Durchgelesen: Don Winslow – „Kings Of Cool“

"Kings Of Cool" ist das Prequel zu "Savages".
„Kings Of Cool“ ist das Prequel zu „Savages“.
Autor Don Winslow
Titel Kings Of Cool
Verlag Suhrkamp
Erscheinungsjahr 2012
Bewertung ****

John Travolta spielt mit in der Verfilmung von Savages, die jüngst in den deutschen Kinos angelaufen ist. Das passt wunderbar. Denn Travoltas Karriere wurde durch Pulp Fiction neu belebt, den Tarantino-Klassiker, der dafür sorgte, dass die Gangster in Kino und Literatur mindestens wieder genauso cool sind wie die Cops. Und genau diese Atmosphäre herrscht auch in den Büchern von Don Winslow. Der Autor von Savages (deutscher Titel: Zeit des Zorns) legt jetzt mit Kings Of Cool seinen neuen Roman vor, in dem die Vorgeschichte von Savages erzählt wird.

Ben ist der Sohn eines Psychotherapeuten-Ehepaares, ein Gutmensch und Weichei. Chon war schon immer ein Außenseiter, entwickelte sich zur Kampfmaschine und ist jetzt als Soldat einer US-Spezialeinheit in Afghanistan im Einsatz. O kommt aus gutem Hause, weiß nichts mit ihrem Leben anzufangen und hat schon vor Jahren das „rphelia“ aus ihrem Namen gestrichen – in erster Linie, um ihre neurotische Mutter zu ärgern. Die drei sind um die 20, beste Freunde, und sie haben zusammen einen Handel für hochwertiges Marihuana hochgezogen, von dem sie sich ein schönes Leben in Laguna Beach machen.

Sie fühlen sich wie die Kings Of Cool und blicken einer sorgenfreien Zukunft entgegen. Doch noch bevor sich ihre Anfangsinvestitionen amortisieren, bekommen sie Ärger mit der Konkurrenz: Andere Drogenhändler haben keine Lust, sich einen Teil des Markts abnehmen zu lassen und geben dem Trio das deutlich zu verstehen. Schon bald müssen Ben, Chon und O nicht nur um ihren entspannten Alltag am Strand und ihr Geschäft fürchten, sondern um ihr Leben.

Aus dieser Konstellation macht Don Winslow einen enorm spannenden, intelligenten und hintergründigen Roman. Seine größte Stärke ist der Sound: Seine Sprache kann ebenso erbarmungslos wie philosophisch sein, er flucht und reflektiert und ordnet sich damit irgendwo zwischen Tarantino und Der Pate ein. Kings Of Cool ist ein Buch, das eindeutig Rock’N’Roll sein will: Die Seitenränder sind schwarz gefärbt, vor den meisten Kapiteln gibt es ein kurzes Zitat aus einem Song (und ganz vorne ein paar Zeilen von Bruce Springsteen), das erste Kapitel besteht nur aus dem Satz „Leck mich am Arsch.“

Diese Attitüde findet auch jenseits der Sprache ihre formalen Entsprechungen: Winslow spielt gerne mit der Typographie im Stile von Jonathan Safran Foer. Es gibt Absätze mitten im Satz, einzelne Kapitel, die plötzlich komplett in Versalien und einer anderen Schriftart gesetzt sind, Kapitelwechsel manchmal mitten innerhalb einer Sinneinheit. Ein paar mal springt der Autor auch aus dem Plot heraus und spricht den Leser direkt an. Bei Hinweisen wie „Wer mehr wissen will, kann das ja gerne googeln“ oder „Die Vorstellung von einem allwissenden Erzähler ist doch sowieso für den Arsch, oder?“ muss man an David Foster Wallace denken.

Das wirklich Beeindruckende an Kings Of Cool ist aber: Der Krimi ist hier nur das Gerüst für eine Geschichte über den Niedergang, vielleicht nicht Amerikas insgesamt, aber seiner Werte. Winslow baut in den Roman eine zweite Ebene ein, die im Jahr 1967 beginnt und von Hippie-Glückseligkeit und Surfer-Idyll erzählt und dann nach und nach vor Augen führt, wie sich daraus die Strukturen (und Drogenmärkte) entwickeln, innerhalb derer sich Ben, Chon und O knapp 40 Jahre später zurechtfinden müssen. Wie die Abwesenheit von Moral ganz oben zur Unmöglichkeit von Moral ganz unten führt (und umgekehrt), wie Idealisten zu Egoisten werden und Kommunen zu Märkten – das ist die eigentliche Geschichte von Kings Of Cool.

Erfreulicherweise beschränkt sich Winslow dabei nicht darauf, die einstigen Blumenkinder als Verräter an der guten Sache zu brandmarken, sondern zeigt, wie sowohl Hippies als auch Konservative von diesen Mechanismen des Opportunismus und der Konformität beeinflusst und weichgekocht werden. Mit Kalifornien als kulturellem Motor der USA und als Großmanufaktur der weltweiten Popkultur hat er den idealen Schauplatz dafür gewählt (wie kürzlich auch Simone Felice in Black Jesus). Einst seien die Gründungsväter nach Westen marschiert und hätten ihre Kultur und ihre Ideen dorthin getragen, schreibt Winslow in einem sehr schlauen Bild. Dann seien sie in Kalifornien am Rand des Kontinents angekommen, seitdem entstehe hier alles und schwappe dann den umgekehrten Weg zurück, über das ganze Land hinweg.

Durch die zwei Zeitebenen kann Winslow fast alle amerikanischen Traumata in dieses Buch packen. Vietnam und Afghanistan, Immobilienkrise und 11. September – alles ist präsent und alles ist verbunden, ohne dass sich der Autor in Verschwörungstheorien vertiefen oder allzu sehr mit Details beschäftigen müsste. Typisch für seinen Ansatz ist eher eine großartige Stelle, an der die Zusammenhänge, die Enttäuschung und Desillusionierung in einem fast atemlosen, zynischen, ohnmächtigen Geständnis zusammengefasst werden. „Das ist passiert. Watergate, Irangate, Contragate, Skandale und Korruption ringsum, und du glaubst, du wirst niemals korrupt werden, aber die Zeit korrumpiert dich, korrumpiert dich so sicher wie Schwerkraft und Erosion, reibt dich auf, macht dich mürbe“, sagt Bens Vater da, als er zur Rede gestellt wird. „Ich glaube, mein Sohn, das ist mit dem Land passiert, es war müde, zermürbt von den Morden, den Kriegen, den Skandalen, zermürbt von Ronald Reagan, von Bush dem Ersten, der Kokain verkaufte, um Terroristen zu finanzieren, vom Krieg für billiges Benzin, von Bill Clinton, von Realpolitik und Kleidern mit Spermaflecken, während wahnsinnige Fanatiker Pläne schmieden, von Bush dem Zweiten und denen, die ihn lenkten, ein ehemaliger Verbindungsstudent und böse alte Männer, und dann machst du eines Morgens den Fernseher an, und die Türme stürzen ein und der Krieg ist zuhause angekommen, dass alles ist passiert. Afghanistan und Irak und der Wahnsinn das Töten das Bomben die Raketen der Tod, du bist wieder in Vietnam, und ich könnte alles darauf schieben, aber am Ende tragen wir selbst die Verantwortung. Was ist passiert? Wir wurden müde, wir wurden alt, wir hörten auf zu träumen, wir lernten uns zu verachten, unseren jugendlichen Idealismus abzulehnen, wir haben uns billig verkauft, wir sind nicht die, die wir sein wollten.“

Womöglich steckt in Kings Of Cool die Botschaft, dass alle Drogen legalisiert werden sollten. Ganz sicher ist das Buch ein Plädoyer gegen Gewalt, deren Sinnlosigkeit hier zwischen den Zeilen immer wieder deutlich gemacht wird. Und definitiv zeigt es die Verbitterung des Autors über die Welt, in der wir leben (und manchmal übrigens auch über seine eigene Branche, wenn er ausgerechnet einen Buchladen in Flammen aufgehen lässt oder sich den Hinweis nicht verkneifen kann, dass die meisten Menschen heutzutage Bibliotheken nur noch nutzen, um sich dort vor einen Computer zu setzen), und seinen Unwillen, sich mit diesen Umständen abzufinden. Vor allem aber hält Winslow in Kings Of Cool den Angehörigen seiner Generation den Spiegel vor: Sie hätten vielleicht eine bessere Welt schaffen können, aber sie waren letztlich zu bequem, feige und egoistisch dafür. Und haben es für alle folgenden Generationen damit unendlich schwerer gemacht.

Bestes Zitat: „Milliarden für Gefängnisse und noch mehr Milliarden für den Versuch zu verhindern, dass Drogen über die Grenze kommen, während an den Schulen selbstgebackene Kuchen verkauft werden, damit Geld für Bücher, Papier und Bleistifte reinkommt. Die Idee dahinter ist wohl, unsere Kinder vor Drogen zu schützen, indem wir sie genauso dumm machen wie die Politiker, die mit diesem Irrsinn weitermachen.“

Eine gekürzte Version dieser Rezension gibt es auch bei news.de.

 

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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2 Gedanken zu “Durchgelesen: Don Winslow – „Kings Of Cool“

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