Autor | Patricia Highsmith | |
Titel | Der talentierte Mr. Ripley | |
Verlag | Süddeutsche Bibliothek | |
Erscheinungsjahr | 1955 | |
Bewertung |
Wer Kriminalromane ausschließlich in der Nähe von Groschenheften einordnet, für den ist Patricia Highsmith das perfekte Gegenmittel. Ihr 1955 erschienener Bestseller Der talentierte Mr. Ripley (ab 1970 ließ sie vier weitere Romane rund um diese Figur folgen) ist näher an Albert Camus und Fjodor Dostojewski als an Jerry Cotton und John Sinclair. Das Buch ist damit typisch für das Werk der Amerikanerin: Es gibt in diesem Krimi zwar einen Kommissar, aber der Star ist der Täter. Nicht die Aufklärung durch die Kripo steht im Mittelpunkt des Falls, sondern das zumindest gelegentlich an die Oberfläche kommende Schuldbewusstsein des ansonsten maximal pragmatischen Tom Ripley. Mehr noch: Der eigentliche Kern dieses Buchs ist die Frage, welche Gründe ihn zum Verbrecher haben werden lassen.
Tom Ripley ist 25 und lebt in New York, er hat mathematisches Talent, aber keinen Job oder anderweitige Verpflichtungen. „Irgendetwas fand sich immer. Das war Toms Credo“, bringt Highsmith diesen Charakter auf den Punkt. Man könnte bei einer flüchtigen Begegnung glauben, heißt es gleich zu Beginn, dass Tom Ripley „intelligent, vernünftig, überaus ehrlich und äußerst hilfsbereit sei. Was eine leise Fehleinschätzung war.“ Die Berufsbezeichnung, die ihm am nächsten kommt, lautet: Hochstapler. Zwar sind es keinen großen Coups, die er sich erlaubt, aber die Summe seiner Betrügereien sorgt längst dafür, dass ihm sein schlechtes Gewissen sogar körperlich zu schaffen macht und gelegentlich die Gestalt einer waschechten Paranoia annimmt.
Als passende Gelegenheit, seinen geprellten Opfern und der Gefahr, vielleicht doch einmal erwischt zu werden, zu entfliehen, erscheint ihm da das Angebot, das ihm der reiche Geschäftsmann Herbert Greenleaf macht: Tom soll seinen Sohn Dickie in Europa aufspüren und zur Rückkehr nach Hause bewegen. Dickie macht sich seit Jahren in Italien ein schönes Leben und will lieber Maler werden als das elterliche Business zu übernehmen. Tom Ripley, der ihn flüchtig kennt, aber von Dickies Vater für einen engen Freund gehalten wird, soll ihm ins Gewissen reden. Alle Ausgaben für die Reise nach Europa inklusive Spesen will Herbert Greenleaf bezahlen.
Tom sagt zu und macht sich auf nach Italien, wo es ihm tatsächlich gelingt, sich bei Dickie Greenleaf und seiner guten Freundin Marge Sherwood einzuschmeicheln, die als Schriftstellerin in der Nachbarschaft lebt. Das amerikanische Trio im italienischen Exil ist bald unzertrennlich und genießt den Sommer am Strand. Tom ist so fasziniert von Dickie und den Möglichkeiten seines unbekümmerten Lebens auf Kosten des Vaters, dass er schließlich beschließt, Dickie aus dem Weg zu räumen und seine Identität anzunehmen. Als er diesen Plan in die Tat umsetzt und dann nach Rom flieht, wird allerdings nicht nur Marge zum Problem, die als einzige den Betrug auffliegen lassen könnte. Auch die Polizei ermittelt – und Herbert Greenleaf wird zuhause in Amerika ebenfalls unruhig.
Das Spannende an Der talentierte Mr. Ripley ist dabei nicht in erster Linie die Frage, ob die Titelfigur mit ihrem Schwindel davonkommen wird. Vielmehr fasziniert der Kontrast zwischen der Kaltblütigkeit Toms und seiner scheinbaren Normalität und Unbedarftheit. Er erscheint überall als blass oder allenfalls zurückhaltend, gerade deshalb wirkt seine kriminelle Energie so schockierend. Warum wird dieser junge Mann zum Mörder? Die Antwort darauf scheint kaum in seinem Innern zu finden zu sein, denn ihm fehlt eine klare Identität. Ihm geht vieles ab, was normalerweise prägende Elemente für einen Charakter sein könnten: Eltern, Beruf, Sexualität, festes soziales Umfeld.
Viel wahrscheinlicher ist sein Motiv in den Lehren zu suchen, die er aus seinem bisherigen Leben gezogen hat. Dafür spricht auch, dass er nicht frei von Gewissensbissen ist, sondern sowohl bei den kleinen Gaunereien in New York als auch bei den spektakulären Verbrechen in Italien durchaus weiß, dass er Unrecht tut und sich dafür auch vor sich selbst rechtfertigen muss. Er fühlt sich aber legitimiert durch die Umstände, durch die Tatsache, dass er auf anderem Wege vermeintlich keine Chance hat, seinen Traum von einem Jetset-Leben zu verwirklichen. Tom Ripley ist genauso unmoralisch wie die Handlung des Buches und, so lautet vielleicht der darin enthaltene Hinweis von Patricia Highsmith an die Leser, wie die Welt an sich.
Bestes Zitat: „Tom war, als offenbarte sich ihm eine schreckliche Wahrheit, die für alle Zeiten galt, für alle Menschen, die er einst gekannt hatte und einst kennen würde: Jeder einzelne hatte ihm gegenübergestanden und würde ihm gegenüberstehen, und er würde immer wieder wissen, dass er keinen von ihnen jemals kennen würde, und das schlimmste daran war, dass er immer wieder für kurze Zeit der Illusion erliegen würde, er kenne sie und er und sie seien einander völlig ähnlich und in völliger Harmonie miteinander.“