Autoren | Eckhart Lohse und Markus Wehner |
Titel | Steinbrück Biographie |
Verlag | Droemer |
Erscheinungsjahr | 2012 |
Bewertung |
Nassforsch. Entschlossen. Arrogant. Man hört viele Begriffe aus dieser Kategorie, wenn irgendwo Peer Steinbrück charakterisiert wird. Er ist der Mann, der von Helmut Schmidt zum Kanzlerkandidaten ausgerufen wurde, der in der Finanzkrise die Banken rettete und die Spareinlagen der Deutschen garantierte, und später verbissen um die Stabilität des Euro kämpfte. Das sind die Szenen der jüngeren Vergangenheit, die man mit ihm in Verbindung bringt.
Die Steinbrück Biographie bewirkt zunächst etwas Erstaunliches: Man stellt fest, dass all dies stimmt. Peer Steinbrück ist – ungewöhnlich im Politikbetrieb – kein Schauspieler, niemand, der gerne Rücksicht oder gar ein Blatt vor den Mund nimmt. Der Eindruck, den man selbst bei einer allenfalls oberflächlichen Beschäftigung mit dem SPD-Kanzlerkandidaten gewinnt, ist offensichtlich weitgehend zutreffend. Der Mann, der niemals eine Politikerlaufbahn anstrebte, der sich vor ein paar Jahren schon aufs Altenteil zurückziehen wollte, der aber vielleicht trotzdem bald Bundeskanzler sein wird, ist, wie er ist, und dieses Buch bestätigt das.
Eckart Lohse, Leiter des Berliner Büros der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, und Markus Wehner, Berlin-Korrespondent dieses Blattes, zeichnen in ihrer Biographie das Leben Steinbrücks ebenso kompakt wie stringent nach. Steinbrück war ein typisches Nachkriegskind, dann alles andere als ein Musterschüler, Student in Zeiten der Revolte, zwei Jahre lang Offizier bei der Bundeswehr, fleißiger Beamter und schließlich in der Politik angekommen.
Den Etappen vor seinem eigentlichen Politikerleben widmen die Autoren viel Raum, und das ist durchaus hilfreich, um nachzuvollziehen, wie der gebürtige Hamburger tickt und welche Werte ihn leiten. Vorbilder wie sein Onkel, ein Lehrer, später Altkanzler Helmut Schmidt und Ex-Finanzminister Hans Matthöfer werden angeführt, Kontinuitäten herausgearbeitet, nicht zuletzt ein paar überraschende Fakten zutage gefördert: Das Lieblingstier von Peer Steinbrück ist das Rhinozeros, zu seinen Lieblingsschauspielerinnen zählt Keira Knightley und sein Urgroßonkel Adelbert Delbrück war einer der Gründer der Deutschen Bank.
Eine Schwäche der Steinbrück Biographie ist der Versuch, auf Teufel komm raus zuzuspitzen, Kontroversen, Widersprüche und Skandale zu zeigen. Steinbrück ist eher Macher als Ideologe, und schon allein deshalb ist das Vorhaben zum Scheitern verurteilt, ihn einer großen politischen Lebenslüge zu überführen. Gerade weil Steinbrück kein zweites Gesicht hat, das man enttarnen könnte, wirken diese Versuche oft verkrampft und ärgerlich. Auch die beinahe zwanghafte Angewohnheit, auch da eine Wertung abzugeben, wo es gar nicht nötig/sinnvoll/plausibel ist, wirkt auf Dauer eitel und anstrengend.
Lohse und Wehner liefern dafür eine recht ausführliche Charakterisierung des Kanzlerkandidaten. Sie haben während ihrer Recherchen für das Buch mit etlichen Wegbegleitern und auch mit Steinbrück selbst gesprochen und analysieren auch immer wieder seine Rhetorik. „Seine Methode ist es nicht, die Menschen erst einzulullen und ihnen anschließend mitzuteilen, dass die Wahrheit doch eine andere ist. Lieber schreckt er sie gleich kräftig auf, damit ihm später niemand Schönfärberei vorwerfen kann. Mehr noch: Er genießt den Schreckensmoment bei seinen Zuhörern geradezu“, lautet eine ihrer Erkenntnisse. Vielleicht liegt es daran, dass Steinbrück oft von Parteikollegen in hohe Ämter gebracht wurde, aber nur selten vom Wähler.
Steinbrück wird wahrgenommen als „einer Einer, der weiß, wo vorne ist und wie man geradeaus fährt“, haben die Autoren richtig erkannt. Das macht aus ihm eine ausgezeichnete Projektionsfläche in Zeiten, in denen viele Menschen Orientierung suchen. Doch sein Erfolg beruht auf weiteren Faktoren. Charisma, Intelligenz, Fleiß sowie viel Erfahrung und Professionalität im Regieren und Verwalten zählen Lohse und Wehner als Stärken des SPD-Mannes auf. Interessant ist auch, was das Buch damit implizit über Angela Merkel aussagt, über das, was ihr fehlt, und die Taktiken, mit denen sie dieses Fehlende überspielt.
Auch Steinbrücks Schwächen arbeiten die beiden Journalisten heraus, mindestens ebenso gründlich wie die Stärken. Sein kaum ausgeprägtes Empathievermögen wird dabei immer wieder genannt („Einer gegen alle“ heißt eine Zwischenüberschrift dieser Biographie), seine Wahrnehmung als kühler Norddeutscher und die „mangelnde programmatische Breite, was etwa die Sozial- oder Bildungspolitik angeht“. Vor allem aber führen Lohse und Wehner immer wieder die „fehlende Bindung an die Partei“ an.
Als das Buch geschrieben wurde, stand noch nicht fest, dass Steinbrück als Kanzlerkandidat ins Rennen gehen würde, und bei vielen Passagen der Steinbrück Biographie muss man sich tatsächlich über diese Entscheidung wundern. „Peer Steinbrück (…) hat einen operativen, einen exekutiven Politikansatz. Die Aufgabe von Politik ist es nicht, die Gemüter der Menschen und schon gar nicht die von Parteifunktionären zu beruhigen. Politik soll Probleme lösen“, schreiben die Autoren über seine Denk- und Arbeitsweise, und das ist natürlich ein Gegensatz zur Wärme, zur Nostalgie und zu den unantastbaren Werten, die für die Sozialdemokraten so wichtig sind.
Im Wahlkampf hat sich Steinbrück deutlich auf seine Partei zubewegt. Als Minister in Schleswig-Holstein und als Regierungschef in Nordrhein-Westfalen hat der studierte Volkswirt noch mit einer Koalition mit der FDP geliebäugelt. Neuerdings ist er auch für Mindestlohn zu haben, ebenso wie für einen erhöhten Spitzensteuersatz. Das ist nicht nur ein Versöhnungsangebot an den linken SPD-Flügel, sondern vor allem ein Kompromiss, den Steinbrück als notwendig erkannt hat, wenn er eine Chance auf das Kanzleramt haben will. „Die SPD, von deren Programmatik er mehr hält und mitträgt, als ihm bisweilen unterstellt wird, ist für ihn ein Vehikel zum Politikmachen, nicht ein Selbstzweck, wie es bei vielen der von ihm so gern geschmähten Funktionäre der Fall ist“, haben Lohse und Wehner richtig erkannt.
Inhalte und Überzeugungen sind ihm wichtig, sogar wichtiger als die eigene Partei. Das macht Peer Steinbrück zu einem atypischen Politiker, und in dieser Eigenschaft liegt seine größte, vielleicht einzige Chance im Wahlkampf. Ob er sie nutzen kann und ob er ein guter Kanzler wäre, bezweifeln Lohse und Wehner einigermaßen unverhohlen. Steinbrück wird von den Autoren gemessen an einem Ideal, dem er nicht gerecht wird, und dem vielleicht kein Politiker gerecht werden kann. Zu Steinbrücks Glück muss er sich in der Realität nicht mit diesem Ideal messen. Sondern nur mit Angela Merkel.
Bestes Zitat: „Steinbrück und vor allem der linke Flügel der SPD passen nicht nur deswegen so schlecht zusammen, weil sie inhaltlich überwiegend unterschiedliche Auffassungen haben. Vielmehr kollidiert die sachliche, fast mechanische Herangehensweise Steinbrücks an politische Sachverhalte mit dem bisweilen übertrieben prinzipiengeleiteten, je ideologisch gesteuerten Denken und Vorgehen nicht weniger Parteifunktionäre.“