Autor | Dan T. Sehlberg | |
Titel | Sinon | |
Verlag | Kiepenheuer & Witsch | |
Erscheinungsjahr | 2015 | |
Bewertung |
NCoLV ist ein Killer. Das Virus greift alle Organe gleichzeitig an, außerdem das Nervensystem. Innerhalb von Stunden fallen die Infizierten ins Koma, die Ärzte sind ratlos. Eine Therapie ist nicht in Sicht. Die schwedische Biotech-Firma Cryonordic arbeitet an einem Impfstoff – und ist Teil eines Komplotts. Denn NCoLV ist künstlich gezüchtet, im Auftrag von Terroristen. Und wenn die ihren Plan in die Tat umsetzen, eine noch gefährlichere Variante des Virus freizusetzen, droht der Menschheit eine Pandemie mit apokalyptischen Ausmaßen.
Das ist der Kern des Plots von Sinon, dem zweiten Roman von Dan T. Sehlberg. Der schwedische Autor, Jahrgang 1969, studierter Ökonom und Gründer mehrerer IT-Firmen, setzt damit die Geschichte seines Debütromans Mona fort. Dort war es ein Computervirus gewesen, der die Welt in Atem hielt, in der Fortsetzung ist es ein biologischer Erreger – die Hintermänner sind die gleichen, auch viele der Figuren aus Mona tauchen in Sinon wieder auf, etwa der Informatikprofessor Eric Söderqvist, die Geheimagentin Rachel Papo oder der Journalist Jens Wahlberg.
Das Buch selbst hat ebenfalls den Charakter eines Virus: Sinon hat die Fähigkeit, den Leser schnell zu packen, und entwickelt raffinierte Methoden, um ihn dann nicht mehr loszulassen. Ähnlich wie schon in Mona ist der Roman fast ein bisschen zu wirkungsvoll und rasant. Schon auf den ersten Seiten wird reichlich Fallhöhe aufgebaut, mit Terrorgefahr, Geheimdienstarbeit, Finanzmarktmanipulation und nicht zuletzt der tödlichen Bedrohung durch NCoLV. Der Leser wird zwischen Schauplätzen in Somalia, Israel, den Niederlanden, Schweden oder Saudi-Arabien hin und her gejagt, und es offenbart sich ein Puzzle, dessen Komplexität kaum noch zu steigern ist. Nach und nach wird klar, dass es um nichts anderes geht als die Rettung der Menschheit – all das wirkt ein bisschen zu laut und konfektioniert. Fast möchte man als Leser beleidigt sein und beweisen, dass man viel zu individuell und klug ist, um sich von diesem Rezept fesseln zu lassen. Man möchte immun sein gegen einen Plot, der einfach zu viele der Tricks des klassischen Biotech-Thrillers nutzt. Aber, das muss man Dan T. Sehlberg auch diesmal attestieren: Das ist verdammt schwer. Sinon ist viel zu spannend, um dem Autor seine große Konzeption und sein unverkennbares handwerkliches Können vorzuwerfen.
Sehlberg gelingt es erneut, sehr aktuelle Themen aufzugreifen, vom islamistischen Terror bis hin zur Gefahr von Gain-of-function-Experimenten (die hier von einer Figur namens Craig Winter betrieben werden, was den realen Craig Venter höchstwahrscheinlich nicht sonderlich erfreut). Ihm gelingt es, vor allem über die Dialoge ein faszinierendes Geflecht von Beziehungen zu entwickeln und das Geschehen immer weiter zuzuspitzen. Es gibt dabei noch mehr Überraschungen als in Mona, nicht nur einmal wird eine scheinbar wichtige neue Figur eingeführt, die dann sehr schnell unter die Räder dieser Verschwörung kommt und fortan allenfalls noch als Erinnerung eine Rolle spielt. Nach zwei Dritteln von Sinon erscheint das Geschehen noch so vielschichtig, dass man glauben muss, der Autor benötige vielleicht doch eher eine Trilogie, um all die Fäden noch vernünftig zu entwirren.
Doch das gelingt dann doch vor Ablauf der knapp 400 Seiten. Ein weiteres Plus des Romans: Er braucht für all dieses Spektakel erstaunlich wenige Zufälle. Es gibt zwar eine SMS, die erst auftaucht, als das Handy runterfällt, einen Mossad-Agenten, dem in einem entscheidenden Moment seine eigenen perversen Vorlieben zum Verhängnis werden, oder einen Profikiller, der sich von einem Fußballspiel im Fernsehen ablenken lässt. Aber insgesamt ist Sinon schlüssig, auch die Gedankenspiele aus dem Reich der Molekularbiologie sind solide recherchiert. Nimmt man die Ambitionen von Dan T. Sehlberg als Anhaltspunkt, dann kann jetzt wohl die Verfilmung dieses Zweiteilers kommen.
Bestes Zitat: „Es war ein moralisches Dilemma, eine Frage, so groß, dass sie dazu tendierte, abstrakt und konturlos zu werden… von ihrer Natur her philosophisch. Die Weiterexistenz der Menschheit.“