Autor | Dante Alighieri | |
Titel | Die Göttliche Komödie | |
Verlag | Manesse | |
Erscheinungsjahr | 1321 | |
Bewertung |
Franz Liszt, Sandro Boticelli, Johann Wolfgang von Goethe – sie alle sind selbst Großmeister ihres Faches, und sie alle (und viele andere) zogen den Hut vor Dante Alighieri und seiner Göttlichen Komödie. Kein Wunder: Erstaunlich ist gar kein Ausdruck für dieses Buch.
Das gilt heute, es gilt aber im unfassbar größeren Maße für das Jahr 1321, als Die Göttliche Komödie kurz vor Dantes Tod vollendet wurde. In der Geschichte seiner Reise durch Hölle, Fegefeuer und Paradies vereint Dante, um mit modernen Begriffen zu sprechen, Horror, Fantasy, Theologie, Philosophie und Poesie.
Trotzdem muss man auch betonen: Ein Vergnügen ist Die Göttliche Komödie nicht. Sie steckt voller dichterischer Vollendung und Dante durchschreitet bei seiner Reise die ganze Bandbreite der menschlichen Gefühle. Aus seiner Heimatstadt Florenz musste der Autor ins Exil gehen, und das brachte ihm die „Weite des Horizonts und Tiefe des Schmerzes, ohne die eine Göttliche Komödie nicht hätte entstehen können“, schreibt Herausgeber Walther von Wartburg hier ganz richtig. Aber das Gedicht hat auch ausgesprochen langweilige und redundante Passagen, und es steckt vor allem voller Rätsel und Fragezeichen, die selbst ausgewiesene Mediävisten vor manches Problem stellen dürften.
Umso empfehlenswerter ist diese rund 1200 Seiten starke kommentierte Ausgabe aus dem Manesse-Verlag: Vor jedem Gesang gibt es einen einführenden Kommentar, nach jedem Gesang ergänzende Anmerkungen. Beides dient nicht nur dazu, den Kontext oder die Bedeutung der zahlreichen Metaphern zu erklären, sondern ist (insbesondere im Paradiso) oft Voraussetzung, um überhaupt zu verstehen, was im Gedicht passiert.
Die historische, philosophische und literaturwissenschaftliche Einordnung hilft auch, die Vielschichtigkeit des Werks zumindest zu erahnen. Denn Dante schafft mit der Göttlichen Komödie ein Buch voller Widersprüche. Er schreibt auf Italienisch, weil er die Worte so ausdrücken möchte, wie er sie unmittelbar gefühlt hat und macht sein Werk damit zum Motor für den Siegeszug der Volkssprache. Trotzdem kann und will Die Göttliche Komödie keine Populär-Literatur sein: Die Verse stecken voller Andeutungen, viele Figuren und Ereignisse werden nicht explizit benannt, sondern bloß als Metapher – der Inhalt war damit auch zu Dantes Zeiten nur für Gebildete zu verstehen.
Motivation für Dante (als Autor und als Figur in seinem Epos) ist die Verehrung für seine Jugendliebe Beatrice, die als junge Frau stirbt. Die Göttliche Komödie ist immer wieder geprägt von der Sehnsucht nach ihr – doch als Dante seine große Liebe dann im Paradies tatsächlich wieder trifft, ist von Erfüllung oder gar Leidenschaft keine Spur mehr. Die Beziehung wird stattdessen sofort platonisch. Je mehr Zeit Beatrice und Dante dann gemeinsam verbringen, desto mehr verwandeln sie sich vom Liebespaar zur tugendhaften Lehrerin und einem demütigen Schüler.
Die Handlung ist damit Spiegelbild der persönlichen Entwicklung des Autors. Seine bis dahin irdische Liebe bezieht sich nach dem Tod von Beatrice auf eine überirdische Idee der Frau/der Liebe an sich, die auch die Göttliche Komödie durchsetzt. „Der Tod Beatrices aber hob mit einem Male Dantes schwärmerisch-dichterische Verehrung in eine andere Sphäre empor. Dadurch, dass Beatrice zu den Sternen entrückt wurde, blieb sie ihm und uns in ewiger Jugend erhalten; sie wurde jeden irdischen, vergänglichen Teiles entkleidet. Damit war ein Teil von Dantes Bewusstsein, das sich bisher ganz in Irdische verstrickt hatte, hinausversetzt ins Kosmische, ins Weltall, fern der Erde. Und von dort wirkte es nun zurück. So nur erklärt sich die ungeheure Spannung zwischen Irdischem und Überirdischem, welche die ganze Divinia Ceommedia erscheinen lässt als einen von der Menschheit zu Gott gespannten Bogen“, schreibt Walther von Wartburg in seiner Einleitung.
Einen starken Kontrast bilden auch die übersinnliche Elemente und die, nunja, Lebensnähe der Göttlichen Komödie. Dante war nicht nur erfüllt von Religiosität, er erlebte auch übersinnliche Erfahrungen. Aus diesen speisen sich die gelegentlich beinahe phantasmogrischen Passagen des Epos, die eine enorme Bildkraft haben. Ein Beispiel dafür sind etwa die Diebe, die im Inferno für ihre Sünden bestraft werden: Sie sind dort umschlungen von Schlangen, die ihnen Hals und Lenden durchbohren, woraufhin die Diebe verbrennen, zu Asche zerfallen und dann als Menschen wieder neu zu erstehen, um dieselbe Qual erneut zu durchleiden. Solche Bilder wie aus dem Fieberwahn tauchen immer wieder auf, und immer wieder wird deutlich, dass sie nicht bloß der Fantasie entspringen, sondern für Dante eine ganz reale Existenz haben.
Trotzdem bleiben die Menschen in der Göttlichen Komödie menschlich. Das gilt verständlicherweise vor allem für die Hölle. Aber auch im Purgatorio und Paradiso sind immer wieder Passagen eingestreut, die man fast Alltagsszenen nennen könnte. „Dante ist der Dichter einer von ihm erschauten und in ihrer tiefen Realität erfassten Vision“, fasst eine der Anmerkungen diesen scheinbaren Widerspruch treffend zusammen – und gerade dieses Zusammenspiel ist es wohl auch, was das Werk für viele bildende Künstler so reizvoll gemacht hat.
Erstaunlich ist auch, dass sich Dante als Vorbild für sein Werk an der Antike orientiert hat (die Aeneis von Vergil lieferte ihm den Rahmen), er dann aber in der Göttlichen Komödie immer wieder Stilmittel benutzt, die modern und gelegentlich nichts weniger als avantgardistisch sind. In einer Zeit, in der die Geschichte keine Vorstellung von so etwas wie „Fortschritt“ hatte und in der die Geschichtserzählung meist zur Form griff, sich im Kreis zu drehen, präsentiert Dante in der Göttlichen Komödie eine Handlung, die stringent und voller Spannungsbögen ist, nicht weit weg vom Konzept des Romans.
Gerade im Inferno lauert permanente Gefahr, der blanke Horror macht sich breit. Dante gesteht immer wieder, wie sehr er von Furcht erfüllt ist, er artikuliert sein eigenes Schaudern, notfalls versteckt er sich hinter seinem Führer Vergil. Trotzdem findet er auch in diesen Momenten der Schwäche noch Muse für Philosophie und Religion.
Vor allem aber wagt es Dante, selbst zum Protagonist zu werden – ein unerhört eitler Schritt für das frühe 14. Jahrhundert. „Wenn so die Göttliche Komödie die universellste unter den großen dichterischen Schöpfungen seit dem Altertum ist und darin eine Nachfolge der großen Epiker der Antike, so stellt sie sich zu diesen in anderer Weise in schärfsten Gegensatz: Der antike Dichter bleibt als Person im Hintergrund, er erscheint selber im Epos nicht. Dante aber ist selber der eigentliche Held seines Gedichtes. An ihm zieht die ganze Schau der Vergangenheit vorbei, für ihn treten die einzelnen Abgeschiedenen aus den Scharen heraus, um ihn zu empfangen, steigen die himmlischen Heerscharen herunter aus dem Empireo, sich ihm zu offenbaren“, zeigen die Anmerkungen dieses Kontrast auf.
Dante stellt sich in seinem Werk, nicht nur als Autor, sondern auch als Figur, der gesamten Menschheitsgeschichte gegenüber. Mehr noch: Er spielt sich zum Weltrichter auf; im elften Gesang des Purgatorio dichtet er sogar das Vaterunser um. Man kann das gerne Arroganz nennen – in Kombination mit der frommen Demut, die er ebenfalls immer wieder an den Tag legt, ergibt das einen kaum zu lösenden Widerspruch.
Gerade das macht aber aus heutiger Sicht den größten Reiz an der Göttlichen Komödie aus: Teilweise wirkt sie wie ein Werk der Renaissance, und doch ist sie durchdrungen vom Weltbild des Mittelalters. Dante wagt es, rund 200 Jahre vor Luther, das Individuum in den Mittelpunkt zu stellen, die Päpste zu verteufeln, und die großen Figuren der Geschichte nach eigenem Ermessen (wohlgemerkt: nicht nach Gutdünken, sondern jeweils vor dem Hintergrund eines ausgefeilten theologischen Konzepts) auf Himmel, Hölle und Fegefeuer zu verteilen. Das ist die erstaunlichste Leistung dieses Epos: Die Göttliche Komödie feiert den Triumph des Glaubens im gleichen Maße wie das dichterische Vermögen des Autors.
Bestes Zitat: „Es gibt nicht größern Schmerz, als sich der Zeit des Glückes zu erinnern im Unglück.“
Sehr gelungene dreibändige Neuübersetzung von Hartmut Köhler in der gebundenen Reclam Bibliothek, erster und zweiter Band (Inferno und Purgatorium) bereits erschienen. Gelehrte, aber modern gehaltene Fußnoten. Sehr schöne und praktische Ausgabe, da die Übersetzung dem italienischen Original gegenübergestellt ist.
Es gibt noch ein ganz tolles, allerdings nur antiquarisch verfügbares Buch von 1918: Dante Alighieri: La Divina Commedia. Vollständiger Text, mit Erläuterungen, Grammatik, Glossar und sieben Tabeln herausgegeben von Leonardo Olschki, Heidelberg, Julius Groos. Kompletter italienischer Text ohne deutsche Übersetzung, dafür sehr ausführlicher deutschsprachiger Anmerkungen-Apparat (Fußnoten) mit sehr vielen Erläuterungen, um den italienischen Text sprachlich besser zu verstehen. Sehr gelehrte Ausgabe. Lieblingsbuch.
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