Autor | Matthias Kämmerer | |
Titel | 111 Gründe, RB Leipzig zu lieben | |
Verlag | Schwarzkopf & Schwarzkopf | |
Erscheinungsjahr | 2015 | |
Bewertung |
„Eine Liebeserklärung an den großartigsten Fußballverein der Welt“, steht auf dem Cover dieses Buches. Man muss das nicht ganz so ernst nehmen: 111 Gründe, RB Leipzig zu lieben erscheint in der Reihe „Der zwölfte Mann“ von Schwarzkopf & Schwarzkopf. Es gibt diese Bücher für zig Vereine, vom Rekordmeister Bayern München bis zum Vierligisten Alemannia Aachen. Immer mit genau diesem Satz auf dem Cover, immer mit genau diesem Titel – bloß der Name des jeweiligen Lieblingsclubs wird ausgetauscht.
Dennoch ist das Anfang des Jahres erschienene Werk aus der Feder von Matthias Kämmerer ein besonderes. Schließlich ist RB Leipzig – 2009 gegründet und mit viel finanzieller Unterstützung von Red Bull mittlerweile drauf und dran, die erste Liga zu erreichen – der Staatsfeind Nummer 1 für viele, die sich für die Gralshüter von traditioneller Fußballkultur halten. Retortenklub, Bullenschweine, Fußballmörder – das sind noch längst nicht die heftigsten Bezeichnungen für den Emporkömmling aus der Messestadt. Das merkt man 111 Gründe, RB Leipzig zu lieben auch an. Wahrscheinlich ist es das einzige Buch der Reihe, das nicht für Gleichgesinnte, sondern für Außenstehende geschrieben ist. Nicht, um mit anderen Fans in Erinnerungen und Gemeinsamkeit zu schwelgen, sondern als Rechtfertigung.
Fan von RB Leipzig ist man offensichtlich zunächst mit einem „Ja, ich weiß, aber…“ Auch in diesem Buch kommt nach dem „aber“ beispielsweise der Verweis auf die vorbildliche Jugendarbeit, das soziale Engagement oder die sehr familienfreundliche Stimmung im Stadion. All das soll ein Gegengewicht bilden zum Image als Kunstprodukt. Trotzdem ist dem Buch von Matthias Kämmerer eine unverkennbare Sehnsucht anzumerken nach einem Zeitalter, in dem man dieses „Ja, ich weiß, aber…“ weglassen kann. Beispielsweise die TSG Hoffenheim hat diese Phase nach gut acht Jahren im Profifußball so langsam erreicht: einen modus vivendi, der zwar keine landesweiten Sympathien, aber immerhin eine stillschweigende Akzeptanz mit sich bringt.
Man merkt diesem Buch aber auch den anderen Effekt an, den das besondere Konstrukt RBL mit sich bringt: die Faszination, bei einem Club, der mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit für viel sportliche Furore sorgen wird, als Fan von Anfang an dabei zu sein. „RB Leipzig bot eine Möglichkeit, die man sonst im deutschen Fußball, vielleicht sogar im Fußball allgemein, nur noch selten findet. Teilzuhaben an der Geschichte, diese nicht in irgendwelchen Büchern zu lesen, sondern selbst zu erleben“, schildert Matthias Kämmerer das an einer Stelle. Auch die Fallhöhe der RB-Strategie übt dabei ihren Reiz aus. „Entweder wurde es der interessanteste Fußballverein in Deutschland überhaupt oder das größte Fiasko, das der deutsche Fußball jemals erlebt hat“, meint der Autor.
Das sind in der Tat spannende Voraussetzungen. Sein Buch wird dennoch eine schwer erträgliche Lektüre. Zum einen ist bei einem Verein, der erst seit 2009 existiert, eben einfach wenig Substanz da, um 111 Gründe für eine innige Liebesbeziehung zu finden. Zum Vergleich: RB Leipzig hatte bis zum Beginn dieser Saison überhaupt erst 100 Liga-Heimspiele (ohne Relegation) bestritten. Selbst wenn jedes davon für eine eigene Liebeserklärung getaugt hätte, bräuchte man also noch weiteres Material, um alle Kapitel zu füllen. Entsprechend kratzt der Autor hier alles zusammen, was es in der kurzen Vereinshistorie an halbwegs Aufsehenerregendem gegeben hat. Ein Manko ist auch die Willfährigkeit dieses Buchs. Selbst als Fan darf man sich einen kritischen Blick auf das Vereinsgebaren bewahren, aber 111 Gründe, RB Leipzig zu lieben könnte nicht harmloser sein, wenn es von der Red-Bull-Pressestelle offiziell hätte abgesegnet werden müssen.
Das größte Problem ist aber: Das Buch ist schlecht geschrieben. Wie schlecht? Sagen wir so: Würde RB Leipzig so elegant spielen wie Matthias Kämmerer schreibt, würde der Verein wohl noch immer in der fünften Liga vor 800 Zuschauern kicken.
Kämmerer, 1980 geboren, Fan der ersten Stunde und Betreiber des Blogs RBLObserver, quält den Leser mit Passivformulierungen en masse und einem gestelzten und bürokratischen Ton, der wohl die Objektivität eines üblichen Sachbuch-Verfassers simulieren soll. Er bietet Allgemeinplätze statt Analyse, Naivität statt Recherche. „Die Zukunft des Fußballs ist ein kontroverses Thema, zu dem es viele unterschiedliche Ansätze gibt. Gerade in Deutschland trägt man diesbezüglich oft große Sorgen vor sich her“, ist eines von vielen Negativbeispielen. Auch fürs Phrasenschwein gibt es reichlich Futter: „Im schnelllebigen modernen Fußball kann man sich schnell einmal verlieren. Viele Themen rund um den Verein sind ständig präsent. Natürlich die Spiele selbst, Personalentscheidungen, Ereignisse rund um die Saison, seien sie nun positiver oder negativer Natur. Doch sollte man trotz all des Trubels den Blick auch nicht für das verlieren, was außerhalb unseres geliebten Sports passiert.“
Solche Sätze lässt man nicht einmal dem blutigsten Anfänger im Sportteil einer Provinzzeitung durchgehen und man fragt sich oft ernsthaft, wer auf die Idee kam, Kämmerer einen Buchvertrag zu geben. Besser wäre bei einem Autor, dessen größte Stärke offensichtlich seine Begeisterungsfähigkeit ist, die Ich-Perspektive gewesen, in der sprachliches Talent wenigstens durch Leidenschaft hätte ersetzt werden können. Dann wäre dieses Buch vielleicht wenigstens für Fans ein Vergnügen geworden.
Bestes Zitat: „Wahrscheinlich blickt man in wenigen Jahren auf die aktuelle Situation zurück und denkt sich, wie beim jetzigen Blick auf die Vergangenheit: ‚Unglaublich wie klein das alles damals noch war.’“
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