Durchgelesen: Emma Hooper – „Etta und Otto und Russell und James“

Autor Emma Hooper

Cover des Buchs Etta und Otto und Russell und James von Emma Hooper
Die Reise einer alten Dame zum Meer beschreibt Emma Hooper in ihrem Romandebüt.
Titel Etta und Otto und Russell und James
Verlag Droemer
Erscheinungsjahr 2015
Bewertung

Es mag nicht allzu ungewöhnlich sein, als Kanadierin zum Studium nach England zu gehen. Vielleicht ist es auch gar nicht so selten, dass man einen Doktortitel in „Commercial Music“ erwirbt. Womöglich kommt es sogar oft vor, dass man gleichzeitig Musikerin (unter dem Namen „Waitress For The Bees“) und Romanautorin ist.

Auf Emma Hooper, Jahrgang 1980 und seit elf Jahren in Bath lebend, trifft all dies zu. Wirklich ungewöhnlich ist allerdings der Ansatz, den sie für ihren Debütroman Etta und Otto und Russell und James gewählt hat: Die Hauptfigur Etta ist 83 Jahre alt und beschließt so etwas wie einen Selbstfindungstrip. Sie will das Meer sehen, zum ersten Mal in ihrem Leben. Sie will zu Fuß dorthin kommen und wählt auch noch den längeren Weg dazu: 3232 Kilometer sind es von ihrer Farm in Saskatchewan bis an die Ostküste Kanadas.

Auch die anderen Figuren, die man gleich auf dem Cover des Buchs findet, erwartet man nicht unbedingt im ersten Roman einer jungen Autorin: Otto ist Ettas Ehemann, ihre Liebe begann während des Zweiten Weltkriegs. Russell ist ihr gemeinsamer Nachbar, seit frühester Kindheit ein enger Freund von Otto und damals sein Mitschüler in der Dorfschule, in der sie von der nur ein paar Jahre älteren Etta unterrichtet wurden. Und James? Ist ein sprechender Kojote, der Etta auf ihrem Weg Richtung Atlantik begleitet.

So ausgefallen diese Idee ist, so schlicht ist die Erzählweise in Etta und Otto und Russell und James. Emma Hooper setzt nicht auf brillante Dialoge oder sorgsam polierte Formulierungen, bietet aber große Wärme und enorme emotionale Intelligenz. Ihr Buch ist sehr poetisch, ohne blenden oder angeben zu müssen. Denn ihre Figuren sind wundervoll genug, um den Leser zu packen, ebenso wie die Idee zu dieser Geschichte und die Atmosphäre des Buchs: Von Anfang an deutet sie ein Geheimnis an, bis zum großartigen Ende nicht nur Realität und Fantasie verschmelzen, sondern auch verschiedene Zeitalter und Orte.

Der Roman ist wie die Zeit in seinem stetigen Voranschreiten: anmutig, gerade durch seine unerbittliche Nüchternheit. Viele einfache Handgriffe und banale Handlungen werden in Etta und Otto und Russell und James genau beschrieben, etwa das Einkaufen von Briefmarken oder das Abspülen von Löffeln. Denn sie sind es, die (auch) das Leben ausmachen. Und sie sind es, die dem Leben der Figuren eine Struktur und Ordnung verleihen, als nach mehr als 80 Jahren auf dieser Welt nicht mehr viel geblieben ist außer dieser Ordnung und der nie völlig verschwundenen Ahnung, vielleicht das falsche Leben gelebt zu haben.

Emma Hooper entwirft eine ganz kleine Welt, in der ihre Protagonisten ein ganz einfaches Leben führen. Es gibt fast nichts in ihrer Geschichte, was auch nur eine halbe Folge einer handelsüblichen Seifenoper füllen könnte. Und doch machen Etta und Otto und Russell und James Geschichte und Schlagzeilen; es gibt Krieg, verhinderte Liebe und Abenteuer in diesem Roman, der lose vom Leben der Großeltern der Autorin inspiriert ist.

Sie alle werden erdrückt von den Zwängen der Welt. Dass sie überleben, haben sie anderen Erdrückten zu verdanken, deren Beistand für sie allerdings eine weitere Verpflichtung bedeutet. Es ist dieser Blick auf die Eigenschaft jedes Lebens, ein Kompromiss, ein Arrangement zu sein, der das Buch prägt.

Zugleich schafft es Emma Hooper, trotz dieses Leitgedankens spannende Haken zu schlagen. Am Anfang kann man das Buch für einen Roman über Demenz halten, zwischendurch kann man kurz glauben, er werde zu einer Betrachtung über die mediale Sehnsucht nach dem Ursprünglichen. An surrealen Elementen hat die Autorin ebenso große Freude wie am Wiedergeben von Kochrezepten. Ein spannender formaler Kniff ist das Zitieren der Feldpostbriefe, die Otto an Etta geschickt hat und in denen wichtige Passagen gestrichen sind. Die Lücken, die der Zensor dieser Korrespondenz verpasst hat, werden durch die tiefe Vertrautheit des Liebespaars mühelos gefüllt. So wird Etta und Otto und Russell und James nicht so sehr ein Buch über das Alter, sondern ein Buch über die Liebe. Und über den Wert, den es hat, zu einer Entscheidung zu stehen.

Bestes Zitat: „Etta, was du dir einbildest, kann alles sein oder nichts. Zerbrich dir nicht den Kopf darüber.“

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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