Autor | Joseph O’Neill | |
Titel | Der Hund | |
Verlag | Rowohlt | |
Erscheinungsjahr | 2014 | |
Bewertung |
„Auf dem Papier bin ich der Falke im Wind. In der Praxis bin ich die Maus im Loch.“ So kommt sich der Ich-Erzähler von Der Hund vor, als er die ersten Wochen in Dubai hinter sich hat. Er hatte zuvor als Anwalt in New York gearbeitet, dann mit Ende 30 eine Langzeitbeziehung beendet. Ein Ex-Studienfreund bietet ihm just in dieser Situation einen Job am Persischen Golf an: Er soll das (auch für Dubai-Verhältnisse) stattliche Vermögen einer libanesischen Unternehmerfamilie verwalten. Er greift sofort zu, denn er hofft, neben einem fürstlichen Gehalt, auf einen Neuanfang.
Doch das Timing ist miserabel: Der Erzähler kommt 2007 an, die Finanzkrise ist gerade im Anmarsch. Diese Krise und alles, was sie uns vor Augen geführt, aber leider nicht gelehrt hat, ist das eigentliche Thema von Der Hund. Joseph O’Neill, Jahrgang 1964, für Niederland mit dem PEN/Faulkner-Award ausgezeichnet und von Barack Obama gelobt, hat einen Roman geschrieben, der manchmal eine Satire auf unseren Glauben an den Kapitalismus ist, manchmal eine Meditation darüber. Noch weit nach der Hälfte des Buches hat man als Leser keinen Schimmer, was sich hier letztlich als Kern des Plots erweisen wird. Es gibt bloß Andeutungen, etwa auf einen verschwundenen Taucher, Prostituierte aus Ex-Sowjetstaaten oder einen übergewichtigen Jungen, dem ein Praktikum in den Sommerferien aufgedonnert wird.
Sein namenloser (wir erfahren nur, dass sein erster Vorname mit X beginnt) Ich-Erzähler versucht, sich als Fremder in diesem seltsamen Land auf die Logik und die klaren Regeln des Rechts zurückzuziehen, aber beides – Logik und klare Regeln – sind Prinzipien, die in Dubai nicht viel Geltung haben. Auch von der amerikanisch übertriebenen Höflichkeit, die er in seinen imaginären Beschwerdemails an seine steinreichen Chefs an den Tag legt, hat man hier eine ganz andere Vorstellung. So muss er die Sorglosigkeit der Superreichen ertragen und nach und nach die Winkelzüge erkennen, mit denen sie ihr Vermögen vergrößern oder in Zeiten schwindender Renditen wenigstens bewahren wollen. „Es ist durchaus möglich, dass ich zu dünnhäutig bin – dass ich einem jener überempfindlichen Rauchmelder gleiche, die beim geringsten Kochdunst loskreischen und zum Schweigen gebracht werden müssen, wenn das Leben weitergehen soll“, gesteht er sich in einem Moment ein, als er wieder einmal kurz davor ist, den Job hinzuschmeißen.
Er erlebt reichlich Machtkämpfe (Wort gegen Tat, Mann gegen Frau, Diener gegen Herr, Orient gegen Okzident, Geld gegen Tugend) und versucht dabei so krampfhaft, unparteiisch zu sein, dass es schnell unmöglich für ihn wird, Beziehungen, Freude oder einfach bloß ein Leben zu haben. Vor all der Verschwendung und Willkür flüchtet er lieber, statt eine Konfrontation heraufzubeschwören, und sein Rückzugsort ist sein Beruf. Viele Passagen formuliert X, als würde er ein Plädoyer vor imaginären Geschworenen halten, und diese seltsam pathetische, zugleich vorgeblich nüchtern argumentierende Juristen-Sprache hat Nikolaus Stingl für die heute erscheinende deutsche Ausgabe sehr stimmig übersetzt.
X geht sogar so weit, die Gefühlswelt in Paragraphen regeln zu wollen. „Ich empfand mit aller Macht, dass auch menschliche Liebesbeziehungen von der Verfügbarkeit allgemeiner Geschäftsbedingungen – von einer Satzung, um es etwas weniger abschreckend zu formulieren – profitieren könnten, worin dargelegt wird, auf welcher Basis A in die intime Gesellschaft von B eintritt und welche Grundsätze A auf die Durchführung einer solchen Intimität angewendet sehen möchte“, heißt es an einer Stelle. Diese Idee, alles gesetzlich regeln und vertraglich festlegen zu wollen und notfalls von einem Anwalt einklagen lassen, ist natürlich eine Reaktion auf den Verlust unserer Intuition, nicht zuletzt auf den Wunsch nach dem Schwinden der eigenen Verantwortung. Das ist wohl eine der Schlussfolgerungen, auf die Joseph O’Neill in Der Hund hinaus will. Allerdings ist er manchmal zu explizit, um das wirklich eindrucksvoll zu machen. Auch die Gedankensprünge seines Ich-Erzählers, die von Themen wie der Fremdenlegion über das Tauchen bis zum Wesen sozialer Netzwerke reichen, wirken gelegentlich konstruiert.
Die Idee, Dubai als Symbol für den blinden Glauben an Wachstum und Fortschritt zu wählen, ist ebenfalls nicht gerade umwerfend originell: „Ein Dubai, das nicht ständig im Bau wäre, ergäbe wenig Sinn. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sich niemand auf den Tag freut, an dem alles fertig gebaut ist und nichts mehr zu tun bleibt, als sich in den Gebäuden aufzuhalten“, ist einer der Sätze, die wohl als Mahnung gedacht sind. Ganz ähnliche Gedanken hat beispielsweise Dave Eggers in Ein Hologramm für den König deutlich eindringlicher und poetischer formuliert.
Der Hund hat trotzdem seinen Reiz. Erstens gelingt es Joseph O’Neill sehr feinfühlig, die Atmosphäre, die Schwingungen, den Geist – man möchte sagen: die Idee – von Dubai einzufangen. „Die Stadt hätte einer Fata Morgana nicht stärker ähneln können – und genau das war Sinn und Zweck der Sache“, schreibt er beispielsweise. „Es ist, wenn ich psychologisieren darf, nicht bloß eine Marketingmasche, auf die Gleichung Trugbild/Wunder zu setzen, die natürlich eine etymologische Grundlage hat: Es ist eine heimliche Rache an dem Trugbild selbst und nur eine Facette des Dubaier Gegenangriffs auf das Natürliche.“ Zweitens entwirft er einen sehr spannenden Ich-Erzähler, der in all seinem Monologisieren um Rechtschaffenheit ringt, genau wissend, wie unmöglich sie in seiner Position zu erreichen ist. Er lebt für seine Prinzipien, oder er redet sich eine solche Prinzipientreue zumindest ein, aber er hat nichts mehr, worauf er diese Prinzipien anwenden oder worin er Bestätigung für ihre Richtigkeit finden könnte. Schließlich muss er erkennen: Das Recht wurde nicht erfunden, um eine schriftliche Entsprechung unserer Moral zu sein. Sondern um das Eigentum zu schützen.
Bestes Zitat: „Die Welt dreht sich weiter. Sie kümmert sich nicht – außer sie hat einen im Visier.“