Autor*in | Hans-Peter Siebenhaar | |
Titel | Die Nimmersatten | |
Verlag | Eichborn | |
Erscheinungsjahr | 2012 | |
Bewertung |
Ein paar Wochen noch, dann dürfen dank der sogenannten Haushaltsabgabe auch all jene für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zahlen, die bisher noch nichts beigetragen haben. GEZ wird ab 2013 für jeden fällig, vollkommen unabhängig von der Frage, welche Geräte er hat oder welche Angebote er in Fernsehen, Radio und Internet nutzt. Ein guter Zeitpunkt, um das System von ARD und ZDF unter die Lupe zu nehmen, findet Hans-Peter Siebenhaar. Der Medienexperte, im Hauptberuf Redakteur beim Handelsblatt, hat einst als Student selbst freiberuflich für den Bayerischen Rundfunk gearbeitet. Mittlerweile beobachtet er das öffentlich-rechtliche System von außen. Und was er sieht, macht ihn offensichtlich nahezu rasend.
Die Nimmersatten – Die Wahrheit über das System ARD und ZDF ist keine Abrechnung, aber eine schonungslose Diagnose. Siebenhaar (Jahrgang 1962) unterstreicht, dass er selbst kaum eine emotionale Bindung an die Anstalten hat. „ARD und ZDF – das war das Fernsehen der anderen“, schreibt er über die Zeit, als er jung war, es noch kein wahrnehmbares Privatfernsehen gab, und man sich als moderner junger Deutscher trotzdem nicht für die Programme der Öffentlich-Rechtlichen interessierte. Seine treffende Diagnose im nächsten Satz lautet: „Heute geht es jungen Menschen ähnlich.“
In weiten Teilen der Gesellschaft hätten die Anstalten mittlerweile „längst den Rückhalt verloren“, hat er mir im Interview gesagt. „Vor allem Menschen unter 60 Jahren sehen das System von 22 Fernsehsendern und 67 Radioprogrammen sehr kritisch. Wenn der Luxusliner ARD/ZDF nicht den Kurs ändert, läuft er auf einen Eisberg auf wie einst die ‚Titanic’’’. Die Überalterung der Zuschauer von ARD und ZDF ist dabei nur der Startpunkt für einen ganzen Katalog von Missständen, die Siebenhaar auflistet: Intransparenz, aufgeblähte Verwaltung, überteurte Sportrechte, überflüssige Regional- und Digitalprogramme, Doppelstrukturen, Einflussnahme der Politik, unfähige oder untätige Aufsichtsinstanzen, Selbstbedienung, Vettern- und Günstlingswirtschaft, überbezahlte Moderatoren, die über eigene Produktionsfirmen auch noch doppelt verdienen.
Arbeitet man sich durch diese gut 200 Seiten, ist es schon bald kein Wunder mehr, dass der Autor hier manchmal verbittert, gerne auch populistisch agiert. Das Hauptgebäude der GEZ in Köln-Bocklemünd nennt er das „Fort Knox des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“, für die Programmplanung findet er die knappe Formel „Quote statt Klasse“, beim Blick auf die Einkaufspolitik bei Sportrechten kommt er zum Schluss: „Wenn ARD und ZDF die Fußballarena betreten, wächst kein Gras mehr.“
Auch wenn Siebenhaar unlängst etwa die Abschaffung des ZDF gefordert hat, kritisiert er in Die Nimmersatten keineswegs die Existenz der Öffentlich-Rechtlichen an sich, sondern lediglich ihr (unkontrolliertes) Wachstum. Besonders deutlich wird das bei seinen sehr gelungenen Betrachtungen zur Diskussion um einen neuen Jugendkanal. Frappierend ist Die Nimmersatten auch auf vermeintlichen Nebenschauplätzen: So sieht Siebenhaar sogar Selbstverständlichkeiten wie die Übertragung der Verleihung von Goldener Kamera oder Bambi kritisch, weil beide Events im Prinzip PR-Veranstaltungen großer Verlage sind, die in seinen Augen nun von Gebührengeldern mitfinanziert werden. Das mag kleinkariert wirken, zeigt aber auch, wie sehr die Öffentlich-Rechtlichen ihren Programmauftrag schon seit Jahren strapazieren und wie sehr wir uns als Publikum schon daran gewöhnt haben.
Auch die Zahlen, die Siebenhaar für Die Nimmersatten zusammengetragen hat, sind erhellend. 7,5 Milliarden Euro zahlen die Deutschen pro Jahr an Gebühren. Wie wenig diese Summe mitunter im Sinne des Programmauftrags genutzt wird, zeigen ein paar Beispiele aus dem Buch: Nur 14 Millionen Euro gab das ZDF demnach im Jahr 2009 für die gesamte Berichterstattung über die deutsche Politik aus – das ist ungefähr so viel wie die ARD pro Saison für die Übertragungsrechte der Dritten Fußball-Liga zahlt. Auch für Eigenwerbung (ZDF: 9 Millionen Euro im Jahr 2009) oder die Dienste von Günther Jauch für den Polittalk am Sonntagabend (geschätzte Kosten: 10,5 Millionen Euro pro Jahr) liegen die Etatposten in ähnlicher Größenordnung wie für die gesamte Inlands-Politikberichterstattung.
Es gibt etliche Stellen in Die Nimmersatten, an denen man sich noch mehr Zahlen gewünscht hätte. Doch an die ist schlicht nicht ranzukommen. „Die Recherche war schwierig und aufreibend. Denn die Intransparenz ist Teil des öffentlich-rechtlichen Systems. Das läuft man schon mal gegen Wände. Doch ich gehöre nicht zu der Art von Autoren, die bei Widerständen aufgibt“, sagt Siebenhaar dazu. Die fehlende Transparenz bei ARD und ZDF wird damit gerade auch durch all das deutlich, was nicht in diesem Buch steht.
Dass ARD und ZDF es nicht für nötig erachten, sich zu rechtfertigen und den Gebührenzahlern Einblick in ihre Entscheidungsprozesse zu gewähren, ist empörend genug. Auch Verschwendung, Programm-Dünnpfiff oder Korruptionsskandale sind Aufreger, die Siebenhaar immer wieder thematisiert. Am schockierendsten erscheint nach der Lektüre von Die Nimmersatten aber ein anderes Problem: die politische Einflussnahme auf die Anstalten.
Das liegt nicht nur daran, dass diese – im Gegensatz zu Ineffizienz oder fragwürdiger Interpretation des Programmauftrags – eher außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung stattfindet. Schwerer wiegt, dass das ganze System von ARD und ZDF (notfalls auch mit all seinen Schwachstellen) seine Daseinsberechtigung erst dadurch gewinnt, dass die Redaktionen unabhängige, objektive Berichterstattung liefern sollen. Davon kann keine Rede sein, zeigt Siebenhaar auf. „Das Verhältnis der Politik zu ARD und ZDF ist eine leidenschaftliche Liebesbeziehung. Die Politiker benötigen das öffentlich-rechtliche Fernsehen für die Vermittlung ihrer Botschaften, und die Sender brauchen die Politik zur Sicherung ihrer Milliarden aus dem Geldbeutel der Bürger“, schreibt er an einer Stelle, um wenig später klipp und klar festzustellen: „ARD und ZDF sind Eigentum der Parteien und des Staates.“
Es irritiert freilich, was der Autor in Die Nimmersatten daraus für Schlussfolgerungen zieht – vor allem, wenn man bedenkt, dass Siebenhaar nicht nur Politologe, sondern auch Journalist ist. Denn seine Kriterien sind überraschenderweise nicht Demokratie, Öffentlichkeit oder der politische Meinungsbildungsprozess, sondern Effizienz, Wettbewerb und Mitbestimmung. Immer wieder betrachtet er Die Nimmersatten aus einem in erster Linie ökonomischen Blickwinkel, und darin liegt eine der Schwächen des Buches. Denn damit bleiben zum einen wichtige gesellschaftliche Fragen unbeantwortet. Zum anderen fällt dem Autor durch diesen Ansatz die Tatsache auf die Füße, dass er nicht unparteiisch ist. Er sieht die Öffentlich-Rechtlichen immer wieder zuerst als Akteure auf dem Markt, als Konkurrenz für private Medienhäuser – also auch für seinen eigenen Arbeitgeber.
Das hat einige fragwürdige Thesen zur Folge. So ist Siebenhaar beispielsweise der Ansicht, eine Grundversorgung mit Nachrichten durch die Öffentlich-Rechtlichen (die er als „informationelles Grundrauschen“ abtut) sei nicht mehr notwendig, denn die leiste mittlerweile bereits das Internet. Dabei vergisst er allerdings, dass Information nicht dasselbe ist wie Journalismus, und dass viele Informationen noch lange nicht Informiertheit bedeuten.
Problematisch ist (neben der etwas wirren Struktur des Buchs und einigen Redundanzen) auch, dass sich Siebenhaar durch seinen Fokus auf Strukturen und Finanzen (statt auf Inhalte und Aufgaben) in Widersprüche verstrickt. Einerseits fordert er, die Anstalten sollten wirtschaftlich denken, andererseits prangert er an, wenn sie Gewinne mit Beteiligungen oder Tochterfirmen erzielen (weil dies nicht zum öffentlich-rechtlichen Auftrag gehört). Er beklagt die zahllosen Digitalkanäle, lobt aber die Dokumentationen auf ZDF Neo. Er spricht sich für mehr Eigenproduktionen aus, verlangt aber zugleich, dass ARD und ZDF ihre hauseigenen Studios abstoßen.
Trotz solcher Ungereimtheiten und des Fehlers, die Gebührenzahler zu sehr als Käufer und die Anstalten zu sehr als Unternehmen zu betrachten, bleibt Die Nimmersatten eine sehr verdienstvolle Bestandsaufnahme. Besonders erfreulich: Siebenhaar begnügt sich nicht mit einem Lamento, sondern gibt am Ende auf mehr als 40 Seiten ganz konkrete Anregungen für Reformen. Dass der Bedarf dafür riesig ist, daran kann nach der Lektüre von Die Nimmersatten kein Zweifel bestehen.
Bestes Zitat: „Es ist immer das gleiche Spiel: Die Anstalten erfinden für sich neue Aufgaben wie beispielsweise einen Jugendkanal oder Digitalangebote und kommen anschließend in vermeintliche Sparzwänge, die eigentlich gar keine sind.“