Autoren | Michael Crichton, Richard Preston |
Titel | Micro |
Verlag | Blessing |
Erscheinungsjahr | 2011 |
Bewertung | **** |
Der Krebs besiegte ihn, bevor er seinen letzten Roman vollenden konnte. Etwa ein Drittel von Micro hatte Michael Crichton geschrieben, als er im November 2008 starb. Das letzte Manuskript des Mannes, der Welterfolge wie Jurassic Park oder Timeline geschrieben und den Fernseh-Dauerbrenner Emergency Room erfunden hatte, war aber viel zu wertvoll, um im Nachlass zu vergammeln. Crichtons Verlag erkor seinen Kollegen Richard Preston (Hot Zone) aus, das Buch zu Ende zu schreiben.
Micro ist trotzdem ein echter Crichton geworden. Die Handlung nimmt sich wie einst bei Jurassic Park wieder Aspekte der modernen Forschung vor, die vielen Laien nicht ganz geheuer erscheinen: Nanotechnologie und Mikrobiologie. Im Zentrum des Buchs steht die Firma Nanigen. Sie hat einen Super-Magneten gebaut, mit dem sie alles auf winzige Größe schrumpfen kann. Nun lässt sie heimlich Mini-Maschinen und Mikro-Menschen den Regenwald auf Hawaii untersuchen, um der Natur ein paar Formeln und Wirkstoffe zu entlocken, die man für neue Medikamente nutzen kann.
Der Roman greift damit einen hochaktuellen wissenschaftlichen Trend auf und verbindet ihn mit einer Idee, die fast so alt ist wie die Fantasy-Literatur an sich: Schon Jonathan Swift schickte seinen Gulliver ins Land der Zwerge, Hans-Christian Andersen erzählte die Geschichte vom Däumelinchen. Aus diesem Zusammenspiel von uraltem Menschheitstraum und modernster Forschung entsteht in Micro ein extrem spannender, sehr kurzweiliger Thriller.
Eine Gruppe von sechs Studenten ist dabei den Geheimnissen von Nanigen auf der Spur. Der Chef der Firma schrumpft die Besucher deshalb kurzerhand und setzt sie in der Wildnis aus. Dort müssen die Studenten erfahren, welch tödliche Gefahr plötzlich von Ameisen, Wespen oder Regentropfen ausgeht, wenn man nur noch 1,2 Zentimeter groß ist. Bei ihrer Odyssee durch den Regenwald entdecken sie zugleich ungeahnte Artenvielfalt, Schönheit und Intelligenz. «Diese Reise könnte mir meine Promotion einbringen. Wenn ich sie überlebe», sagt eine der Figuren, und genau dieser Zwiespalt macht Micro zu einem so faszinierenden Thriller. Crichton zeigt, wie wundervoll (im Wortsinne) die Welt ist, in der wir leben, was es für ein Vergnügen sein kann, ihren Geheimnissen auf den Grund zu gehen, und wie gefährlich dabei beides sein kann.
Der «Meister des Technologie-Thrillers» (Spiegel) legt ein enormes Tempo vor, hat unzählige fantastische Einfälle und entwirft immer wieder Szenen, die wie gemacht sind für eine Verfilmung und die den Special-Effects-Experten sicher schon jetzt die Finger kribbeln lassen. Ebenso wie das schillernde Szenario, das gelegentlich um kleine populärwissenschaftliche Exkurse über die Kommunikation von Pflanzen oder die Heilkraft von Insektengift angereichert wird, trägt die Dynamik innerhalb der Gruppe zur Spannung und zum hohen Unterhaltungswert des Buchs bei. Mit den sechs Studenten haben Crichton und Preston ein tolles Ensemble geschaffen, vom Vamp bis zum Weichei.
Obwohl er schon von seiner Krankheit wusste, als er an dem Roman arbeitete, und obwohl die Thematik das durchaus hergeben würde, widersteht Crichton auch der Versuchung, in Micro seine großen letzten Worte an die Welt zu packen. Ein paar Mal taucht zwar die hawaiianische Redensart «Pau Hana» auf, was übersetzt «die Arbeit ist getan» bedeutet und Crichton als Fazit bekanntlich nicht mehr vergönnt war. Im ebenfalls unvollendeten Vorwort gibt es zudem ein paar philosophische Gedanken über den Kreislauf des Lebens und das, was die Welt zusammenhält („Die wichtigste Erfahrung, die man aus der direkten Erfahrung zieht, ist vermutlich die, dass die Natur mit all ihren Elementen und Verbindungen ein komplexes System darstellt, das man nicht verstehen, geschweige denn vorhersehen kann. Man macht sich etwas vor, wenn man sich so benimmt, als ob man es könnte.“). Aber ansonsten stellt sich der Autor ganz in den Dienst des Genres, des Lesers – und bester Unterhaltung.
Bestes Zitat: «Was an der Natur macht dem modernen Geist eigentlich so viel Angst? Warum ist sie ihm so unerträglich? Weil die Natur grundsätzlich gleichgültig ist. Sie ist unerbittlich und teilnahmslos. Es ist ihr vollkommen egal, ob du lebst oder stirbst, Erfolg hast oder scheiterst, Vergnügen oder Schmerz verspürst. Das ertragen wir einfach nicht. Wie können wir in einer Welt leben, die sich so wenig um uns schert?»