Durchgelesen: Moritz Netenjakob – „Der Boss“

Mit "Der Boss" macht Moritz Netenjakob genau da weiter, wo "Macho Man" aufgehört hat.
Mit "Der Boss" macht Moritz Netenjakob genau da weiter, wo "Macho Man" aufgehört hat.
Autor Moritz Netenjakob
Titel Der Boss
Verlag KiWi
Erscheinungsjahr 2012
Bewertung ***

Beinahe muss man da einen Minderwertigkeitskomplex vermuten. Die Männer, die einen großen Teil dazu beigetragen haben, das deutsche Fernsehen deutlich witziger zu machen, können aus diesem Verdienst einfach keine Genugtuung beziehen. Es muss mehr sein. Etwas Seriöses. Hochkultur. Oder wenigstens: ein Buch.

Das hat einen einfachen Grund: Leute zum Lachen zu bringen, die faul im Fernsehsessel hocken, gilt hierzulande als nicht allzu prestigeträchtig. Humor unterliege in Deutschland «einem allgemeinen Banalitätsverdacht», sagt Karin Knop, Autorin des Buches Comedy in Serie, im Gespräch mit news.de. «Wir haben eine enorme Beliebtheit der Comedyangebote im Fernsehen, diskutieren aber nach wie vor den Niveauunterschied zwischen High- und Low-Culture respektive Kabarett und Comedy. Das scheint mir in anderen Ländern deutlich unaufgeregter gehandhabt zu werden.»

Womöglich ist das der Grund, warum viele Fernseh-Autoren den Schritt in die Belletristik wagen. Tommy Jaud, einst für die Pointen bei der Harald Schmidt Show oder Anke Engelkes Ladykrachern zuständig, ist diesen Weg gegangen und hat mit Vollidiot, Resturlaub oder Hummeldumm abgeräumt. Ralf Husmann, der Erfinder von Stromberg, schreibt seit 2008 ebenfalls Romane. Und auch Moritz Netenjakob ist diesen Weg gegangen: Der Kölner war Chefautor von Sat.1-Wochenshow und Switch, doch der Versuchung, den eigenen Namen vielleicht einmal im Bücherregal zu sehen, konnte auch er nicht widerstehen.

Der Plan ging perfekt auf: Moritz Netenjakobs erster Roman Macho Man stand monatelang auf der Spiegel-Bestsellerliste, mit dem Nachfolger Der Boss knüpft er nun nahtlos an seinen Erfolg an.

Das meint nicht nur die Verkaufszahlen: Der Boss macht auch in der Handlung genau da weiter, wo Macho Man aufgehört hatte. Daniel (Werbefuzzi, Allergiker, Einzelkind aus Intellektuellen-Haushalt) hat sich in Aylin (ohne nähere Berufsbezeichnung, Traumfrau, mit türkischer Großfamilie als Anhang) verliebt und kann sein Glück kaum fassen. Nun gilt es, die Hochzeit zu planen und, als wäre das nicht schon stressig genug, sich als liberales, überkorrektes Weichei in eine Familie voller Alphatiere, Tabus und Intrigen einzufügen.

«Du bist der Boss» erfährt Daniel ganz zu Beginn des Buches über die Konzeption dieser Beziehung – und er hat reichlich Schwierigkeiten, diesem Anspruch gerecht zu werden. «Ich kann langsam nicht mehr. Ich will endlich verheiratet sein. Wenn man die Hochzeit einfach überspringen könnte, wär’s mir auch recht», muss er bald genervt eingestehen.

Kein Wunder: Er hat plötzlich Onkel Abdullah in der Wohnung sitzen, dessen Begeisterung für Trabzonspor nur noch von der Lautstärke seines Schnarchens übertroffen wird. Er muss eine Cousine seiner Verlobten kurzerhand zur Praktikantin machen, obwohl sie in der Firma nichts leistet, als sämtliche Kollegen zu Farmville-Junkies zu machen. Und er muss seiner Mutter beibringen, dass sie den Eltern der Braut lieber nichts von ihren lesbischen Affären in wilden 68er-Zeiten erzählen sollte.

Es ist eine der Stärken von Der Boss, dass der Roman einige der Figuren und Eigenheiten von Macho Man wieder aufgreift, ohne jedoch die Kenntnis des Vorgänger-Buches vorauszusetzen. Wer Moritz Netenjakob hier erstmals begegnet, hat keinerlei Einbußen im Hinblick auf Humor oder Verständnis zu befürchten.

Wer schon zu den Fans des Kölners zählt, der übrigens ebenso wie seine Hauptfigur mit einer Türkin verheiratet ist, wird allerdings viele freudige Déjà-vu-Momente haben: Daniel sammelt als Erzähler grundsätzliche Erkenntnisse am liebsten in Listen, wenn eine Entscheidung ansteht, dreht er sich mit Sicherheit erst einmal minutenlang im Kreis, und immer wieder spielt er auf Filme und Fernsehsendungen an.

Es gibt noch weitere Anknüpfungspunkte zur TV-Vergangenheit des Autors: Der Boss setzt gelegentlich auf die Techniken von Fernsehhumor der besseren Sorte. Es gibt einen sehr flotten Wechsel der Schauplätze, ein paar Running Gags und vor allem die Methode, wichtige Wendepunkte der Handlung geschickt immer weiter hinauszuzögern (sogar typografisch, wie in Kapitel 19, das aus nur acht Wörtern besteht).

Das ist wunderbar leichtfüßig erzählt und über weite Strecken auch erstaunlich spannend, auch wenn Der Boss am Ende an Schwung verliert. Netenjakob wirkt dabei manchmal wie ein Autor, der selbst nicht witzig ist, aber einen untrüglichen Blick für das Witzige hat. Der Humor dieses Romans erwächst deshalb auch nicht so sehr aus der Sprache, sondern aus einer Unmenge an komischen Szenen, schrägen Figuren und unmöglichen Gedankensprüngen. Und natürlich aus dem Mix, der auch im Fernsehen wunderbar funktioniert: Beziehungsprobleme à la Mario Barth treffen auf Multikulti-Vorurteile im Stile von Kaya Yanar.

Im Feuilleton wird man damit wohl nach wie vor seine Probleme haben. Aber dass gegen ein Schmunzeln, einen Lachanfall oder einen Schenkelklopfer auch dann nichts zu sagen ist, wenn man statt der Fernbedienung gerade ein Buch in der Hand hat, das sollten nach den TV- nun auch die Literaturkritiker allmählich akzeptieren.

Bestes Zitat: «Familie ist Terrorherrschaft auf genetischer Grundlage.»

Quelle:
Nachrichten
Medien Nachrichten
Moritz Netenjakob – Der Macho Man soll unter die Haube

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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