Autor*in | Florian Huber | |
Titel | Meine DDR. Leben im anderen Deutschland | |
Verlag | Rowohlt Berlin | |
Erscheinungsjahr | 2008 | |
Bewertung |
Als die DDR gegründet wurde, waren sich selbst ihre Gründungsväter sicher, mit diesem Staat allenfalls ein Provisorium geschaffen zu haben, für ein paar Monate, im höchsten Falle Jahre. Doch dann hatte dieser Staat Bestand, er überlebte 40 Jahre lang – und in ihm seine Menschen. Wie ist das zu erklären – und wie fühlte sich das Leben im anderen Deutschland, so der Untertitel des Buches, an? Diesen Fragen will Meine DDR, Begleitbuch zur Fernsehserie im Ersten, nachgehen. Die Macher wollen, wie NDR-Redakteur Hans-Jürgen Berner im Vorwort schreibt, nichts weniger als „eine Gesamtschau der DDR-Geschichte wagen, die die Lebenswirklichkeit der Menschen widerspiegelt, und die aus einer kritischen Perspektive von Politik und Alltag in der DDR erzählt, von Illusionen und Realitäten.“
Grundlage sind hunderte Fragebögen von Menschen, die in der DDR gelebt haben. Aus ihren Biographien wird eine erstaunlich zusammenhängende und vollständige Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik synthetisiert. Viele einzelne Schicksale ergeben hier ein Gesamtbild, das durchaus Handbuchcharakter beanspruchen kann.
Autor Florian Huber (geboren in Nürnberg und somit quasi die einzige westdeutsche Stimme, die hier zu Worte kommt), möchte mit diesem Buch, neben dem inhaltlichen Anliegen, ganz unverhohlen auch einen Beweis für die Leistungsfähigkeit der Oral History antreten. Das gelingt – und doch hätte man ihm gewünscht, sich für dieses Vorhaben ein weniger kontroverses Thema herausgesucht zu haben.
Denn Meine DDR ist leider ein wenig tendenziös geraten. Vor allem in den Abschnitten über die Anfangsjahre greift der Autor immer wieder (bis in die Wortwahl hinein) zu übertriebenen Vergleichen mit dem NS-Regime. Beim Zusammenbruch des Staates fegt er einfach über die Frage hinweg, wie aus der Idee, die DDR zu reformieren, plötzlich der Traum von der deutschen Wiedervereinigung werden konnte. Und dazwischen hat man mitunter den Eindruck, rund die Hälfte der 17 Millionen DDR-Bürger seien Theologiestudenten gewesen.
Immer wieder wirkt es, als wolle Huber ganz sicher gehen, dass dieses „andere Deutschland“ auch wirklich als Diktatur erkannt wird. Wiederholt schildern die Protagonisten zwar, wie sie sich mit der DDR abgefunden, arrangiert oder sogar identifiziert haben. Doch bis auf eine Ausnahme rücken sie alle noch vor dem Jahr 1989 von dieser Position ab – und werden so zur Personifizierung des zwangsläufigen Zusammenbruchs des Systems.
Das Team hinter der Fernsehserie und dem Buch begreift die Geschichte der DDR „als eine Geschichte der Menschen, die sie gegründet, bekämpft, erduldet, verteidigt und an ihr gelitten haben“, erklärt Berner. Es ist kein Zufall, dass hier neutrale oder gar positive Partizipien fehlen wie „geprägt“, „akzeptiert“ oder gar „geliebt“. Es gibt in diesem Buch keine Bürger, schon gar keine Patrioten – es gibt nur Opfer. Man muss angesichts dieser Tatsache nicht gleich von der Geschichtsschreibung der Sieger palavern. Aber es ist eine durchaus erstaunliche Auswahl an Mentalitäten und Biographien, bei der man zumindest hinterfragen darf, wie repräsentativ sie ist.
Immerhin: Gerade durch den Ansatz, verschiedene Protagonisten durch ihre ganz eigene Geschichte zu begleiten, wird hier auch der ganz banale Alltag greifbar, der Pragmatismus der Menschen – und auch die positiven Seiten des Arbeiter- und Bauernstaates, etwa die weit vorangeschrittene Gleichberechtigung der Frauen.
Auch an anderer Stelle hat die Methode enorme Kraft: Wenn politische Häftlinge, Republikflüchtlinge, Kirchenvertreter oder die Opfer von Zwangsumsiedlung und Enteignung zu Wort kommen, dann wird das Geschehen ebenso eindrucksvoll wie bedrückend – eben weil es bei ihren Erfahrungen keinen Interpretationsspielraum gibt, sondern nur ganz konkretes, individuelles und jahrelanges Leid.
So hinterlässt das Buch am Ende einen zwiespältigen Eindruck: Ein gut gemeinter methodischer Ansatz zeigt hier seine Tragfähigkeit, die Interpretation der Autoren macht einen Teil davon wieder zunichte. Meine DDR ist eines der wenigen Bücher, die dem Alltag im SED-Staat nahe kommen. Das Unpolitische, das viel zitierte Zwischenmenschliche – all das kommt in Meine DDR vor, wenn auch bloß im Hintergrund und stets als zerbrechlich, vergänglich und von permanenter Frustration bedroht. Das Diktatorische, die Allmacht der Partei und ihr Durchgreifen in alle Lebensbereiche, das wird hingegen als unentrinnbar und unverrückbar geschildert. Die Geschichte hat bewiesen, dass es genau umgekehrt war.
Bestes Zitat: „Nach dem Ausbau der Grenze im August 1961 war die DDR kein normales Land mehr. Die Mauer wurde zur hässlichen Metapher für den sozialistischen Staat, den ‚Mauerstaat‘, und blieb es bis zu ihrem Ende. Die Staatspartei SED hatte gezeigt, dass sie ihrem Staatsvolk nicht traute, dass ihr die eigene Existenz wichtiger war als die Freiheit, ja selbst das Leben ihrer Bürger.“
Ein Gedanke zu “Florian Huber – „Meine DDR“”