Autor | Paul Bogard | |
Titel | Die Nacht – Reise in eine verschwindende Welt | |
Originaltitel | The End Of Night | |
Verlag | Blessing | |
Erscheinungsjahr | 2013 | |
Bewertung |
Darauf muss man erst einmal kommen: Als Ressource betrachtet Paul Bogard die Dunkelheit. Mehr noch: als schützenswert, wunderschön, lebensnotwendig. „Schon heute erleben rund zwei Drittel aller Amerikaner und Europäer keine wirkliche Nacht, keine echte Dunkelheit mehr“, stellt er fest – und für ihn ist das ein Zustand, der nicht hinnehmbar ist. Dunkelheit ist für ihn kein Defizit (also die Abwesenheit von Licht), sondern ein Heiligtum.
Es ist die Umkehrung der üblichen kulturellen Metaphern, in denen Licht für Aufklärung, Leben und Friede steht, Dunkelheit hingegen für Geheimnis, Tod und Bedrohung. In Bogards Buch werden diese Assoziationen mehr als nur hinterfragt. Gleich auf den ersten Seiten von Die Nacht – Reise in eine verschwindende Welt vergleicht der Autor das Licht mit Ausschlag und Pusteln, später macht er klar, dass unsere Angst vor der Dunkelheit zwar nachvollziehbare evolutionäre Ursprünge, heute aber längst keine vernünftige Grundlage mehr hat.
Bogard ist dabei keineswegs per se ein Feind des Lichts und trauert auch nicht den Zuständen nach, als man sich beim abendlichen Nachhauseweg auf tückischen und unbeleuchteten Straßen noch die Knochen brechen konnte. „Das elektrische Licht hat uns eine bemerkenswerte Freiheit geschenkt, unserer Arbeit oder unseren Freizeitbeschäftigungen noch lange nach Sonnenuntergang nachzugehen. Niemand wird bezweifeln, dass es uns auch ein Maß an Sicherheit gebracht hat, das wir ansonsten nicht genießen würden. Doch zu welchem Preis verbarrikadieren wir uns hinter unseren Lichtern?“, fragt er stattdessen. Sein Anliegen ist ein vernünftiger Umgang mit Licht. Vor allem aber möchte er uns sensibilisieren für den Wert der Nacht.
Immer wieder erinnert Bogard an eine Zeit, in der die Nacht noch wirklich dunkel war – und stellt ihr die gleißend helle, elektrifizierte Gegenwart gegenüber. Über Millionen Jahre hinweg habe sich die Menschheit an helle Tage und dunkle Nächte gewöhnt, bis „dieser uralte Rhythmus binnen nur eines runden Jahrhunderts durchbrochen“ wurde, attestiert er und prognostiziert dann: „Acht von zehn heute in Amerika geborenen Kindern … werden nie eine Nacht kennenlernen, die dunkel genug ist, um die Milchstraße zu sehen.“ Die Botschaft ist klar: Die Nacht steht bei ihm auch für Natur und Unberührtheit insgesamt, sein Buch hinterfragt unsere Einstellung dazu und unseren Umgang damit.
Die Nacht – Reise in eine verschwindende Welt ist dabei ein sehr persönliches Werk geworden. Bogard reist im Verlauf dieser reichlich 300 Seiten vom hellsten Punkt der Erde, Las Vegas, bis zu einigen ihrer dunkelsten Orte. Auf dem Weg befragt er Astronomen, Mediziner, Naturschützer und Nachtarbeiter, erinnert sich an seine eigene Kindheit, schwärmt von magischen Nächten und baut immer wieder zum Thema passende Zitate aus der Weltliteratur ein, die entweder gut gegoogelt sind oder eine Belesenheit zeigen, die sich ein Leben lang ausschließlich auf die Lektüre von Texten zu Nacht, Dunkelheit und Sternen beschränkt hat (in der Tat ist Bogard im Hauptberuf Professor für Englisch an der Wake Forest University in North Carolina, er hat unter anderem die Anthologie Let There Be Night: Testimony On Behalf Of The Dark herausgegeben).
Diese Ich-Perspektive ist das größte Problem dieses Buchs. Denn Bogard mag sich selbst offensichtlich mindestens genauso sehr wie er die Nacht verehrt. Es ist beinahe unerträglich selbstverliebt, wenn er von seinem Spaziergang auf den Spuren von Charles Dickens durch das nächtliche London erzählt. Das große Ego und die vielen autobiografischen Bezüge führen darüberhinaus zu einer Struktur, die beinahe willkürlich wirkt: Die Gliederung von Die Nacht – Reise in eine verschwindende Welt richtet sich weder nach thematischen Aspekten noch erkennbar nach Bogards Reiseweg.
Für ein ordentliches populärwissenschaftliches Sachbuch ist der Autor zudem viel zu selektiv bei der Bewertung von Studien oder der Auswahl von Gesprächspartnern. Seine Ehrfurcht vor der Natur kippt nicht selten beinahe ins Esoterische („Hier, unmittelbar am Meer, unmittelbar unter diesem Himmel, ist es, als läge man der Haut eines geliebten Menschen so nahe, um durch sie hindurch das Blut und den Atem und den Herzschlag zu hören“, ist eine typische Stelle). Nicht zuletzt gibt es auch ein paar seltsame Widersprüche in diesem Buch. So schwärmt Bogard, der sich sonst durchweg für dunkle Nächte und gegen Lichtverschmutzung stark macht, seitenlang über einen Lichtdesigner, der die Nächte in Paris geradezu magisch wirken lässt, der Stadt allerdings auch eine Rechnung von 150.000 Euro pro Tag für den Stromverbrauch der von ihm installierten Lichter beschert hat.
Das ist auch deshalb ärgerlich, weil einige seiner selbstverständlich legitimen Argumente in diesem Durcheinander deutlich an Kraft verlieren. Bogard weist auf die Gesundheitsgefahren durch Lichtverschmutzung hin, von Schlafstörungen bis zu Krebs. Er widerlegt ausführlich die These, dass zusätzliche Beleuchtung in Städten die Verbrechensrate senkt. Schließlich macht er wiederholt deutlich, dass wir all diese Laternen, Neonröhren, LEDs und Glühlampen gar nicht brauchen: Wir könnten ohne Nachteil mit weniger Licht auskommen, wenn wir es intelligent nutzen würden.
All diese Erkenntnisse zeigen, wie wichtig ein Buch über das Verschwinden der Nacht gewesen wäre, das sich auf Bedrohungen jenseits der Ästhetik konzentriert. Bogard verliert sich leider in Schwärmerei, und das macht die arg einfache Formel „Dunkelheit = Schönheit“ auch nicht überzeugender. Ganz oft ertappt man sich beim Lesen dieses Buches beim Gedanken: Wenn dieser Mann immer nur den Zauber der Nacht preisen will, dann hätte er vielleicht lieber ein Gedicht schreiben sollen.
Bestes Zitat: „Die natürliche Dunkelheit der Nacht ist unerlässlich für unsere Gesundheit und für die Gesundheit unserer irdischen Natur. (…) Jedes Geschöpf leidet unter dem Verlust der Nacht.“