Autor | Hans Peter Schütz |
Titel | Wolfgang Schäuble – Zwei Leben |
Verlag | Droemer |
Erscheinungsjahr | 2012 |
Bewertung | *** |
Tennis sei ein Hybrid aus Schach und Boxen, schreibt US-Autor David Foster Wallace in seinem Roman Unendlicher Spaß. Als Wolfgang Schäuble noch laufen konnte, war er ein begeisterter Tennisspieler. Doch wahrscheinlich war der 70-Jährige in seiner Karriere immer ein bisschen zu sehr Schachspieler und zu wenig Boxer, um es wirklich in die erste Reihe zu schaffen. «Intelligent» ist ein Wort, das fast immer fällt, wenn Schäuble charakterisiert wird. Ein Mann mit dem entscheidenden politischen Punch ist der Bundesfinanzminister aber nicht.
Er wäre beinahe Bundeskanzler geworden und beinahe Bundespräsident, auch hoch dekorierte Posten in Brüssel lockten. Doch Schäuble, mit mittlerweile 40 Jahren im Bundestag der dienstälteste deutsche Abgeordnete aller Zeiten, blieb immer ein Mann, dem der Sprung ganz nach oben versagt blieb.
Man kann davon ausgehen, dass es ihn grämt, wenn am Nationalfeiertag wieder Helmut Kohl als Kanzler der Einheit gefeiert wird. Nicht nur, weil es Schäuble war, der bei den Verhandlungen des Einheitsvertrags die Kärrnerarbeit leistete, während er sich hinter verschlossenen Türen schon einmal über Kohls «chaotischen Regierungsstil» echauffierte. Sondern vor allem, weil ihm der Altkanzler die wohl herbste politische Niederlage und größte menschliche Enttäuschung seiner Karriere beigebracht hat: In der Parteispendenaffäre ließ Kohl seinen einstigen Kronprinzen im Stich und in Schäubles Augen zudem das Wohl der Partei außer Acht.
Das hat der gebürtige Freiburger, für den Pflichtgefühl und Loyalität zu den höchsten Werten zählen, seinem einstigen Förderer nie verziehen. Die beiden, die jahrzehntelang eng zusammen gearbeitet haben, reden seitdem kein Wort mehr miteinander. «Ich habe wohl schon zu viel meiner knapp bemessenen Lebenszeit mit dir verbracht», war der letzte Satz, den Schäuble nach einem heftigen Streitgespräch zu Helmut Kohl sprach.
Der tiefe Fall im Zuge der Parteispendenaffäre, in der auch Schäuble einen Koffer mit illegalem Geld für die CDU annahm, war einer der vielen Momente in der Laufbahn des 70-Jährigen, in denen man sich rückblickend fragen muss: Warum hat Schäuble da nicht alles hingeworfen? Dieser Frage geht auch der Journalist Hans Peter Schütz in seiner brandneuen Schäuble-Biografie Wolfgang Schäuble – zwei Leben nach. «Warum macht dieser Mann alles mit? Ließ das alles mit sich machen? Weit mehr, als in ein normales politisches Leben passt», fragt sich der Autor.
Die Antwort gibt er in seinem Buch natürlich auch: Schäuble, der von Kindesbeinen an politisiert wird, kann nicht ohne Politik. Das gilt spätestens, seit ihn ein psychisch kranker Mann niedergeschossen hat und Schäuble damit an den Rollstuhl fesselte. Ohne das Gefühl, am Schicksal dieses Landes mitwirken zu können, hätte Schäuble seine Querschnittslähmung wohl kaum ertragen können. Schütz zeigt eindrucksvoll, wie der damals 48-Jährige noch im Krankenbett nach dem Attentat wieder ins politische Tagesgeschäft einsteigt und sich bis heute weit über die Grenzen des gesundheitlich Ratsamen strapaziert. Politik ist für ihn eine Berufung, aber auch ein Mittel, das ihn davor bewahrt, sich zu sehr mit seiner Behinderung beschäftigen zu müssen.
Schütz, der am Abend des Attentats live dabei war, blendet in seinem Buch die Fehltritte Schäubles nicht aus, von der Parteispendenaffäre über die Versäumnisse bei der Bekämpfung von Geldwäsche bis hin zu Schäubles berüchtigter «Saugosch», die ihm den Ruf eines mitunter ungeduldigen, verletzenden und arroganten Politikers eingebracht hat.
Der Autor hat aber nicht so sehr eine Skandalchronik im Auge, sondern versucht sich stattdessen an einem Psychogramm Schäubles. Er sprach für Zwei Leben mit Schäubles Ehefrau und seinem Bruder Thomas – und schafft es tatsächlich, ein faszinierendes Porträt zu zeichnen. Nach der Lektüre ist man nicht unbedingt begeistert von Wolfgang Schäuble, aber sicher beeindruckt genug, um vor seiner politischen Leistung, seinem Ehrgeiz und seinem Arbeitsethos den Hut zu ziehen. Dieser Mann ist der Sisyphos der deutschen Politik – und wahrscheinlich gefällt er sich sogar in dieser Rolle.
Bestes Zitat: «Wolfgang Schäuble ist ein protestantischer Pflichtmensch. Nur damit lässt sich erklären, dass einer wie er, der im Rollstuhl eine Kraft entfaltet, die vielen unbegreiflich und einigen unheimlich ist, nicht einmal beim Blick auf die sichere Niederlage die Kraft zum Aufstand gegen Kohl fand. Dass bedingungslose Loyalität eine nahe Verwandte persönlicher Feigheit ist, wollte er nicht wahrhaben.»
Eine Sammlung mit Zitaten von Wolfgang Schäuble gibt es hier.
Zehn Dinge, die Sie noch nicht über Wolfgang Schäuble wussten gibt es gemeinam mit dieser Rezension in einer Fotostrecke bei news.de
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