Autor*in | John Cleese | |
Titel | Wo war ich noch mal? | |
Originaltitel | So, anyway… | |
Verlag | Blessing | |
Erscheinungsjahr | 2014 | |
Bewertung |
„Cleese frönt in der hintersten Reihe subversiver Aktivitäten.“
Man könnte diese Bewertung, die der 14-jährige John Cleese als Zeugniseintrag von seinem Geschichtslehrer bekam, als passende Überschrift für sein ganzes Leben betrachten. Schließlich hat der 75-Jährige, der jetzt mit Wo war ich noch mal? seine Autobiographie vorlegt, reichlich hintergründigen, provokanten, sogar anarchischen Witz in die Welt gebracht, mit Radiosendungen für die BBC, mit seiner Kultserie Fawlty Towers und vor allem als Mitglied von Monty Python.
Doch seine Lebensgeschichte zeigt, wie falsch man liegen würde, in John Marwood Cleese den geborenen Klassenclown oder gar einen Draufgänger zu erkennen. Immer wieder geht er darauf ein, wie steif, verklemmt und borniert die britische Mittelschicht war, in die er 1939 hineingeboren wurde. Und er ist sich bewusst, wie sehr er selbst – Einzelgänger, Privatschüler, Cambridge-Absolvent, ungelenker Schlacks, der als 12-Jähriger schon 1,80 Meter groß war, aber bis weit jenseits der 20 noch nicht einmal über einen Hauch von sexueller Erfahrung verfügte – deren Neurosen verkörpert.
Beinahe muss man diesen Mann als Paradebeispiel für die These von Jean Paul halten, Humor sei „überwundenes Leiden an der Welt“. Wo war ich noch mal? erzählt von einem Mann, der den Humor entdeckt hat, um zuerst sich selbst, dann den Draht zu anderen Menschen und schließlich unser Dasein auf diesem Planeten etwas erträglicher zu finden.
Passend zu dieser These hat John Cleese seine Autobiographie nicht als Faktensammlung oder gar Leistungsschau gestaltet. Seine weitgehend chronologische Erzählung endet (auch wenn es dann noch ein Kapitel über die Monty-Python-Reunion im vergangenen Jahr gibt) im Jahr 1969, ein paar Tage, bevor die erste Folge von Monthy Python’s Flying Circus ausgestrahlt wurde, sechs Jahre vor der TV-Premiere von Fawlty Towers und knapp zwei Jahrzehnte, bevor John Cleese eine Oscar-Nominierung für sein Drehbuch zu Ein Fisch namens Wanda einheimste.
Wer einen Überblick über Leben und Werk erwartet, umfangreiche Hintergründe zur Entstehungsgeschichte von Das Leben des Brian, detaillierte Erinnerungen an seine Mitwirkung bei den Harry Potter-Filmen oder gar Pikantes aus seinem Privatleben (die nicht ganz unbedeutende Tatsache, dass John Cleese viermal geheiratet hat, taucht beispielsweise gar nicht auf), liegt hier falsch. Dies ist kein Buch über seine Taten, sondern über seinen ganz persönlichen Humor, dessen Zustandekommen, Vorbilder und Wirkungsweisen. Auch: über den Humor im Allgemeinen und den britischen Humor im Besonderen.
Natürlich ist Wo war ich noch mal? ein enorm witziges Buch voller Anekdoten und Seitenhiebe. Der erste Witz handelt von deutschen Bomberangriffen im Zweiten Weltkrieg, die Pointe geht dabei auf Kosten der Einwohner seiner Heimatstadt Weston-super-Mare. Dann gibt es umfangreiche Einblicke in seine Schul- und Studentenzeit sowie die prägenden Jahre als Schauspieler und Autor in New York. Der vielleicht beste Gag des Buchs ist tatsächlich die Tatsache, dass Cleese erst auf Seite 454 (von insgesamt 479) wirklich explizit auf Monty Python eingeht.
Es gibt reichlich Stellen, an denen man nicht nur leise schmunzeln kann, sondern laut loslachen möchte. Vor allem aber lernt man in diesem Buch den Mann hinter dem Witz kennen, seine Unsicherheit, seinen Intellekt, seine Manieren, seine Fähigkeit zum Staunen – auch über die glücklichen Fügungen seines Lebenswegs. Cleese bestreitet gleich mehrfach jede Form von Ehrgeiz, was sogar halbwegs glaubwürdig gelingt und seine Karriere noch etwas beachtlicher erscheinen lässt.
Er hat auch kein Problem damit, sich dankbar zu zeigen und andere Wegbegleiter glänzen zu lassen. Betrachtet man den Knatsch, den es am Ende von Monty Python (vor allem zwischen Cleese und Terry Jones) gab, erstaunt das. Nur kursorisch geht Cleese darauf ein. Wenn er allerdings an einer Stelle die Argumente von Terry Jones in einer Diskussion über die Ausgestaltung eines Sketches, nur halb im Scherz, „das irrationale Gewäsch aus dem Mund eines düsteren, reizbaren, plumpen, keltischen Halbzwergs“ nennt, dann ahnt man, mit welcher Schärfe dieser Konflikt damals geführt wurde. Nachtreten bleibt ansonsten aus – man kann das als Fair Play betrachten, vielleicht auch als Altersmilde.
Am meisten beeindruckt neben dieser ausgesuchten Zurückhaltung allerdings die (nein, das ist kein Widerspruch) Ernsthaftigkeit, mit der sich John Cleese dem Comedy-Metier verschrieben hat. Dass er ursprünglich Psychologie studieren wollte (und hier einige psychologische Studien und populärwissenschaftliche Bücher aus diesem Themenfeld zitiert), passt da ins Bild. Er lässt keinen Zweifel daran, dass Humor ein Moment der Inspiration braucht, aber Humor ist für ihn auch in großem Maße Handwerk, Training, Erfahrung. Kurz vor Ende verwendet er den Begriff „komödiantische Kompetenz“, und da weiß man längst, wie wichtig für ihn beide Bestandteile dieser Formulierung sind. Dass er sich zuvor noch als „immerwährender Dilettant“ bezeichnet hat, kann jedenfalls nur britisches Understatement sein.
Bestes Zitat: „Natürlich kann Gelächter unerfreulich und destruktiv sein. Wie die meisten Manifestationen menschlicher Verhaltensweisen rangiert Lachen vom Liebevollen bis zum Hasserfüllten. Letzteres bringt hässliche rassistische Witze und brutale Sticheleien hervor; Ersteres herzliche, zugeneigte Neckereien und einen inkludierenden Humor nach dem Motto: Ist das Menschsein nicht etwas Absurdes? Aber wir sitzen ja alle im selben Boot.“