Durchgelesen: Jonathan Safran Foer – „Alles ist erleuchtet“

"Alles ist erleuchtet" ist eine Meditation über die Sinnsuche.
"Alles ist erleuchtet" ist eine Meditation über die Sinnsuche.
Autor Johnathan Safran Foer
Titel Alles ist erleuchtet
Verlag Fischer
Erscheinungsjahr 2002
Bewertung ****1/2

Literaturverfilmungen sind eine gefährliche Sache. Hat man erst das Buch gelesen und schaut dann den Film, dann ist man oft enttäuscht von der Eindimensionalität der Darstellung; und sei es bloß, weil man sich das Gesicht, die Stimme, den Gang der Hauptfigur ganz anders vorgestellt hatte.

Sieht man zuerst den Film und liest danach das Buch, tritt der umgekehrte Effekt ein: Man ist nicht mehr offen für die Wirkung der Literatur, sondern geprägt durch das, was es auf der Leinwand zu sehen gab – und dazu kommt noch, dass man in aller Regel das Ende schon kennt.

Alles ist erleuchtet fällt auf wundersame Weise aus diesem Schema heraus. Ich habe zuerst den Film von Liev Schreiber gesehen, ein Fest des absurden Humors. Doch selbst, wenn man dieses herrliche Dokument eines Kulturschocks unmittelbar vor der Lektüre von Alles ist erleuchtet anschauen würde, nähme es dem Text nichts von seinem Reiz.

Das zeigt, wie unglaublich stark dieses Buch ist. Umgekehrt erscheint der Roman von Jonathan Safran Foer beim Lesen eigentlich unverfilmbar, mit all seinen Zeitsprüngen und verschiedenen Ebenen. Das lässt die Leistung Schreibers nur umso deutlicher hervortreten.

Am besten tritt diese doppelte Qualität sicher in der Figur des Alex zutage. Seine Briefe an Jonathan Safran Foer, den er zuvor als Reiseführer bei einer Spurensuche in der Ukraine begleitet hat, sind die erste Ebene des Romans. Und nicht nur, weil Alex im Film perfekt mit genau dieser Interpretation von Eugene Hütz gespielt wird, wirkt er zum Beginn von Alles ist erleuchtet ein wenig wie eine Mischung aus Borat und Ali G.: Er gibt sich mit seiner HipHop-Attitüde und in (grandios übersetztem) radebrechendem Englisch ultracool, gleichzeitig weiß er um seine eigene Rückständigkeit.

Die zweite Ebene, die Geschichte des von den Nazis ausgelöschten Dorfes Trachimbrod, gestaltet Jonathan Safran Foer wie einen Schelmenroman. Das ist ebenso effektvoll wie schmerzhaft; ist es doch eine Chronologie von Progromen und Zerstörung. Zu ertragen ist dieses Spannungsverhältnis zwischen Inhalt und Form fast nur, weil Foer hier weit über die Grenzen der Neutralität hinausgeht – und zwar entgegen der Richtung, die man vermuten würde. Immer wieder geht er höchst respektlos mit jüdischer Geschichte und jüdischer Tradition um, was freilich zwischen den Zeilen auf ein besonders liebevolles Verhältnis zu eben dieser schließen lässt.

Es ist dieser freche und zugleich wissende Umgang mit der eigenen (Familien-)Historie, den Foer auch in Extrem laut & unglaublich nah und sogar auch in Tiere essen an den Tag legt. „Eines Tages wirst du für mich Dinge tun, die du hasst. Das bedeutet es, eine Familie zu sein“, lautet eines der frühen Bonmots in Alles ist erleuchtet.

Es gibt noch mehr Parallelen zum späteren Werk: Mit der Figur des Mädchens Brod nimmt Foer den Oskar aus Extrem laut & unglaublich nah ein wenig vorweg. Auch dieses Kind ist so wunderlich und weise, dass es glaubhaft Sätze sagen kann wie diesen: „Ich will nicht, dass ein Junge mich schön findet, außer er ist die Art von Junge, die mich schön findet.“

Zu den wunderlichen, faszinierenden Eigenschaften von Alles ist erleuchtet zählt auch, dass Jonathan Safran Foer bei seiner Reise durch die Ukraine (die dritte Ebene der Erzählung) die Figur ist, die von allen in diesem Roman am wenigsten beeindruckt. Denn der anfangs tumbe Sascha macht im Verlauf des Buchs eine erstaunliche Wandlung durch: Am Ende, in einem Finale, das man ob all seiner Intensität nur atemlos nennen kann, ist er so etwas wie das Gewissen des Autors, er verschmilzt geradezu mit ihm und seinen eigenen Vorfahren.

Dass Foer sein Alter Ego so blass bleiben lässt, ist dabei nicht nur herrlich bescheiden, sondern vor allem eine äußerst geistreiche Form von Witz. Der steht, bei aller Tragik der Ereignisse, ohnehin im Zentrum dieses meisterhaften Romans: Alles ist erleuchtet ist eine Meditation über die Religion (nicht nur die jüdische), die Philosophie, das Grübeln, die Sinnsuche. Am Ende steht die Frage, ob Humor der Schlüssel zur Welt ist – oder bloß ein Schutz vor ihr. Die Antwort bleibt Gott sei Dank aus, aber schon die Hinführung zu diesem Punkt ist, jawohl: eine Erleuchtung.

Beste Stelle: „Jeden Morgen erwachte er mit der Sehnsucht, das Richtige zu tun und ein guter und bedeutsamer Mensch zu sein, mit der Sehnsucht – so schlicht es klang und so unmöglich es tatsächlich war -, glücklich zu sein. Und im Laufe eines jeden Tages sank sein Herz von der Brust in den Bauch. Am frühen Nachmittag war er von dem Gefühl durchdrungen, dass nichts richtig sei, jedenfalls nicht für ihn, und hatte nur noch den Wunsch, allein zu sein. Gegen Abend war er dann zufrieden: allein mit der Größe seiner Trauer, allein mit seinem ziellosen Schuldgefühl, allein sogar mit seiner Einsamkeit. Ich bin nicht traurig, sagte er sich immer wieder, ich bin nicht traurig. Als könnte er sich dadurch eines Tages überzeugen. Oder hinters Licht führen.“

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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