Autor | Christian Zaschke | th> |
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Titel | Little Britain. Notizen von der Insel | |
Verlag | Goldmann | |
Erscheinungsjahr | 2014 | |
Bewertung |
Die Kolumnen, die Christian Zaschke als London-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung unter dem Titel Little Britain geschrieben hat und die nun in diesem Büchlein versammelt sind, haben eine ganz besondere Eigenschaft: Wenn man nur eine davon liest und die Namen von Straßen oder Kneipen zuvor geschwärzt wurden, dürfte es ziemlich schwer fallen, zu erraten, aus welcher Weltgegend der Autor denn hier berichtet. Liest man sie allerdings alle hintereinander (und im besten Fall mit den entsprechenden Ortsangaben), entsteht ein sehr stimmungsvolles Bild von London, Großbritannien und den Menschen, die dort leben.
Manche Folgen von Little Britain (der erste Beitrag erschien noch unter dem Titel „Mein Empire“, bis der Name der Kolumne geändert wurde), hat Zaschke für die Buchversion ausgelassen, manche leicht überarbeitet. Das – nicht schematisch, aber dennoch mit einer unverkennbaren Vorliebe angewandte – Grundprinzip seiner Texte ist freilich erhalten geblieben: Es ist in den meisten Fällen eine Petitesse, die er aufgreift und als Ausgangspunkt für seine Gedankenspaziergänge wählt: die Gästeliste bei der Hochzeit von Prinz William, der Geschmack der Klebefläche von Briefmarken, eine Bestellung im Pub, ein Friseurbesuch, eine Begegnung im Zug, ein verlorenes Handy, eine Taxifahrt. Wenn der Autor umzieht, bringt ein solch epochales Ereignis natürlich gleich Stoff für mehrere Folgen mit sich.
Vielleicht kommt der Fokus auf das scheinbar Banale aus Zaschkes Skepsis gegenüber dem Kolumnenformat, dem er sich ursprünglich sogar verweigern wollte. „Niemand ist jede Woche auf Bestellung geistreich oder gar witzig. (…) Geliefert werden muss immer, 52 Wochen im Jahr. Das ist was für sehr disziplinierte Menschen und Psychopathen. Da ich mich zu keiner der beiden Gruppen zähle, sondern ein einfacher Mann in der Hand meines Gottes bin, kam die Sache für mich nicht infrage“, schildert er im Vorwort seine Reaktion auf eine entsprechende Anfrage der Redaktion.
Dass er sich später unzweifelhaft mit der Idee von Little Britain angefreundet hat, belegen die insgesamt 83 Texte (denen seltsamerweise noch ein Personen-, Sach- und Ortsregister angehängt ist). Man merkt Zaschke an, dass er ein Fan der Briten und ihrer Kultur ist, und gerade aus dieser Wohlgesonnenheit heraus wird der Blick für ihre Absonderlichkeiten noch schärfer und die Reflexion darüber noch amüsanter. „Zunächst hatten wir über das Färben von etwas zu hellen Tweed-Anzügen gesprochen“, beginnt eine typische Passage, „und es spricht durchaus nicht gegen Großbritannien, dass das hierzulande unter Männern ein vollkommen normales Pubthema ist. Nachdem wir das Thema Tweedfärben erschöpfend behandelt hatten, der Abend aber noch nicht die geringste Neigung zeigte, sich dem Ende zu nähern, begann der Kollege, die Bratwurstgeschichte zu erzählen. Als er einige Biere später fertig war, schwieg auch G. tief beeindruckt, was sehr, sehr selten passiert.“
Zum angenehmen Ton von Little Britain trägt auch der Respekt bei, mit denen der Autor seinen Figuren begegnet: Sie sind Typen, oftmals sogar das, was man hierzulande wohl ein „Unikum“ und auf der Insel „a real character“ nennen würde, aber sie dürfen in angenehmer Weise anonym bleiben. Zaschke stellt niemanden bloß in diesen Texten, und seine extremste Reaktion ist – passend zum britischen Understatement – ein ungläubiges Kopfschütteln.
Passend dazu steht nicht das große tagespolitische Geschehen im Zentrum seiner Kolumnen, auch nicht der neuste Klatsch rund um Royals und Popstars oder Analysen von den Spielfedern in Wimbledon oder Highbury. Sondern der Alltag auf einer Insel mit schlechtem Essen, schlechtem Wetter und noch schlechteren Klempnern. Man gewinnt so das Gefühl, man würde dieses Großbritannien und diesen Autor tatsächlich nach und nach ganz persönlich kennen lernen – und weiß gar nicht, was von beidem einem schneller ans Herz wächst.
Dazu tragen auch die Running Gags in Little Britain bei, vom Vogelscheißefleck auf dem Schlafzimmerfenster, der in gefühlt jeder zweiten Kolumne auftaucht, bis hin zum „stets erstaunlichen G.“, einem Kumpanen des Autors, dessen Leben sich ausschließlich in Pubs abzuspielen scheint. Der Effekt der Lektüre ist dabei sowohl ein wissendes Schmunzeln über die Kauzigkeit der Briten als auch eine nicht zu leugnende Sehnsucht, ihre Insel zur Heimat zu machen (oder wenigsten mal wieder zu besuchen). Dieses Königreich, das höchst traditionsbewusst und in vielerlei Hinsicht doch Vorreiter ist, liebenswert und verstockt, stolz und humorvoll.
Bestes Zitat: „Viele Briten betrachten die Welt unerschütterlich im Lichte des ersten Satzes ihrer ungeschriebenen Verfassung, der da lautet: ‚Es mag auf dem Kontinent und in den USA vieles anders oder (angeblich) besser funktionieren, aber so, wie es hier läuft, ist es richtig.‘ Dieser Satz gilt immer und für alles. Es steckt dahinter eine grundsätzliche Haltung, die ich sehr bewundere.“
Ich bin mal gespannt wie es mir mit dem Buch gehen wird. Die Rezension macht jedenfalls neugierig.