Durchgelesen: John Grisham – „Der Gerechte“

Autor John Grisham

Der Gerechte John Grisham Buchkritik Rezension
„Der Gerechte“ ist der 28. Roman von John Grisham.
Titel Der Gerechte
Originaltitel Rogue Lawyer
Verlag Heyne
Erscheinungsjahr 2015
Bewertung

Ungefähr 44 Prozent der Bücher von John Grisham tragen im amerikanischen Original einen Titel, der mit „The“ beginnt und dann von irgendeinem Substantiv gefolgt wird. Bei den deutschen Ausgaben steigt der Anteil auf gut 82 Prozent (24 von 29), die mit einem Artikel anfangen und dann noch ein Hauptwort anfügen. Die Masche von Der (Klient), Die (Akte), Das (Komplott) funktioniert einfach verführerisch gut.

Auch für den neusten Roman des Bestseller-Autors, dessen Bücher in mehr als 40 Sprachen übersetzt wurden, greift dieses Prinzip wieder. Selten jedoch hat die Methode so gut gepasst wie hier: Der Gerechte heißt der 28. Roman von John Grisham, und diese Fokussierung auf die Hauptperson (das Original heißt Rogue Lawyer) trifft den Kern des Buchs sehr gut.

Denn dieser Kern ist nichts anderes als die Hauptperson: Sebastian Rudd, Strafverteidiger. Er ist kompromisslos und unkonventionell, und er hat eine Vorliebe für Fälle, bei denen ein Freispruch besonders unwahrscheinlich und die Angeklagten besonders verdorben scheinen. „Zu meinem Alltag gehören Todesdrohungen genauso wie mein Morgenkaffee und lügende Polizisten“, meint Rudd auf einer der ersten Seiten.

Kein Wunder bei dieser Klientel: Einer seiner Mandanten soll zwei Mädchen ermordet haben, einer leitet ein Gangster-Kartell und will nun der Todesstrafe entgehen, einer hat – gefilmt von Fernsehkameras – bei einer Kampfsportveranstaltung den Ringrichter totgeprügelt, hofft aber trotzdem darauf, dem Gefängnis entgehen zu können.

Grisham setzt dabei auf beinahe unverbundene Kapitel, manchmal hat Der Gerechte eher Tagebuchcharakter als Romanformat. Zusammengehalten wird das Werk durch die Hauptfigur. Rudd ist abgeklärt, weit entfernt von einem naiven Glauben an die Unschuld seiner Klienten oder die Unantastbarkeit der Gesetze. Man ahnt, dass Grisham rund um diesen Helden eine Serie anlegen möchte – und darauf darf man sich schon jetzt freuen, auch wegen der gelegentlichen Einblicke ins Privatleben der Figur, das erstaunlich turbulent ist, wenn man bedenkt, wie wenig Privatleben sich Rudd bei all seinem Einsatz für die Mandanten gönnt.

Dieser Anwalt ist ein Draufgänger, zugleich selbstlos und opportunistisch, ohne ein Fitzelchen von Vertrauen in das Rechtssystem, aber mit großem Glauben an die Gerechtigkeit und einer vielleicht noch größeren Sehnsucht danach, sich für dieses große Ziel im Wettstreit zu messen – und im besten Fall zu gewinnen. Als Ich-Erzähler wählt er einen jovialen Ton, als würde er in der Kneipe auf dem Stuhl gegenüber sitzen und bei einem Bierchen ein wenig aus dem Nähkästchen plaudern. Dem steht die schockierende Brutalität vieler der hier geschilderten Verbrechen gegenüber, ebenso wie die Härte der zu erwartenden Strafe und die Gewissenlosigkeit der meisten Angeklagten, die er verteidigt.

Gerne garniert John Grisham dieses Geschehen mit Seitenhieben auf fragwürdige Phänomene der amerikanischen Gesellschaft und offenkundige Defizite im Justizsystem, auf den kontraproduktiven Krieg gegen Drogen, den Wankelmut der Geschworenen, die schießwütige Polizei oder die von reißerischer Berichterstattung allzu oft pulverisierte Unschuldsvermutung. „Statt aber diesen Mangel an Beweisen zu berücksichtigen und den Fall neu zu überdenken, tut der Staat, was er häufig tut: mit Lügen und Falschaussagen alles niederwalzen“, muss Rudd feststellen, nicht nur in einem seiner Fälle. Es sind diese Widerstände – kombiniert mit einem auch hier meisterhaften Handwerk – die dafür sorgen, dass man sehr schnell mit Sebastian Rudd mitfiebert und dass Der Gerechte, auch wenn er sich nicht wie Grishams andere Helden immer tiefer in einen einzigen Fall hineinbohrt, sondern gleich eine ganze Serie abarbeitet – enorm spannend wird.

„Niemand versteht es heute besser, seine Leser gegen die Ungerechtigkeiten in der Welt in Wallungen zu bringen“, hat die Süddeutsche Zeitung angesichts dieses Romans angemerkt, und dem ist eindeutig zuzustimmen. Die Fälle in diesem Justizthriller sind oft spektakulär, aber Grisham zeigt auch diesmal: Noch spektakulärer sind die Tricks und Volten, die von der Polizei bei der Ermittlungsarbeit und den Anwälten vor Gericht vollführt werden.

Bestes Zitat: „Ich kämpfe mit allen Mitteln für meine Mandanten und würde fast alle Gesetze brechen, um sie zu schützen, aber ich lasse sie nie zu nah an mich heran.“

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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