Fjodor M. Dostojewski – „Der Jüngling“

Autor Fjodor M. Dostojewski

„Der Jüngling“ zeigt das Scheitern an den eigenen Idealen.
Titel Der Jüngling
Verlag Komet
Erscheinungsjahr 1876
Bewertung

Der Titelheld ist, wie schon im „Idiot“, ein Außenseiter und eine höchst tragische Figur. Das, was er am meisten sein will, nämlich verschwiegen und konsequent, kann er am wenigsten sein. Natürlich wird ihm das nicht klar.

Gerade in der Flüchtigkeit seines Verhaltens liegt für ihn die Gefahr und sein Dilemma, wie ihm sein Vater sogar nahelegt: „Es scheint, ich habe kein Verständnis für die jetzige Jugend, und meine Ansichten sind schon veraltet. Kaum ist man älter geworden, so ist auch schon überholt, was man unternehmen möchte. Und dabei gibt es heute so viele Leute, die sich zur ‚Jugend‘ rechnen und gar nicht davon zu überzeugen sind, dass ihre Ansichten bereits altmodisch geworden sind.“

Der Jüngling steckt voller Ideen, die er für großartig und neu hält, voller Enthusiasmus und Selbstüberschätzung, voller Ehrgefühl und Laster – er ist eben ein Jüngling. Im Rückblick formuliert er diesen Widerspruch gar, ohne sich dessen Tragweite bewusst zu werden: „Und von jeher ist es mir ein Rätsel gewesen, dass ein Mensch in seiner Seele richtig ausgebildet nebeneinander das höchste Ideal und die niedrigste Gemeinheit hegen kann (ganz besonders scheint es beim Russen der Fall zu sein).“ Somit ist er zugleich stolz und naiv, vereint Übereifer und Misstrauen.

Auch als Erzähler macht er ständig Versprechungen, die er nicht halten kann („zur Sache“, „dazu später mehr“, „ich will den Leser nicht damit langweilen“). Überhaupt dient seine Reflexion als Erzähler in nicht geringem Maße dazu, überhaupt Spannung in die letztlich gar nicht so komplizierte und verworrene Handlung zu bringen. Wenn sich alles aufgeklärt hat, erkennt man: Er scheitert nicht an der Umwelt, sondern an seinen Idealen und an seiner Wahrnehmung.

An der besten Stelle im „Jüngling“ referiert ein Greis: „Ein gottloser Mensch würde mir sicherlich Angst und Grauen verursachen, doch, wenn ich offen sein soll, Alexander Semjonowitsch, so habe ich noch nie im Leben einen wahrhaft gottlosen Menschen getroffen, dafür desto mehr Leute, die ruhelos waren. Diese bilden von jeher eine einzige, ganze, große Gesellschaft, hier findet man alle, die da dumm sind oder gelehrt, auch Leute aus den untersten Volksschichten: Ruhelos wandeln sie dahin. Sie lesen viel und legen es aus nach ihrer Weise und nach ihrem Verstand, ziehen das Wohlschmeckende heraus aus ihrer Lektüre, wenn man so sagen soll, bleiben im Zweifel und im Unklaren. Während der eine weich und verschüchtert wurde im Gemüt, ist wohl der andere hart geworden wie Granit und der dritte wird zum Phantasten. Der Vierte geht ohne Mitleid für den Unglücklichen dahin, der verlassen am Weg sitzt, und jener dort ist leichtsinnig. Spott ist in seiner Seele gewachsen, ein üppiges Kraut, das nicht mehr auszurotten ist. Einen kenne ich auch, der sich ganz nach seinem Gefallen schöne Dichtersprüche herausschreibt aus gelesenen Büchern, doch sie erquicken ihn nicht, denn auch er ist wie die anderen – ruhelos und ohne selbstständiges Urteil. (…) Und wenn du alle Wissenschaft der Welt in dich aufnähmest, so könntest du doch deine Unruhe nicht bannen! Ja, mit dem Wachsen des Verstandes wächst auch die Ruhelosigkeit! Und alle die Weisen, die Philosophen, vom grauen Altertum bis heute, sie lehrten zwar so vieles Gute, aber wie die Welt ein recht angenehmer, ruhevoller Wohnsitz werden könnte, das haben sie nicht gelehrt.“

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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Ein Gedanke zu “Fjodor M. Dostojewski – „Der Jüngling“

  1. „Überhaupt dient seine Reflexion als Erzähler in nicht geringem Maße dazu, überhaupt Spannung in die letztlich gar nicht so komplizierte und verworrene Handlung zu bringen.“
    Erstaunlich, wie unterschiedlich man so ein Buch erleben / begreifen kann. Nach meinem Lesen würde es so lauten:
    „Die Reflexion des Erzählers trägt in keinem Maße dazu bei, überhaupt Spannung in die verworrene Handlung zu bringen.“
    Wie schwer zu erraten – meins war der Jüngling nicht.

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