Durchgelesen: Edward M. Forster – „Wiedersehen in Howards End“

Subtil und elegant wird "Wiedersehen in Howards End" zu einem Roman über die Emanzipation.
Subtil und elegant wird „Wiedersehen in Howards End“ zu einem Roman über die Emanzipation.
Autor Edward M. Forster
Titel Wiedersehen in Howards End
Originaltitel Howards End
Verlag Süddeutsche Bibliothek
Erscheinungsjahr 1910
Bewertung ****

„Unsere Geschichte handelt von vornehmen Leuten oder auch von solchen, die so tun müssen, als gehörten sie dazu“, fasst Edward M. Forster an einer Stelle den Inhalt von Wiedersehen in Howards End zusammen, seinem trotz des etwas bekannteren Vorgängers Zimmer mit Aussicht (1908) großartigsten Werkes.

Das ist eine wunderbare Umschreibung für die drei Figurengruppen, die hier im Mittelpunkt stehen: Da sind die Schwestern Margaret und Helen Schlegel, die sich von jeher der Upper Class zugehörig finden und ihre finanzielle Sicherheit nutzen, um sich über den Lauf der Welt (und durchaus auch das Schicksal der weniger Begüterten) ihre Gedanken zu machen. Da ist die Familie Wilcox, die durch Strebsamkeit und Spießigkeit ihren Status als Neureiche festigen will und in deren Häuschen in Howards End die jüngere der Schlegel-Schwestern ein paar Sommertage verbringt. Und da ist Leonard Bast, ein armer Träumer, der durch einen Zufall die Aufmerksamkeit der beiden reichen Familien auf sich zieht.

Sie alle begegnen sich wiederholt, ebenso wie Howards End immer wieder in den Mittelpunkt gerät, weil es all seine Bewohner bezaubert: Das Haus „zerstört das Grauenhafte und macht das Schöne lebendig“, stellt am Ende Margaret Schlegel, die schillerndste, faszinierendste, famoseste der Romanfiguren fest.

Das klingt – auch wenn man weiß, dass sich innerhalb dieses Dreiecks im Verlaufe von Wiedersehen in Howards End diverse Tragödien und Liebesgeschichten abspielen werden – nicht sonderlich spektakulär. In der Tat ist die Stärke dieses Romans nicht die Handlung. Es gibt hier manchmal sogar etwas arg zufällige Wendungen, wie man sie allenfalls in einer Komödie verzeihen würde, und auch einige Zeitsprünge, die zunächst gewagt erscheinen, aber letztlich doch niemals die Harmonie stören.

All das wird in Wiedersehen in Howards End locker in den Schatten gestellt von Forsters blendendem Stil. Süffisant, eloquent und im höchsten Maße geistreich erzählt er diese Geschichte von der Zeit um 1900, in der Klassendenken und Imperialismus, Kaiserreich und Commonwealth, Humanismus und Sozialismus, der freie Markt und die hemmunglose Fantasie aufeinander treffen – und in der viele am Horizont schon das Gespenst des Niedergangs erkennen können.

All das wird derart elegant thematisiert, dass es eine Freude ist. Wiedersehen in Howards End ist im Prinzip eine fortwährende Reflexion – nicht nur des Erzählers, sondern vor allem der Protagonisten. Alle Figuren werden aus einer ironischen Distanz betrachtet und trotzdem mit tiefster Zuneigung. Ihren Gedanken entschlüpft ebenso viel Schlaues über das Private und Zwischenmenschliche („Man redet ja so leicht von ,vergänglichen Gefühlen’ und vergisst dabei, wie stark die Gefühle waren, ehe sie vergingen“) wie über das Politische und Soziale („Von allen Mitteln zur Läuterung ist die Reue ganz gewiss das unwirtschaftlichste. Sie schneidet mit dem vergifteten auch das gesunde Gewebe heraus. Sie ist ein Messer, das noch weit tiefer eindringt als das Übel selbst“).

Letztlich wird Wiedersehen in Howards End damit zu einem subtilen Roman über die Emanzipation (nicht nur der Frauen). Forster kreist um die Frage, ob man sein Leben in die eigene Hand nehmen darf/kann/muss oder ob es nicht klüger wäre, sich auf Schicksal/System/Gott zu verlassen. Soll man sich einmischen, aufbegehren, sich selbst und andere erziehen? Eine Antwort gibt der Roman allenfalls zwischen den Zeilen, wo die Tiefe menschlichen Gefühls und die Größe menschlichen Geistes dokumentiert, seziert und gefeiert wird, letztlich das Wunder unserer universellen Individualität: „Jeder Mensch hat nicht nur sein eigenes Leben, sondern auch seinen eigenen Tod, und selbst wenn nach dem Tod nichts mehr kommt, werden wir uns noch in unserem Nichts voneinander unterscheiden.“

Bestes Zitat: „Das Leben ist in der Tat gefährlich, aber nicht auf die Art, wie die Moralisten uns glauben machen wollen. Es ist in der Tat unkontrollierbar, aber seine Quintessenz ist nicht der Kampf. Es ist unkontrollierbar, weil es eine Romanze und seine Quintessenz romantische Schönheit ist.“

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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