Franziska Gerstenberg – „Spiel mit ihr“

Autor Franziska Gerstenberg

Mit viel Feingefühl wagt sich Franziska Gerstenberg in "Spiel mit ihr" an pikante Themen.
Mit viel Feingefühl wagt sich Franziska Gerstenberg in „Spiel mit ihr“ an pikante Themen.
Titel Spiel mit ihr
Verlag Schöffling
Erscheinungsjahr 2012
Bewertung

So ist das also. Angeblich entfremdet das Internet ja vom Leben, dem Sinnlichen, der Realität. Bei Reinhard ist es umgekehrt. Er hat sich gerade scheiden lassen, nun findet er im Netz sein wahres Ich: Pornoseiten öffnen dem 50-jährigen Anwalt die Augen über ungeahnte Spielarten der Sexualität. Auf Dating-Portalen findet er willige Frauen, mit denen er seine neu entdeckte Lust ausleben kann.

Eine davon ist Kristine, mit der Reinhard seine Erfüllung in immer neuen Rollenspielen gefunden zu haben scheint. Doch die alleinerziehende Mutter sucht nicht nur sexuelle Abenteuer, sondern auch einen Vater für ihre Tochter Emma. So wird aus der Affäre eine seltsame Dreiecksbeziehung – bis Emma verschwunden ist.

Das ist die Ausgangssituation für Spiel mit ihr, den ersten Roman von Franziska Gerstenberg. Man könnte in Versuchung geraten, der Autorin allzu geschicktes Kalkül vorzuwerfen: Nach zwei preisgekrönten Bänden mit Erzählungen wagt sie sich nun erstmals an die verkaufsträchtigste literarische Form. Und sie würzt ihr Romandebüt mit einer satten Dosis Erotik und greift zudem Trendthemen wie Pornographiesierung, Spieltheorie und Partnerbörsen auf.

Glücklicherweise ist Franziska Gerstenberg viel zu begabt, um solcherlei Verdacht lange im Raum stehen zu lassen. An keiner Stelle macht die 33-jährige Autorin den Fehler, das Konventionelle mit dem Normalen zu verwechseln. Genau deshalb kann sie selbst mit delikaten Themen wie Sado-Maso oder Kindesmissbrauch höchst sensibel umgehen. Alle Protagonisten des Romans sind faszinierend authentisch, alle werden sehr behutsam eingeführt und niemals gibt es in Spiel mit ihr eine explizite moralische Wertung – allenfalls Sympathie für alle Figuren.

Das erstaunt vor allem, weil sich hier nach und nach ein knallharter Machtkampf entwickelt. Alle Figuren in diesem Roman sind einsam, doch sie versuchen nicht, das mit Verständnis oder Wärme zu überwinden, sondern setzen auf Härte. Beim Spielen geht es ums Siegen und Besiegen – diese Idee wird hier in aller Konsequenz vor Augen geführt. Sie eint auch die seltsamen und doch nicht unrealistischen Pärchen, die es in Spiel mit ihr gleich reihenweise gibt: Reinhard will Kristine beherrschen, die will wiederum ihre Tochter im Griff haben, die Sechsjährige versucht derweil, einen seltsamen Nachbarn um den Finger zu wickeln.

Aus dieser Konstellation erwächst eine erstaunliche Spannung, die vor allem der geschickten Konstruktion des Romans zu verdanken ist: Trieb und Lust können hier jederzeit zuschlage, auch im unpassendsten Moment – mit grausamen Folgen.

Bestes Zitat: „Liebe allein ist doch eine Illusion, da fehlt die biologische Erfüllung. Sexualität löst das Versprechen ein, das man sich in einer Beziehung gibt. Nein, mehr noch: Durch die Lust wird das Versprechen erneuert.“

Diese Rezension gibt es auch bei news.de.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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