Autor | John Grisham |
Titel | Home Run |
Originaltitel | Calico Joe |
Verlag | Heyne |
Erscheinungsjahr | 2012 |
Bewertung |
Man sollte meinen, John Grisham habe sich seinen großen Traum schon erfüllt. Er war knapp zehn Jahre lang als Anwalt tätig, aber er wollte lieber ein Schriftsteller sein, der Justizthriller schreibt. Das hat er geschafft. Mehr als 250 Millionen Mal haben sich seine Bücher wie Die Firma oder Die Akte seitdem verkauft.
Ein Wunsch blieb trotz allem unerfüllt: Als kleiner Junge wollte John Grisham gerne eine Karriere als Baseballprofi einschlagen, am liebsten bei den St. Louis Cardinals. Diese Fantasie lebt er nun ebenfalls als Schriftsteller aus: mit Home Run, seinem neuen Roman.
Aus Sicht des Autors ist die Kompensation gelungen. «Niemals zuvor hatte ich beim Schreiben so viel Spaß», sagte er kürzlich in einem Interview. Aus Sicht des Lesers ist Home Run ebenfalls ein Treffer. Grisham überzeugt auch in der eher ungewohnten Materie. Der Roman ist weitaus entspannter und unspektakulärer als seine großen Bestseller, aber eine rührende Geschichte über Väter und Söhne und über die (amerikanischen) Werte, die der Sport manchmal besser zum Ausdruck bringt als jedes andere Element unserer Kultur
Sein Ich-Erzähler ist Paul Tracey, Programmierer aus Santa Fe, verheiratet, Vater zweier Töchter. Als kleiner Junge war er ein riesiger Baseballfan, wie Millionen andere Amerikaner auch. Seine Beziehung zum Baseball ist aber eine ganz besondere: Pauls Vater, Warren Tracey, war Profispieler in der höchsten Liga. Er hinterließ kaum bleibenden Eindruck in den Annalen dieser Sportart, bis auf ein Detail: Im Jahr 1973 warf er einen Ball auf seinen Gegenspieler Joe Castle, damals ein gefeiertes Talent. Castle trug eine schlimme Kopfverletzung davon, die seine Karriere beendete – und zugleich die Liebe von Paul Tracey zum Baseball.
Die Konstellation basiert lose auf der wahren Geschichte von Ray Chapman (1891-1920), dem einzigen Spieler in der Geschichte des Baseballs, der jemals durch einen Treffer getötet wurde. Im Gegensatz zu ihm ist Joe Castle aber kein Routinier, sondern ein Senkrechtstarter – so unwiderstehlich, dass selbst der kleine Paul Tracey zum Fan wird, obwohl er doch eher seinen Vater anfeuern sollte. Den Aufstieg des Neulings in der Liga erzählt John Grisham beinahe minutiös, mit der Baseball-typischen Vorliebe für Statistiken. Für alle, die Schwierigkeiten haben, den Spielberichten mit all ihren Fachbegriffen zu folgen, hat er vernünftigerweise auch eine kleine Regelkunde verfasst, die sich am Ende seines Buches findet (aber eigentlich an den Anfang gehörte).
Schon die Figur des Joe Castle wäre reizvoll genug für einen lesenswerten Roman, doch Grisham reichert Home Run um mindestens zwei weitere Dimensionen an. Zum einen ist da die Beziehung von Vater und Sohn: Kurz nach seinem fatalen Wurf verließ Warren Tracey die Familie, seitdem hat er kaum noch Kontakt zu seinem Sohn. Nun liegt er im Sterben, der Krebs lässt ihm nur noch wenige Wochen, um ein paar Dinge zu klären, die in seinem Leben schief gelaufen sind.
Zum anderen hat sich Paul Tracey in den Kopf gesetzt, dass sein Vater Joe Castle noch einmal gegenüber treten und ihn nach mehr als 30 Jahren um Verzeihung bitten soll. Er will beide besuchen und die Möglichkeiten dafür ausloten, wohlwissend, dass dies zugleich eine Reise in seine eigene Vergangenheit wird, in ihre Schwärmereien und Traumata. Aus der Frage, ob zumindest eine dieser Versöhnungen gelingen wird, bezieht Home Run letztlich seinen Reiz und wird zu einer spannenden Geschichte über Neid und Loyalität, Fairness und Vergebung.
Beste Stelle: „Das Geräusch, wenn ein Baseball aus Leder auf einen Schlaghelm aus Kunststoff trifft, ist unverkennbar. (…) Es ist kein scharfer Knall, sondern eher so, als würde ein stumpfer Gegenstand auf eine harte Oberfläche treffen. Es ist ein furchtbares Geräusch, doch wenn man es hört, denkt man sofort, dass der Helm schwere Verletzungen verhindert. Aber das Geräusch, als Joe getroffen wurde, was anders. Was wir hörten, war der dumpfe Aufschlag eines Baseballs, der Fleisch und Knochen zermalmt. Zuschauer, die nahe genug am Feld saßen, um das Geräusch zu hören, sollten es nie wieder vergessen. Ich konnte es hören. Und heute höre ich es immer noch.“