Autor | Heinrich Steinfest |
Titel | Das himmlische Kind |
Verlag | Droemer |
Erscheinungsjahr | 2012 |
Bewertung | *1/2 |
Als Krimiautor hat sich Heinrich Steinfest einen Namen gemacht. Der Mann, der abwechselnd in Stuttgart und in Wien lebt, hat den einarmigen Detektiv Cheng erfunden und wurde mehrfach mit dem Deutschen Krimi Preis ausgezeichnet.
Wer sein neues Buch Das himmlische Kind liest, wird schnell merken, dass diesmal alles anders ist im Werk von Heinrich Steinfest. Der Beginn des Buches ist selbst dann irritierend, wenn man keinen Krimi erwartet. Rund 20 Seiten lang wird da ein Spielzeug beschrieben, wenig elegant unterbrochen durch die Charakterisierungen der Figuren in diesem Roman.
Danach entspinnt sich die Geschichte von zwei Kindern, die einem tragischen Tod von der Schippe gesprungen sind, sich nun aber in einem winterlichen Wald durchschlagen müssen. Die 12-jährige Miriam wird dabei zur Heldin, denn sie päppelt in einer verlassenen Hütte ihren kleinen Bruder Elias wieder auf. Mit Tannnadeltee gegen das Fieber, das ihn plagt. Und mit einer Erzählung, die ihn von der Gefahr des Erfrierens und der allgemein misslichen Lage ablenken soll, in der die beiden Kinder stecken.
Steinfest will mit Das himmlische Kind keineswegs mit seinem bisherigen Werk brechen. Der Roman sei „kein Buch gegen die anderen Bücher“, sagte der Erfolgsautor im Interview mit dem SWR. Aber er habe die Gefahr gesehen, sich mit einem weiteren Krimi womöglich zu wiederholen. Einfach mal etwas Neues probieren – das war seine Motivation.
Das Ergebnis ist leider ein schlimmes Machwerk zwischen Heimatfilmromanik, Erlösungsgeschwafel und Märchenaufguss geworden. Die Natur spielt eine Hauptrolle in Das himmlische Kind, wenn Miriam im finsteren Wald alles entdeckt, was sie zum Überleben braucht (notfalls werden dabei auch Singvögel verspeist), und Gott ist ebenso allgegenwärtig. Engel, Eingebung, Fügung, Aberglaube – all das wird hier thematisiert und gibt dem Roman eine ekelhaft esoterische Atmosphäre.
Das Schrullige und Verschrobene, das auch Steinfests Krimis anzumerken ist, nimmt hier Überhand. Neben dem rührseligen Blick auf seine Figuren äußert sich das beispielsweise in seltsam altertümlichen Wörtern, vor denen dieses Buch wimmelt. Ärgerlich ist auch, wie wenig der Autor dem Leser zutraut, wenn er beispielsweise auf die ohnehin offenkundige Parallele zu Hänsel und Gretel auch noch ganz explizit hinweist.
Alles ist deutlich zu dick aufgetragen – vor allem, wenn man bedenkt, dass die Hauptfigur noch nicht einmal das Teenager-Alter erreicht hat. Steinfest versucht, möglichst viele schlaue Gedanken in das Buch zu packen, notfalls auch an unpassenden Stellen, und ohne Rücksicht darauf, dass man einer 12-Jährigen so viel Reflexion kaum abnehmen kann. „Ich glaube eher, der Verstand ist eine Ausrede für Sachen, die Menschen tun, und wissen, dass sie schlecht sind, sie aber trotzdem tun wollen“, erkennt das Mädchen beispielsweise, noch einigermaßen hölzern formuliert. An anderen Stellen erreichen Miriams Gedanken aber problemlos Aphorismen-Status („Der Sinn des Lebens bestand mitnichten darin, Fallen auszuweichen, sondern aus ihnen wieder herauszufinden.“).
Auch deshalb wirkt vieles an Das himmlische Kind willkürlich, unglaubwürdig, unverbunden. Der Autor wechselt immer wieder zwischen konkreten Schilderungen des Überlebenskampfs von Miriam und Elias und abstrakten Gedanken über Gott und die Welt. Er schweift dabei so oft ab, dass er offensichtlich selbst die Notwendigkeit verspürt, sich zumindest halbherzig dafür zu rechtfertigen: „Miriam gehörte nun mal zu diesen Kindern, die gedankliche Ketten entwickelten und gerne über Was-wäre-wenn-Fragen nachdachten“, schreibt er an einer Stelle.
So viel Durcheinander ist auch nicht dadurch zu rechtfertigen, dass der Roman noch eine zweite Ebene hat. Die Erzählung, mit der Miriam ihren kleinen Bruder bei Laune halten will, nutzt Steinfest, um den kreativen Schöpfungsprozess aus dem eigenen Geist heraus zu reflektieren, ebenso wie die Rolle, die das Publikum dabei spielt. So wird aus Das himmlische Kind auch eine Erzählung über das Erzählen. Spätestens dabei hätte Steinfest aber erkennen müssen, dass eine gute Geschichte nicht nur viel Fantasie braucht, sondern auch eine passende Form.
Bestes Zitat: „Nun, Miriam war eine Intellektuelle. Die meisten sind das nämlich von Anfang an oder gar nie. Philosophie ist mitnichten eine Frage des Alters. Um über Sinn, Zweck und Ende der Welt zu brüten, muss man nicht in einer Universität hocken. Es genügt, in der Welt zu hocken, die um die Universität herum besteht. Es genügt, den Umstand eigenen Geborenseins zu bedenken.“