Durchgelesen: Oliver Uschmann – „Überleben auf Festivals“

Autor Oliver Uschmann

Nach 20 Jahren Festival-Erfahrung hat  Oliver Uschmann einen amüsanten Ratgeber verfasst.
Nach 20 Jahren Festival-Erfahrung hat Oliver Uschmann einen amüsanten Ratgeber verfasst.
Titel Überleben auf Festivals
Verlag Heyne Hardcore
Erscheinungsjahr 2012
Bewertung

Rock am Ring ist überstanden, das Melt! steht unmittelbar bevor, Hurricane und Southside sind schon längst ausverkauft und Mitte August wird das Highfield wieder den ungefähren Schlusspunkt unter die Festivalsaison setzen. Jahr für Jahr ziehen die Rock-Spektakel Hunderttausende Musikfans an. Höchste Zeit, dass ihnen jemand einen Leitfaden an die Hand gibt. Oliver Uschmann hat das jetzt getan.

Überleben auf Festivals. Expeditionen ins Rockreich heißt sein höchst amüsanter Ratgeber. Der Musikjournalist (unter anderem Spex) und Schriftsteller (von seinen Hartmut und ich-Romanen wurden bereits 500.000 Exemplare verkauft) blickt nach eigenen Angaben auf 20 Jahre Erfahrung vor und hinter der Bühne zurück. Genau davon profitiert sein Buch enorm: Uschmann, Jahrgang 1977, hat bei Festivals offensichtlich ganz viele (auch viele schmerzhafte) Erfahrung gesammelt, die aber niemals seine Liebe zur Musik erschüttern konnten.

So kategorisiert er das Publikum ebenso wie die Musiker, wirft einen Blick auf die Baukultur der Zeltplätze, die Verhaltensrituale auf dem Gelände und die, nunja, kulinarische Seite von Festivals. Der Leser lernt den Bollo kennen (Motto: «Was ist ein bisschen Blut unter Freunden?»), den Flirter («Wer vorher sündigt, schläft nachher besser.») oder den Vandalen («Wo andere Bändchen sammeln, sammelt er die Kabelbinder, mit denen er von Beamten gefesselt wurde.») Er bekommt die sexuelle Bedeutung der Bierrutsche erklärt und erfährt endlich die Antwort auf die Frage, was das eigentlich für Leute sind, die sich die erste Band des Tages anschauen.

Das ist natürlich bei weitem nicht immer ernst gemeint, funktioniert aber dennoch über weite Strecken auch als Handbuch. Wer zum allerersten Mal die Reise zu einem Festival plant, der bekommt hier wirklich hilfreiche Hinweise und Warnungen. Die Veteranen werden wiederum in Kapiteln wie Die Anreise das eine oder andere Déjà-vu erleben. Denn Uschmann schafft es immer wieder, das Typische ebenso herauszugreifen wie das Absonderliche. Und wenn er mit seiner Festival-Expertise einmal am Ende ist, dann lässt er einfach ausgedachte Experten von ausgedachten Institutionen zu Wort kommen wie Prof. Dr. Gerd Schuster-Ebert vom Institut für soziale Bewegung (IfsB) in Finkenbach-Gersweiler.

Jedes Kapitel von Überleben auf Festivals wird so eine kleine Milieustudie, viele der Ausführungen könnte man wunderbar miteinander verlinken. Besonders gelungen sind der Abschnitt, der endlich die Herkunft des legendären «Helga»-Rufs aufdeckt, und das Kapitel über die Kegler, die seit einigen Jahren die Festivals als Amüsiermeile für sich entdeckt haben, auch wenn sie sich fast nie für die dort gebotene Musik interessieren: «Ähnlich wie die Barbaren, die Vandalen und die Trommler treten die Kegler nur im Kollektiv auf. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie enorme Trinkfestigkeit mit ungebrochener Ordnungsliebe verbinden.»

Nach der Lektüre dieser 256 Seiten ist in jedem Fall klar, warum Oliver Uschmann die Festivals immer wieder als «Reservat» bezeichnet: Beim Festival kehrt der Mensch wirklich zu seinen Ursprüngen zurück – auch wenn das nicht immer ein schöner Anblick ist.

Bestes Zitat: «Als das erste Dixie unter den Festivalmenschen kam, muss es gewesen sein wie in Stanley Kubricks Film 2001: Odyssee im Weltraum, wo die Wilden verwirrt um den rätselhaften schwarzen Monolithen stehen und sich fragen, was sie damit anfangen sollen. Klopfend entlockten die Besucher dem Hartplastik der Mobiltoilette dumpfe Töne, schreckten zurück und fanden schließlich die Tür. Drinnen steckten sie den Schädel in das große Loch, riefen den Namen eines ihrer Götter und beobachteten die sanften Wellen, welche die Vibrationen ihrer Stimme in der blauen Flüssigkeit auslösten.»

Diesen Artikel gibt es auch bei news.de.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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