt im Netz aber „mit ein paar Klicks“ Aufklärung in Sachen Lebensmittellügen.
Die Täuschung „gelingt am besten, wenn die Verleumdung perfide in Halbwahrheiten gekleidet wird, garniert mit einem Schuss Empörung“, lautet ihr Vorwurf – genau diese Methode wendet Angela Elis aber selbst an. Manches aus Betrüger-Republik Deutschland würde auch gut in die Texte von Hasspredigern oder anderen Radikalen passen, die in unserer Gesellschaft nur noch Dekadenz erkennen und den Untergang des Systems herbeireden wollen, indem sie seine Verdorbenheit zeigen. Sätze wie diese sind nicht mehr weit weg von einer dazu passenden Verschwörungstheorie: „Lächelnd vorgetragene Lügen, galantes Betrügen und cleveres Tricksen sind heute nicht mehr die Fehlorientierungen einzelner Hochstapler, sondern etabliertes Verhalten in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen. Das Vorgaukeln – das bei genauerer Prüfung zwar keinen Bestand hätte, aber wer kriegt das noch mit? – hat Systemcharakter angenommen. Wir sind längst darauf konditioniert, nicht mehr viel mitzubekommen.“
Natürlich legt die Autorin in vielen Punkten zu Recht den Finger in die Wunde. „Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit haben in dieser hemmungslos manipulierten Konsumwelt keinen prominenten Platz mehr. Sie werden systematisch ins Abseits verdrängt. Stattdessen greifen wolkige Versprechen und aufregende Inszenierungen um sich“, schreibt sie beispielsweise – wer wollte da widersprechen? Aber ihre Schlussfolgerungen sind bedenklich.
Schließlich stellt sie selbst fest, dass wir alle, statistisch erwiesen, etwa 200 Mal pro Tag lügen. Und sie schreibt mehrfach richtig: Zum Betrügen gehört auch immer jemand, der sich betrügen lässt. Doch in Betrüger-Republik Deutschland scheinen alle Menschen ohnmächtig, naiv, bequem und dumm zu sein. Selbst, wenn man dieses Weltbild teilt, müsste man sagen: Wenn das so ist, dann sind diese Menschen selbst schuld. Aber Eigenverantwortung kommt in diesem Buch so gut wie nicht vor.
Überall sieht die Leipziger Autorin Verdummung, Manipulation und hilflose, überforderte, passive Empfänger. Sie stellt sich eine geistige/moralische Konsum-Elite vor, die mit gutem Beispiel vorangeht und die Regeln für alle anderen definiert. Wer sie bilden soll, bleibt aber ebenso offen wie die Frage, wer eigentlich das Gute/Wahre/Echte festlegen sollte. Folgt man ihren Thesen, dann ergibt sich eine durchregulierte Welt, in der keiner mehr das Recht/die Möglichkeit hätte, einen Fehler zu machen.
Aber Demokratie bedeutet eben auch, dass man dumm und geschmacklos sein darf. Sie bedeutet, dass man sich verarschen lassen darf, sogar flächendeckend. Und sie bedeutet auch, dass es legitim ist, wenn alle lügen, betrügen, täuschen und tricksen, alle darum wissen und alle damit einverstanden sind. Wie gering das Recht auf Selbstbestimmung in den Augen der Autorin ist, zeigt diese Passage: Die Profitgier im Gesundheitswesen geht ihrer Ansicht nach empörenderweise so weit, „dass am Lebensende mit teuren ärztlichen Leistungen das Sterben hinausgezögert wird, um noch ein letztes Mal mit dem Patienten Gewinn zu machen“. Ich bin sicher, dass es eine Menge Patienten gibt, die das Hinauszögern des eigenen Sterbens für eine ziemlich gute Sache halten. Bei Angela Elis wird daraus Abzocke der Ärzte, Betrug, Blendwerk und die Abschaffung des Echten.
Immerhin: Das letzte Drittel des Buches ist deutlich besser – fast in einem Ausmaß, als habe es ein anderer Autor verfasst. Vor allem das Kapitel Die Lizenz zum Tricksen ist lesenswert (und enthält letztlich die einzig strukturierten Passagen in diesem Buch). Hier wird die Psychologie des Betrügens beleuchtet, auch die Rolle derer, die betrogen werden (wollen). Auch darin wird deutlich, dass es Angela Elis nur gut meint, aber in diesem Buch viel zu oft von ihrer eigenen Wut übertölpelt wird. Letztlich wünscht sie sich mehr Menschlichkeit, und die setzt sie gleich mit Wahrhaftigkeit. Was ein reizvoller Gedanke ist, aber unrealistisch.
Auch die Auswege, die sie am Schluss des Buches aufführt, müssen deshalb Sackgassen bleiben. Zwar werden da Ziele formuliert, aber der Weg dahin wird gerade nicht gezeigt. Diejenigen, die aktiv werden müssten werden ebenso wenig konkret benannt wie diejenigen, die diesem Wandel zum Guten im Wege stehen. Dabei liegen die besten Schutzmaßnahmen in der (oder gegen die) Betrüger-Republik Deutschland auf der Hand: Bildung, Transparenz und Kritik gehören dazu. Das Buch von Angela Elis nicht.
Bestes Zitat: „Mehr und mehr konstituiert sich eine Kultur der medialen Geschmacklosigkeit und Idiotie, wobei Abstumpfungseffekte zu den in Kauf genommenen Risiken und Nebenwirkungen gehören.“