Autor | Benjamin von Stuckrad-Barre | |
Titel | Auch Deutsche unter den Opfern | |
Verlag | Kiwi | |
Erscheinungsjahr | 2010 | |
Bewertung |
Was ist bloß aus dem guten, alten Stuckrad-Barre-Bashing geworden? Was das nicht mal der Schnösel, der sich für einen Schriftsteller hielt? Der Rotzlöffel, der erst einmal ein bisschen buckeln sollte, bis die Herren in der Beletage des deutschen Journalismus ihn überhaupt für wahrnehmenswürdig befanden? Der Typ, der sich hochschlafen wollte, als es karrieremäßig nicht mehr so gut lief?
Diese Zeiten sind offensichtlich längst vorbei. Es gibt einen neuen Konsens, und der lautet: Preiset den Herrn! „Wer unsere Republik im neuen Millenium begreifen will, kommt an diesem Buch nicht vorbei“, behauptet der Spiegel angesichts von Auch Deutsche unter den Opfern, einer Zusammenstellung von Stuckrad-Barres Reportagen für diverse Springer-Publikationen. Ganz ähnlich merkt auch die Zeit an: „Einen besseren Chronisten unserer Zeit gibt es einfach nicht.“ Und die FAZ attestiert ihm einen „unerbittlichen Blick“.
Die Lobhudeleien funktionieren offensichtlich so gut, dass sich Auch Deutsche unter den Opfern weiter ganz glänzend verkauft. Das Buch ist sogar so gefragt, dass die neuesten Auflagen (wegen einer Papierkrise, wer hielte so etwas in Zeiten des iPads noch für möglich!) beinahe hätten verschoben werden müssen, dann aber doch (auf minderwertigem Papier) erschienen sind.
Benjamin von Stuckrad-Barre wird selbst wissen, wie amüsant das alles ist. Denn genau die Leute, die einst Deutsches Theater zerrissen und Blackbox nicht verstanden haben, sind nun voll des Lobes. Ein bisschen ist es die Oasis-Strategie: Wenn man einfach nur lang genug dasselbe macht (und dieses Selbe so gut wie niemand sonst), finden es die Leute irgendwann wieder großartig.
Gerade zu Blackbox gibt es hier große Parallelen. Der damals noch erbittert geführten Debatte, ob das nun (schon) Literatur ist oder (doch bloß) noch Journalismus, ist Stuckrad-Barre längst entschwebt. Er verschmilzt Beides, wie Helmut Dietl bereits in seinem erstaunlichen Vorwort richtig analysiert. „Der Autor schreibt, was ist.“ Und weil sich diese Gegenwart/Realität/Szenerie eben nicht auf reine Fakten beschränken lässt, arbeitet er damit auch mit den Mitteln der Prosa.
So früh wie kaum ein anderer hat Stuckrad-Barre erkannt, dass Journalismus, vor allem politischer, der Wahrheitsfindung dienen muss. Und dass man dieser Wahrheit manchmal eben dann besonders nahe kommt, wenn man sich vom rein Faktischen löst und subjektiv, interpretierend, literarisch wird.
Diese Symbiose perfektioniert er in Auch Deutsche unter den Opfern. Er ist, wie schon bei Blackbox, vor allem Chronist eines politischen Systems, in dem die Inszenierung so bedeutend geworden ist, dass es nur noch mit einem künstlerischen Blick wirklich wahrhaftig betrachtet werden kann, ob bei der mittlerweile legendären Zugfahrt mit Angela Merkel, bei den Meinungsforschern von Forsa oder an der Basis, mit der Linken in Marzahn.
Stuckrad-Barre profitiert dabei nicht nur von seinem hoch sensiblen Gespür für die Details, die das Geschehen entlarven. Er ist vor allem ein Meister der Reduktion. Stets hat man in seinen Texten den Eindruck, dass da noch viel mehr war, dass da eine riesige Recherche erfolgt ist. Doch trotz seines nach wie vor vorhandenen Hanges, für einen schnellen Witz auch einen kleinen Umweg einzulegen („Wäre ich ein Porsche, ich würde vermutlich schon brennen“, meint er beim Besuch mit Anzug und Krawatte in einer Kreuzberger Kneipe), gerät Stuckrad-Barre nie ins Schwafeln. Seine Geschichten enthalten ganz viel Kern, er reißt Masken herunter und lässt Fassaden einstürzen. Er zeigt das Besondere im Allgemeinen. Mehr kann man von einer Reportage nicht verlangen.
Beste Stelle: „Ich kaufe jedes Best-Of-Album von Rod Stewart, einfach, um ihn jedesmal wieder neu zu feiern, diesen Mann, der einen immer daran erinnert, dass man in der Summe doch zu wenig Zeit in leopardengemusterten Badehosen verbringt. Vielleicht einfach mal wieder die Haare blond färben und über einen Ohrring nachdenken? Und das alles dann bleiben lassen, Rod hören, der macht das für uns.“
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