Autor | Heimo Schwilk | |
Titel | Hermann Hesse. Das Leben des Glasperlenspielers | |
Verlag | Piper | |
Erscheinungsjahr | 2012 | |
Bewertung |
„Es ist keine Biographie, wie so viele sind, mit lauter Familienkleidern um den Helden gehängt, nein, alles gilt der Kunst Hesses und seinem Werk.“ So urteilte Lisa Wenger, damals die Schwiegermutter von Hermann Hesse, 1927 über die gerade erschienene Hesse-Biographie aus der Feder von Hugo Ball.
Dasselbe kann man auch über dieses Buch sagen. Heimo Schwilk berichtet in Hermann Hesse – Das Leben des Glasperlenspielers viel Persönliches über den weltweit meistgelesenen deutschen Autor des 20. Jahrhunderts. Aber er ist dabei nie auf der Suche nach privaten Skandalen, sondern richtet immer den Blick auf das Schaffen als Schriftsteller.
Schwilk, Leitender Redakteur bei der Welt am Sonntag, besticht mit Recherche, Sachkenntnis und viel Einfühlungsvermögen (er war ebenso wie Hesse einst Seminarist in Maulbronn, vielleicht begründet das eine besondere Beziehung). Vor allem aber zeigt er sich in dieser Biographie als guter Erzähler. Hermann Hesse – Das Leben des Glasperlenspielers ist ein ebenso erhellendes wie unterhaltsames Buch, und es macht große Lust darauf, sich (erneut) mit den Werken Hesses zu beschäftigen.
Diese Stärken sind ohne Zweifel dem Autor zu verdanken, aber auch im Thema begründet. Dass diese Biographie so spannend ist, liegt natürlich auch an Hermann Hesses schillernder Persönlichkeit. Der Literaturnobelpreisträger war mindestens so spannend wie viele seiner Romanfiguren. Schwilk attestiert ihm eine „fast schizoide Zerrissenheit“, die sich nicht zuletzt darin äußerte, dass er auch in seinen Büchern immer wieder auf Doppelgestalten (Klein und Wagner, Narziss und Goldmund, Siddhartha und Govinda sind nur einige davon) setzte.
Schwilk lässt keinen Zweifel daran: Hermann Hesse war ein Rebell. Von Anfang an, als Lausbub in der schwäbischen Provinz, bis fast bis zum Schluss, als er sich mit knapp 50 Jahren noch einmal neu erfindet, als Lebemann und Steppenwolf. Schon als Kind gilt er als aufmüpfig, schnell empfindet er die Enge seines pietistischen Elternhauses als lästig. Denn das Ziel für sein Leben steht ihm ebenfalls sehr früh vor Augen: die Verwirklichung des Selbst gegen alle Konventionen.
Das Dasein als Dichter erscheint dem jungen Hesse als der geeignete Weg; dazu gehört bei ihm auch, dass er sich schon in der Pubertät in der Pose des (verkannten) Genies gefällt. So schreibt er 1892 an seinen Vater: „Wenn das Leben des Wegwerfens überhaupt wert wäre, wäre das ganze Leben nicht bald ein heiterer, bald schwarzer Wahn – ich möchte mir den Schädel an diesen Mauern einrennen, die mich von mir selber trennen. Und dazu dieser trübe Herbst und der nahe schwarze Winter. (…) Das Schöne flieht und die eisige Kälte bleibt zurück. Und ich bin der Einzige unter einigen Hunderten von entmenschlichten Irren, der dies fühlt. Fast wünsche ich mir den Irrsinn, es muss unendlich süß sein, alles, alles verschlafen, vergessen zu können, Lust und Leid, Leben und Schmerz, und Liebe und Hass!“
Die Drohung mit Selbstmord wird ein Leitmotiv in dieser Biographie. Tatsächlich landet Hesse als Teenager und junger Mann mehrfach in der Irrenanstalt. Später experimentiert er mit Psychoanalyse und lässt deren Methoden auch in sein Werk einfließen. Gesundheitliche Probleme, die ihn ebenfalls sein ganzes Leben lang quälen, sind dabei nur ein Grund für sein Unglück. Stärker wirkt, dass sich Hesse als „stolzer Märtyrer des Andersseins“ sieht, wie Schwilk gekonnt herausarbeitet. Im Demian deutet Hesse das selbst an mit dem Satz: „Ich wollte ja nichts als das zu leben versuchen, was von selber aus mir heraus wollte.“
Dichten und Dienen – in dieser Begriffspaarung fasst Schwilk das Selbstbild des Schriftstellers zusammen: „Hesse hat ein ganz eigenes, gleichsam aristotelisches Verständnis von Individualität entwickelt. Für ihn ist der Mensch nicht ‚frei geboren’, sondern auf ein bestimmtes, sein ureigenes Wesen angelegt, dem er in seinem Wirken Gestalt zu verleihen, dem er zu dienen hat. Diese seelische Zielgerichtetheit hat Folgen für das Verhältnis des Individuums zur Gesellschaft: Der Einzelne setzt seinen Eigen-Sinn gegen den Herden-Sinn.“
Natürlich müssen aus diesem Ansatz Konflikte erwachsen, die noch dadurch verstärkt werden, dass Hesse gerne Feindbilder aufbaut. Zunächst ist das sein Vater, zu dem er zeitlebens ein schwieriges Verhältnis hat. Den Moralismus des einstigen Missionars kann der Freigeist Hesse nur ablehnen. Später wird seine erste Ehefrau Mia zum Sündenbock. Als der Erste Weltkrieg ausbricht, legt sich Hesse – nach den sensationellen Erfolgen seiner ersten beiden Roman Peter Camenzind und Unterm Rad längst ein berühmter Autor – auch mit der öffentlichen Meinung an. Er kann sich zunächst nicht entscheiden zwischen Patriotismus (also Befürwortung des Kriegs) und Internationalismus (also Ablehnung des Kriegs), auch der von ihm als weltfremd erachtete Pazifismus ist für ihn keine Option. So sitzt Hesse zwischen allen Stühlen und sieht sich etlichen Anfeindungen aus beiden Lagern ausgesetzt.
Das Lavieren aus der Schweizer Wahlheimat heraus wiederholt sich in ähnlicher Form bei der Machtergreifung der Nazis. Hesse lehnt sie zwar von Beginn an ab, setzt sich für Flüchtlinge und Emigranten ein und veröffentlicht unter Pseudonym auch kritische Beiträge über die politische Lage in Deutschland. Unter eigenem Namen bezieht er jedoch lange Zeit nicht klar Position, weil er befürchtet, dass dann seine Bücher in Deutschland verboten werden.
Wie diese Erfahrungen sein Schaffen (und vor allem das Spätwerk Das Glasperlenspiel) geprägt haben, legt Schwilk beinahe minutiös dar. Immer wieder zeigt er Schnittmengen auf oder belegt seine Interpretationen mit Passagen aus Hesses Werk. Auch diese permanent erfolgende Verknüpfung von Leben und Werk ist letztlich in der Person Hesses begründet. „Kongruenz von Leben und Kunst, das völlige Aufgehen der Person im Werk ist Hesses Ideal“, stellt der Biograph fest, und macht passend dazu auch die zentralen Lebensfragen des Schriftstellers aus: „Wie ist Freiheit mit Bindung vereinbar? Muss man das eine lassen, um das andere zu gewinnen? Sind Kunst und Leben doch nicht miteinander zu versöhnen?“
Eine Antwort darauf findet Hesse zeitlebens nicht. Nach dem Sturm und Drang seiner Jugendjahre lösen diese Fragen aber tiefe Sehnsucht nach Versöhnung aus, mit den Eltern, Lehrern, Ehefrauen. Auch auf abstrakter Ebene trifft das zu: Hesse versuchte nicht nur, eine Brücke zwischen Ost und West zu bauen, sondern auch seine eigene, kompromisslose Individualität mit den Werten von Moral und Religion zu vereinen. In diese Reihe passt auch seine Suche nach Einklang mit der Natur samt seiner Aktivitäten als Landschaftsmaler und Hobbygärtner.
Mit diesem Aspekt zeigt Schwilk die aus aktueller Sicht vielleicht interessanteste Facette an Hermann Hesse auf: Seine Biographie macht zum einen deutlich, wie sehr Hesses Zeitalter von Kultur und intellektuellen Debatten geprägt war. Vor allem im Gegensatz zu heute ist es schier unfassbar, was er schon als 15-Jähriger für hochgeistige Briefe geschrieben und welch reflektierte Fanpost er dann als Senkrechtstarter am Literaturhimmel beispielsweise von der damals 14-jährigen Minon Ausländer erhalten hat, die später seine dritte Ehefrau werden sollte.
Zum anderen verdeutlichen Naturliebe und die Sehnsucht nach Versöhnung auch Hesses Rückwärtsgewandtheit. Er ahnte, in welche Richtung seine Zeitgenossen die gesellschaftliche Entwicklung trieben. Die meisten dieser Entwicklungen lehnte er ab, und nicht wenige davon erfüllten ihn mit einer tiefen, nicht nur unterbewusst empfundenen Angst. Schwilk erkennt bei Hesse eine „Distanz zu allem, was mit Fortschritt und Technik zu tun hat, aber auch seine tief sitzenden Selbstzweifel, wie er sich in diesem rasenden Wirbel der Veränderung behaupten soll“. Seine Biographie zeichnet so auch das Bild eines Autors, der sein Zeitalter durchdringt, der Erfolg und Hochachtung genießt, aber das Rad der Zeit dennoch nicht anhalten oder gar zurückdrehen kann.
Bestes Zitat: „Hesse sucht nicht das Glück, sondern den Schmerz. Er muss unglücklich sein, um schreiben zu können. Er brütet sein Unglück geradezu aus, nur so kann er sich selbst erfahren, als Dichter realisieren. Die andauernden Katastrophenmeldungen in seinen Briefen (…), die immer neue Ankündigung, demnächst seinem Leben ein Ende setzen zu wollen, sind Akte der Selbstkonstitution: Ich leide, also bin ich.“