Autor | Dieter Nuhr |
Titel | Das Geheimnis des perfekten Tages |
Verlag | Lübbe |
Erscheinungsjahr | 2013 |
Bewertung | *** |
Als „der Philosoph unter den Comedians“ wird Dieter Nuhr auf dem Klappentext seines neuen Buches angepriesen. Manch einer mag das für einen Widerspruch in sich halten angesichts des rasanten Abwärtstrends im deutschen Witzbetrieb. Das Geheimnis des perfekten Tages, das fünfte Buch des Mannes, der schon immer Kabarett und Comedy miteinander versöhnt hat, beweist jedoch, dass er diesen Ehrentitel durchaus verdient hat.
Nuhr erlaubt sich ein paar Seitenhiebe auf die Medienwelt, in der er längst selbst fester Bestandteil ist. Er ist sich nicht zu schade für ein paar Running Gags. Und er präsentiert in Das Geheimnis des perfekten Tages gleich reihenweise Fundstücke aus der Welt der Wissenschaft, auf die er vornehmlich im Internet gestoßen ist, und deren Relevanz von schockierend bis zu „unnützes Wissen“ reicht. Trotzdem unterstreicht dieses Buch: Seinen Witz bezieht Dieter Nuhr in allererster Linie aus seinem Geist, und dort passiert allerhand Erstaunliches.
Das Geheimnis des perfekten Tages erzählt 24 Stunden aus seinem Leben. Kein einziges Mal, so viel sei verraten, setzt der Erzähler an diesem freien Montag einen Fuß vor die Tür (erst nach rund 60 Seiten steht er überhaupt aus dem Bett auf). Trotzdem wartet er mit tiefgründigen und vor allem grundsätzlichen Gedanken über die Welt auf. Etliche Absätze enden mit „Das Leben ist….!“ oder „Die Welt ist…!“ Immer wieder kollidiert dabei sein Anspruch (an den Menschen als Krone der Schöpfung) mit der Wirklichkeit (also dem, was er an einer Stelle „die scheinbar ewige Primitivität“ nennt).
Der Erzähler wundert sich über die Welt, er will allem auf den Grund gehen und er zeigt, wie lächerlich dieses Vorhaben schnell wird. „Vielleicht hätten wir alle Bakterien bleiben sollen“, lautet ein beinahe resigniertes Zwischenfazit. Das beliebteste Stilmittel für Nuhr ist, neben derlei Zynismus, die Überhöhung des Banalen. „Der Wahnsinn des Menschen hinterlässt seine Spuren vor allem im Straßenbau. Rot-weiße Baken weisen darauf hin, dass alle Planung eitel ist. Aus Kreuzungen werden Kreisverkehre, aus Kreisverkehren wieder Kreuzungen. Ampelanlagen erscheinen und verschwinden, zeigen nachts um vier Uhr dreißig Rot und leuchten das Scheitern aller Ordnung in den Äther. Vanitas! Vanitas!“, ist ein typisches Beispiel dafür.
Das Buch liefert mit dieser Methode einen mehr oder weniger frei fließenden Stream Of Consciousness. Abbildungen der Uhrzeit auf einem Wecker vor einzelnen Absätzen sind ein cleverer Kniff, um dem Ganzen wenigstens die Illusion einer Struktur zu geben. Nuhr thematisiert iPhone-Wahn, ungewaschene Mitreisende im Bus oder das Warten auf die dringend notwendige Beratung im Baumarkt. Er nimmt sinnlose und haarsträubend interpretierte Statistiken aufs Korn, beklagt die „Infoüberdosis“, die uns tagtäglich versetzt wird und entlarvt die Empörungsmaschinerie der Medien. Er braucht nur ein paar Seiten, um die Sprache vom Higgs-Boson über Politikerschelte plötzlich auf Sex im Freien zu bringen. Nuhr fällt diese thematische Sprunghaftigkeit auch selbst auf: „Ich merke, dass ein freier Tag einen unkontrollierbaren Gedankenstrom erzeugt. Nützliches steht gleichberechtigt neben wirrem Zeug und kranken Visionen. Wenn nichts treibt und die Zeit frei ist, kein Schuh drückt und nirgends jemand drängelt, kein Schmerz pocht und keine Verwandten anrufen, entfernt sich das Denken vom Körper.“
Ein paar Konstanten lassen sich in diesem amüsanten Durcheinander aber doch ausmachen. Nuhr offenbart im Buch ein paar Dinge über sich selbst (und damit sind nicht die unbrauchbaren Fotos aus seiner Wohnung gemeint, die sich darin finden). Vor allem Rückschlüsse auf seine Abneigungen sind möglich. Zu den Dingen, die Dieter Nuhr nicht mag, gehören beispielsweise: Kita-Zwang, Kommunismus und Leute, die in der Tempo-30-Zone nur 27 km/h fahren.
Noch viel stärker lässt Das Geheimnis des perfekten Tages aber die Triebfeder für Nuhrs Humor erkennen. Er versucht, sich zum Optimismus zu zwingen, ist aber allüberall umgeben von der Unvollkommenheit (man kann auch sagen: Scheiße) des Lebens. „Spüre ich gerade ein misanthropisches Lebensgefühl in mir? Eine tief im Innern verborgene Menschenverachtung? Warum nur? Wo kommt das her? Ich bin doch eine Frohnatur!“, macht er das mit bitterer Ironie an einer Stelle deutlich. Beispielsweise anhand des Klimawandels thematisiert er die eigene Ohnmacht gegenüber der Welt, die seine Mitmenschen schaffen. Aber dass aus dieser Ohnmacht so etwas wie die Befreiung von Verantwortung folgen soll, akzeptiert er nicht einen Moment lang. „Der Satiriker ist ein gekränkter Idealist“, hat Kurt Tucholsky gesagt. Am Ende von Das Geheimnis des perfekten Tages weiß man: Auf Dieter Nuhr trifft das definitiv zu.
Bestes Zitat: „Morgens im Bad zu stehen, hat etwas Desillusionierendes. Wenn etwas schlechte Laune in das Leben der Menschheit gebracht hat, dann war es die Erfindung des Spiegels.“
Danke für den Artikel. Ich fürchte, dass von denen, die in Zeitung und Fernsehen berichten, kaum jemand so gut verstanden hat, was ich tue.
Viele Grüße
Dieter Nuhr