Autor | Michael Moore |
Titel | Here comes trouble. Mein Leben als Querschläger |
Originaltitel | Here comes trouble. Stories from my life |
Verlag | Piper |
Erscheinungsjahr | 2011 |
Bewertung | ***1/2 |
«Guten Tag, Mr. Moore. Ich wünsche Ihnen alles Gute für Ihren weiteren Lebensweg und bete für diejenigen, die Sie werden ertragen müssen.» Diesen Abschiedsgruß bekommt Michael Moore schon als Teenager bei seinem Rauswurf aus dem Priesterseminar zu hören. Der Satz sollte sich als prophetisch erweisen für den Werdegang der notorischen Nervensäge. Michael Moore stellt unbequeme Fragen und macht dann den Mund auf, wenn alle anderen es vorziehen zu schweigen. Er war schon immer so, und er ist stolz darauf. Das ist die wichtigste Botschaft seiner gerade erschienenen Autobiografie Here Comes Trouble – Mein Leben als Querschläger.
Michael Moore war immer dagegen. Er hat Filme gemacht gegen die Globalisierung (Roger & Me), gegen die Waffenlobby in den USA (Bowling For Columbine), gegen den Irakkrieg (Fahrenheit 9/11) oder gegen das perverse Treiben auf den Finanzmärkten (Kapitalismus, eine Liebesgeschichte). In seinen Büchern (Stupid White Men, Volle Deckung, Mr. Bush) hat er gegen die Verlogenheit seiner Landsleute polemisiert. Er ist damit zum Held der weltweiten Linken und zum Posterboy des Antiamerikanismus geworden, zum Oscar-Preisträger und Bestsellerautor. Aber er hat sich damit ansonsten keine Freunde gemacht, sondern stattdessen seinen Namen ganz oben auf die Todeslisten rechter Spinner gesetzt.
Wie sehr er unter all den Anfeindungen und dem Image als Landesverräter leidet, macht sein neues Buch unmissverständlich deutlich. Gleich zu Beginn fragt er sich ganz ohne Ironie, warum er überhaupt noch am Leben ist, obwohl er nach seiner Rede gegen George W. Bush bei den Oscars 2003 jahrelang der meistgehasste Mann in einem schießwütigen Land wie den USA war.
Das wirkt zunächst ein bisschen arg selbstverliebt und widersprüchlich. Schließlich ist Michael Moore ein beflissener und gekonnter Selbstdarsteller. Auch der treffende Titel und das knallige Cover seiner Autobiografie beweisen das. Er sucht die Aufmerksamkeit, er liebt die Provokation – und es ist entsprechend gewagt, wenn er nach einem gut kalkulierten Skandal plötzlich über Aufmerksamkeit von der Sorte schimpft, die niemand haben möchte, und sich als Quasi-Märtyrer im Kampf für die Wahrheit inszeniert.
Doch schon bald wird klar, wie sehr der Autor und Filmemacher unter dem Leben als Staatsfeind Nr. 1 gelitten hat. Er bekam professionellen Personenschutz, verließ jahrelang kaum mehr das Haus und musste um sein Leben bangen – und er kann all dies auch mit dem Abstand von ein paar Jahren noch immer nicht fassen. «Wegen eines Films wollte jemand mein Haus in die Luft sprengen? Früher hätte man deshalb einen Leserbrief geschrieben», meint er an einer Stelle.
Wie nachhaltig diese Phase auf ihn gewirkt hat, ist kaum zu überschätzen. Moore wünscht sich in Here Comes Trouble zumindest zwischen den Zeilen, er könne die Oscar-Rede ungeschehen machen, weil sie ihn zur Zielscheibe von Terror gemacht hat. Und er fährt auch sonst einen ungewohnten Kuschelkurs. Ganz oft wirkt das Buch wie das krampfhafte Bemühen eines Missverstandenen um Richtigstellung. Immer wieder stellt der Autor heraus, dass er Amerika nicht hasst, sondern nur deshalb so oft zum Nestbeschmutzer wird, weil ihm das Land so sehr am Herzen liegt.
Beinahe könnte man meinen, der 57-Jährige wolle sich mit den verschiedenen Episoden aus seinem Leben als All American Boy empfehlen: Er war Pfadfinder und Messdiener, er ist glühender Baseballfan und wollte katholischer Priester werden. Er ist ein guter, sogar stolzer Amerikaner – das soll unzweifelhaft die Botschaft sein. Auch für seine Sehnsucht nach der guten alten Zeit und die ständige Warnung, alles gehe den Bach runter, gibt es nur ein Wort, auch wenn man dieses bisher nie mit Michael Moore in Verbindung gebracht hätte: konservativ.
Erfreulicherweise ist er trotzdem nicht milde geworden. Auch in Here Comes Trouble nimmt er kein Blatt vor den Mund. Er legt auch keinen Wert darauf, sich selbst zu schonen, sondern ist schmerzhaft offenherzig: der erste feuchte Traum, das erste verpatzte Date – all das thematisiert er bereitwillig. Michael Moore macht sogar Witze darüber, dass seine Mutter eine Fehlgeburt hatte, bevor er dann auf die Welt kam.
Was es in Here Comes Trouble – Mein Leben als Querschläger hingegen kaum gibt, sind Hintergründe zu seinen Werken. Auf seine Bücher und Filme geht Moore fast gar nicht ein, kein einziges Kapitel kommt einem «Making Of» seiner größten Erfolge gleich. „Dokumentarfilme mochte ich nicht, also schaute ich mir kaum welche an. Sie kamen mir wir Medizin vor, wie Rizinusöl, wie Filme, ich ich anschauen sollte, weil sie gut für mich waren. Doch die meisten waren langweilig und vorhersehbar, selbst wenn ich mit ihren politischen Inhalten übereinstimmte“, gesteht Moore sogar. Umso mehr macht diese Autobiografie aber den Mut und die Motivation deutlich, die hinter diesen Werken stecken. Das Buch zeigt, wie früh, wie intensiv und wie nachhaltig Michael Moore politisiert wurde in einer Ära, die von Debatten um Vietnamkrieg, Umweltschutz, Frauen- und Bürgerrechte geprägt war.
Dabei sind diese 400 Seiten keine abgehobene Lebensbeichte oder dröge Faktensammlung. Here Comes Trouble ist, wie man das von Michael Moore kennt, ein sehr amüsantes Buch. Nicht nur als Lektüre für seine Fans, sondern auch als humorvolle amerikanische Zeitgeschichte. Wenn Michael Moore, ein Niemand aus einer Kleinstadt in Michigan, plötzlich einen Anruf von John Lennon bekommt, die erschreckende Nähe seines Filmemacher-Lehrmeisters zu George W. Bush bemerkt, als Knirps im Aufzug eine zufällige Begegnung mit einem leibhaftigen Kennedy hat, hautnah dabei ist bei einem Terroranschlag 1985 am Flughafen in Wien, Ronald Reagan auf einem Friedhof in Deutschland einen Streich spielt oder seine persönliche Beziehung zur Hiroshima-Bombe entdeckt, dann kommt diese Lebensgeschichte wie ein kaum zu fassender, hochgradig unterhaltsamer Schelmenroman daher. Immer wieder stolpert dieser Mann in Fettnäpfchen, die nicht selten historische Bedeutung haben. Here Comes Trouble ist dabei so relevant, witzig und rührend, dass es Michael Moore erscheinen lässt wie den Realität gewordenen Forrest Gump.
Bestes Zitat: „Nixon beging so abscheuliche Kriegsverbrechen, dass wir heute noch unter den Folgen zu leiden haben. Wir verloren unseren moralischen Kompass und haben ihn nie wiedergefunden. Wir wissen nicht mehr, wann wir die guten und wann wir die Terroristen sind. In der Geschichte ist unser Niedergang schon besiegelt, und das Urteil der Geschichte wird lauten, dass er mit Vietnam und Nixon begann. Vor Vietnam gab es unglaublich viel Hoffnung. Seit Nixon kennen wir nur noch den permanenten Krieg.“
Eine leicht gekürzte Version dieses Artikels gibt es auch bei news.de.