Autor | Herbert Feuerstein | |
Titel | Die neun Leben des Herrn F. | |
Verlag | Ullstein | |
Erscheinungsjahr | 2014 | |
Bewertung |
Wenn man knapp 80 Jahre alt ist und seine Autobiographie schreibt, kann es viele Gründe dafür geben. Selbstdarstellung oder Richtigstellung sind beliebte Motive. Viele Autoren greifen im Gefühl zur Feder, Entscheidendes erlebt und Großes bewirkt zu haben. Andere wollen sich Mut für die letzte Etappe des Lebens zusprechen und im hohen Alter noch Tatkraft beweisen.
Nichts davon trifft auf Die neun Leben des Herrn F. zu, und dennoch ist die Autobiographie von Herbert Feuerstein und wunderbares, erhellendes Buch, ein Werk von wohltuender Distanz zur Welt und größter Intelligenz.
Feuerstein, geboren 1937 in Zell am See, später als Macher von MAD eine Kultfigur, dann als verschrobener Sidekick von Harald Schmidt in Schmidteinander Grimme-Preisträger, seitdem so etwas wie Fernsehstar, kommt auf keiner einzigen Seite seiner Lebensgeschichte als Prahlhans rüber. Schon auf den ersten Seiten von Die neun Leben des Herrn F. macht er sich mit einer handvoll Anekdoten aus seiner Kindheit klein, auch in den späteren Kapiteln dieser chronologisch erzählten Lebensgeschichte geht quasi jeder Witz auf seine eigenen Kosten.
Es kann auch keine Rede davon sein, dass Herbert Feuerstein in diesem Buch versucht, endlich mit Mythen und Halbwahrheiten aufzuräumen und die einzig korrekte Sicht der Dinge darzulegen. Im Gegenteil: Er versteht es sehr geschickt, seine Privatsphäre zu wahren, ohne dass man das Gefühl hätte, hier würde immer dann geschwiegen, wenn es eigentlich gerade spannend wird. Über die Begegnung mit seiner ersten Ehefrau Pearl schreibt er beispielsweise: „Zweierlei, so vermute ich, ist dann passiert: Sie hat mein Interesse bemerkt, und sie hatte nichts dagegen. Und so fanden wir zueinander, wann und wie weiß ich nicht mehr und würde es Ihnen auch nicht erzählen. Es ist schlimm genug, dass Sie die ganze Zeit schon mitlesen, denn eigentlich geht Sie das alles gar nichts an.“
Feuerstein schreibt nicht als Lebensbeichte, betont er, sondern aus Lust am Erzählen und mit dem Ziel, den Leser zu unterhalten. Harald Schmidt, mit dem er womöglich noch das eine oder anderen Hühnchen zu rupfen hätte, taucht erst auf Seite 285 zum ersten Mal auf. Schon auf Seite 11 erfolgt hingegen die unverhohlene Warnung, wie schlecht die menschliche Erinnerung funktioniert und wie sehr man – willentlich oder nicht – dazu neigt, die Vergangenheit in der Rückschau geradezubiegen.
Nicht zuletzt hat Feuerstein auch einen klaren Blick dafür, dass Die neun Leben des Herrn F. eher einem Testament gleichkommt als einer Zwischenbilanz. Die klare Struktur des Buches (jedes der neun Leben entspricht einem Lebensabschnitt) belegt das besonders eindrücklich: Feuerstein geht nicht davon aus, dass irgendwann noch ein zehntes Kapitel hinzukommen könnte. Leben: Danke, es geht. Aber wie lang noch?, heißt die Überschrift für den letzten Teil seines Buches. Sein hoch amüsanter Rapport wird immer wieder unterbrochen von einem kurzen Blick in die Zukunft, und der ist durchaus sorgenvoll angesichts der Krankheiten, Gebrechen und Einschränkungen, die da warten könnten. Feuerstein beschließt das Buch sogar mit einem Plädoyer für legale Sterbehilfe.
Es ist eine Skepsis, die typisch ist für diese Autobiographie und den Autor. Ob als Möchtegern-Musikvirtuose in der österreichischen Heimat, als Journalist in den USA oder als Fernsehunterhalter in Deutschland: Feuerstein fremdelt mit der Welt, in jedem seiner neun Leben. Er ist verletzlich, er führt ein Dasein nicht nur als Sidekick, sondern als Außenseiter. Beide Eltern waren überzeugte Nazis, schreibt er in diesem Buch und bekennt, dass er zu ihnen kaum eine emotionale, erst recht keine herzliche Beziehung hatte. Das gipfelt in dem schockierend abgeklärten Satz „Eigentlich hatte ich gar keine Eltern.“
Später, als er erklärt, warum er seinen Vater nicht noch einmal am Sterbebett besucht hat, sondern stattdessen lieber eine Urlaubsreise durch Kanada machte, schreibt er: „Wir waren Fremde, ich gehörte nicht dazu. Ich war und bin der einzige Bewohner meines Planeten. Ich habe keine Familie.“ Nichts weniger als Verlorensein, sogar Angst vor dem Leben spricht aus diesen knapp 400 Seiten, die zum Topos des traurigen Clowns führen: Herbert Feuerstein hat Karriere als Spaßmacher gemacht, obwohl er es kaum versteht, selbst Spaß zu haben. Er mag das Leben nicht.
Das soll natürlich nicht heißen, Die neun Leben des Herrn F. sei ein deprimierendes Werk. Im Gegenteil: Es gibt viele verschrobene Betrachtungen, viele Einblicke in die Medien- und Fernsehszene und vor allem reichlich Anekdoten. Feuerstein erzählt von seiner flüchtigen und schwierigen Bekanntschaft mit Thomas Bernhard, erinnert sich an einen Erpressungsversuch von Andreas Baader und verrät, dass Bastian Pastewka einmal in sein Kleinflugzeug gekotzt hat. Der Leser erfährt, dass Sängerin Nico (Velvet Underground) ihn einst mit ihren High Heels in den Hintern stach, und zwar gleich mehrfach, dass Leipzig zum Stifter seiner zweiten Ehe wurde und dass er in Manila einmal beinahe Sky Dumont erwürgt hat, und zwar vor laufender Kamera.
Seinen durchaus bildungsbürgerlich geprägten und mit Stolz präsentierten Wissensfundus, seine skeptische Intelligenz, seinen scharfen Spott und seine fein dosierte Ironie wendet er nicht nur auf die Welt an, sondern auch und vor allem auf sich selbst. Er hat früh im Leben erkannt: Intelligenz und Bildung sind nicht dasselbe. Es schadet aber keineswegs, wenn man versucht, sie zu vereinen.
Bestes Zitat: „Nun könnten Sie meinen, ich würde um Mitleid für einen lieblos aufgewachsenen, von Schulangst und Krankheit heimgesuchten Jungen werben, doch ich empfinde das Gegenteil: Gerade diese Nachteile waren es, die mich gezwungen haben, eigene Wege zu finden. Sie haben mich zu dem geführt, was ich vorsichtig und hoffentlich nicht unbescheiden ‚kreativ’ nenne.“