Autor | Peter Guralnick | |
Titel | Careless Love – The Unmaking Of Elvis Presley | |
Verlag | Backbay Books | |
Erscheinungsjahr | 1999 | |
Bewertung |
23 Jahre alt ist Elvis Presley, als die Handlung dieses Buches beginnt. Für viele andere Rockstars fängt in diesem Alter, damals wie heute, die Karriere erst an. Für Elvis ist es fast genau die Mitte seines Lebens. Und der Beginn seines Abstiegs.
Peter Guralnick, der im ersten Teil seiner Biographie den sagenhaften Triumphzug des King Of Rock’N’Roll erzählt hatte, widmet sich in Careless Love – The Unmaking Of Elvis Presley dem Niedergang seines Helden. Der Ehrgeiz, der Aufstieg – das taucht hier nur noch ganz am Schluss in der Trauerrede bei Elvis’ Beerdigung auf. Elvis sei der beste Beweis dafür, was man alles erreichen könne als “one human being who has strong desire and unfailing determination”, schwärmt der Priester da.
Auch wenn jeder dieses schmerzhafte Ende der Geschichte bereits kennt, ist Careless Love ein ebenso fesselndes Buch wie der erste Teil. Denn es wird hier nicht nur deutlich, wie Elvis Presley nach seiner Rückkehr von der Army immer unvermeidlicher in sein Verderben schlidderte. Guralnick zeigt immer wieder auch retardierende Momente, kleine Lichtblicke und Atempausen im Martyrium. Gerade daraus bezieht Careless Love seine Stärke: Das Buch zeigt einerseits die Zwangsläufigkeit von Elvis Presleys (Selbst-)Zerstörung, andererseits aber den unbändigen Kampf des Protagonisten gegen diesen Prozess. Careless Love macht damit auch deutlich: Eine Rettung für Elvis wäre möglich gewesen, aber Elvis hätte sich nur selbst retten können.
Am Beginn erklärt Guralnick, wie schon in Last Train To Memphis, seine eigene Sympathie für Elvis. “I know of no sadder story”, bekennt der Autor im Vorwort und macht dann deutlich, dass er beim Leser für einen neuen, unverstellten Blick auf den King werben will: “Elvis Presley may well be the most written-about figure of our time. He is also in many ways the most misunderstood, both because of our ever-increasing rush to judgement and, perhaps more to the point, simply because he appears to be so well known. (…) ‘It’s very hard’, Elvis declared without facetiousness at a 1972 press conference, ‘to live up to an image’. And yet he, as much as his public, appeared increasingly trapped by it.”
Genau dieses Image, und Elvis’ eigener Glaube daran, sind es am Ende dieser 766 Seiten, die Elvis ins Grab gebracht haben. Careless Love ist die Geschichte eines Mannes, der sich nach Veränderung sehnt, nach künstlerischer Herausforderung, nach Authentizität. Und der sich in den hier erzählten Jahren seiner Karriere trotzdem mit Ruhm begnügt, mit Durchschnitt, mit Routine.
An einer Stelle im Buch erklärt Elvis in (rückblickend) schmerzhafter Klarheit dieses Dilemma: „I’d like to progress. But I realize that you can’t bite off more than you can chew, you have to know your capabilities. I have people say to me all the time, ‘Why don’t you do an artistic picture? Why don’t you do this picture or that picture?’ Well, that’s fine – I would like to. I would like to do something some day where I feel that I really done a good job. I think it will come eventually – you know, that’s my goal. But in the meantime, if I can entertain people with the things I’m doing – well, I’d be a fool to tamper with it, to try to change it. It’s ridiculous to take it on your own and say, ‘Well, I’m gonna change, I’m gonna try to appeal to a different-type audience.’ Because you might not. You might not. And if you goof a few times, you don’t get many chances in this business. (…) So you are better off – if what you are doing is doing okay, you’re better off sticking with it, till just time itself changes things.”
Dieser Pragmatismus führt schnurstracks in Richtung Ruin. Zunächst, nach seiner Rückkehr aus Deutschland, braucht Elvis die Bewunderung seines Publikums, um sein Selbstvertrauen aufzufrischen. Dann wird der Erfolg für ihn zu einem Korsett, und in seinen letzten Jahren sind seine Tourneen bloß noch ein weiteres Betäubungsmittel, um ihn von der völligen inneren Leere abzulenken.
Seinen musikalischen Horizont hatte Elvis vor allem während der Army-Zeit in Deutschland erweitert, und er kam 1960 zurück in die Staaten mit dem Ziel, die gesamte amerikanische Musik zu verkörpern, alle Genres, von Country bis Gospel, von Rockabilly bis zum Broadway-Sound. Als er klassische Musik in seine Musik einfließen lässt, zum Beispiel bei It’s Now Or Never, ist er zunächst skeptisch: „At first it frightened him to think what his fans’ reaction might be. But then he fell back on the one precept that had guided him throughout his recording career: what you sang had to come from the heart; it couldn’t just be a matter of following trends, because then the public would never believe you. Up till now he had relied on instinct alone, and his instinct had proved as reliable in music as the Colonel’s in business.”
Auch sonst läuft es zunächst gut. Die Fans haben ihn während seiner Abwesenheit nicht vergessen. Zudem ist Elvis Presley nach seiner Rückkehr vielleicht noch nicht ganz domestiziert, aber in jedem Fall disziplinierter, was seinen Gesang und seine Bühnen-Performance angeht. Das nimmt ihm ein Stück von seiner Rohheit, öffnet ihm aber auch neue Türen (und Zielgruppen) – und führt ihn erst recht in eine künstlerische Zwickmühle zwischen seinem Selbstverständnis als Rebell und der Sehnsucht nach Mainstream-Anerkennung. Der Ausweg für Elvis: Ab den ganz frühen 1960er Jahren nimmt er Kritiker, Publikum und auch sich selbst nicht mehr allzu ernst.
Fast könnte man sagen: Wenn man sieht, wie schlecht seine Filme (und oft auch die dazugehörige Musik) in jenen Jahren sind, dann bleibt ihm auch kaum etwas übrig. Der Colonel ist begeistert von den Cross-Promotion-Möglichkeiten zwischen Kinofilm und dazugehörigem Soundtrack: Das eine beflügelt den Verkauf des anderen, die Qualität spielt dabei kaum eine Rolle. Und die zaghaften Versuche von Elvis, dieser Fließbandware etwas künstlerisch Essenzielles entgegenzusetzen, werden kaum ernst genommen.
Im März 1962 ist ein weiterer dieser retardierenden Momente erreicht, ein Punkt, an dem Elvis vielleicht einen kreativen zweiten Frühling hätte erleben können. Doch er hat nicht die richtigen Berater um sich herum, um das zu erkennen. Sein Mut ist noch zu klein, und die Verzweiflung zu diesem Zeitpunkt noch nicht groß genug. “Had there been anyone to analyze the nonsoundtrack sessions of the last two years, they would certainly have noticed that new directions were being explored, that Elvis appeared tentatively to be trying to forge a new artistic identity composed of equal parts bravado (the aria-like quality of many of his most ambitious songs) and vulnerability (the utterly naked, painfully wounded fragility of some of the Don Robertson and Doc Pomus ballads). His very willingness to put his name on two of the songs, to claim actual authorship for the first time since 1956 (and not for business reasons this time), might have seemed to an outside observer evidence of a barely cloaked desire to reveal himself. But there was no such person. The Colonel increasingly saw these nonsoundtrack sessions as a waste of time, a diversion from their principal business of making movies.”
Elvis vermag es nicht, sich aus dieser Tretmühle zu befreien, und seine Unzufriedenheit mit den Filmen und den Liedchen, die er darin trällern muss, färbt immer mehr auch auf seine Live-Shows ab, bei denen er regelmäßig in eine ironische Perspektive abgleitet. „Honesty, simplicity, the purely instinctual gut-level response – that was what his music was all about, it was what it had always been about“, erkennt Peter Guralnick ganz richtig – und dieses Unverstellte, Unbedingte, Unmittelbare verträgt sich natürlich kaum mit der Vorstellung von jemandem, der nicht nur singen, sondern sich zugleich rechtfertigen und sein eigenes Selbstbild persiflieren möchte.
Das Buch räumt damit auch mit der weit verbreiteten Legende auf, Elvis sei am Ende ein körperliches Wrack gewesen, seine Musik und seine Performance seien aber stets makellos geblieben. Die Schilderungen der späten Konzerte von Elvis, in denen er sich oft in ewig langen Tiraden verlor, statt seine Lieder zu singen, gehören zu den schockierendsten Passagen in Careless Love. „Once in a great while, a special champion comes along (…), someone in whose hands the way a thing is done becomes more important than the thing itself. (…) Elvis was like that“, jubelt die New York Times nach einem der wenigen gelungenen Elvis-Auftritte in den 1970er Jahren (im Madison Square Garden).
Gerade angesichts dieses Potenzials ist es umso erschreckender, wenn diesen Momenten des Triumphs die totale Erniedrigung gegenüber gestellt wird, wie in diesem Fazit einer Las-Vegas-Show aus dem Jahr 1974: „Where once it seemd his voice floated above the music, was capable of subtly suggesting emotion, even on the bravura pieces, now that voice struggles to summon up strength, trembles with a vibrato that seems both mannered and out of control, and substitutes a kind of thick-tongued bellow fort he dramatic modulation that characterized showpieces from It’s Now Or Never to Suspicious Minds. For the moment these shortcomings were oscured by the praiseworthiness of the effort. But one has only to compare the recorded evidence of this show with the Vegas engagements of 1969 and 1970 to recognize what a falling-off there has been. And one needn’t travel far in the realm of speculation to image how disappointed, and fearful, Elvis himself at this point must have been.”
Mit Gedanken wie diesen schafft es Guralnick wie schon im ersten Teil seiner Biographie, unfassbar nah an Elvis ranzukommen. Er lässt die wichtigsten Wegbegleiter zu Wort kommen, konzentriert sich zielsicher auf entscheidende Phasen der Karriere und beeindruckt immer wieder dann am meisten, wenn er sich an Introspektive versucht. Ein Geniestreich ist der Absatz, in der Guralnick die Zerrissenheit und Unzufriedenheit von Elvis Presley der Unbeschwertheit der anderen Rock-Größen seiner Zeit gegenüber stellt: „However sincere his public pronouncements that there was room for everyone in this business, however carefully phrased his well wishes for he Beatles’ success, none of the guys missed that he saw the Beatles and the whole British invasion as a threat and that it galled him to be widely perceived as passé. It was clear that he himself was neither interested in, nor satisfied with, the music that was being released in his name, and (…) there was no getting past the fact that the records were no longer selling as they once had, they no longer mattered as they used to. He admired the Beatles, he felt threatened by the Beatles, sometimes it made him angry how disrespectful the Beatles and Bob Dylan and the Rolling Stones were toward the public and their fans – but most of all he was envious of the freedom that they evidently seemed to feel and to flaunt. He, too, had once enjoyed that freedom, he, too, had once been in the vanguard of the revolution, and now he was embarrassed to listen to his own music, to watch his own films.”
Das ist keineswegs nur eine Interpretation des Autors. Elvis selbst gesteht es in einem Interview für die Filmdokumentation Elvis Live. Da sagt er über seine eigenen Filme: „I don’t think anyone was consciously trying to harm me. It was just Hollywood’s image of me was wrong, and I knew it, and I couldn’t say anything about it, couldn’t do anything about it. (…) I had thought that they would give me a chance to show some acting ability or do a very interesting story, but it did not change. (…) They couldn’t have paid me no amount of money in the world to make me feel self-satisfaction inside.“ Steve Binder setzt genau bei dieser Sehnsucht an, als er das legendäre TV-Special ’68 Comeback produziert – einen weiteren der retardierenden Momente, in denen sich alles noch einmal zum Guten zu wenden schien. „This was Elvis’ chance to proclaim, through his music, who he really was“, beschreibt er seinen Ansatz, der noch einmal für Höhepunkte wie Suspicious Minds oder In The Ghetto sorgen sollte, letztlich aber eine Episode bleibt.
Freilich ist es nicht nur seine Kunst, die Elvis immer mehr in Selbstzweifel und Einsamkeit treibt. Der Regisseur Gene Nelson macht bei ihm eine grundsätzliche Unsicherheit aus. „He knew he was great. He knew he could do anything he wanted. He knew the value of his status, and there was never any shyness or awkwardness about his persona onstage. However, I thought he suffered an acute lack of self-esteem as a human being. I found, not once, but a number of times, that he felt that he was uneducated and had nothing to contribute in a conversation.”
Verstärkt wird dieser Effekt dadurch, dass nach der Rückkehr aus Deutschland der wichtigste Eckpfeiler seines Lebens weggebrochen ist: Noch 1964, also sechs Jahre nach dem Tod seiner Mutter Gladys, sagt er zu Larry Geller: “I swear to God no one knows how lonely I get. And how empty I really feel.” Die Sehnsucht nach seiner Mutter wird noch verstärkt, weil sein Vater Vernon noch einmal heiratet und lieber die Gegenwart genießt als seiner ersten Ehe nachzutrauern. Auch dadurch ist Graceland für Elvis nicht mehr die heile Welt, die er vermisst und in seiner Erinnerung bei sich trägt
Auch hier führt seine Reaktion Elvis mitten hinein in ein Dilemma. Einerseits sehnt er sich nach Ruhe. Die Drogen (bei der Army kam Elvis erstmals mit Amphetaminen in Kontakt) nehme er nur, weil er mit ihnen so nahe wie möglich an das vollkommene Schweigen herankomme, sagte Elvis einmal. In den späteren Jahren lässt er sich lieber krankschreiben als noch einen dämlichen Film zu drehen, er zieht sich tagelang ins Krankenbett zurück und lässt sich am liebsten (übrigens in frappierender Parallelität zu Michael Jackson) von Ärzten umgeben. Er will fliehen, sich zurückziehen, in Ruhe gelassen werden; er ist wie ein Besessener auf der Suche nach Sinn und Erleuchtung, nach Wundern und Gott. Das macht ihn in gewisser Weise zu einem Einsiedler und geht so weit, dass Elvis zwischenzeitlich glaubt, heilende Kräfte zu besitzen und Stimmen zu hören.
Doch gleichzeitig ist er gierig nach Ruhm, auch daran lässt Guralnick keine Zweifel: „He loved being Elvis Presley.“ Er hat quasi kein Privatleben, permanent wechseln sich Job und Party ab. Als er einmal gefragt wurde, was er im Leben am meisten mag, „he came up with enthusiasm for sports, staying up all night, fried foods, listening to old rhythm and blues 78s, Marlon Brando, making movies and, above all, ‚having lots of people around me at all times.’”
Ironischerweise ist auch Las Vegas aus diesem Grund so reizvoll für ihn. Die Hauptstadt des Glücksspiels ist die perfekte Metapher für dieses Tauziehen zwischen Trubel und Isolation. „He loved Las Vegas for one reason above all: time was meaningless here, there was no clock, there were no obligations. It was a place where you could lose yourself, a place you could indulge your every fantasy – it was, for Elvis, momentary respite from all the self-doubt, from all the questions lying in wait, lurking in the shadows, waiting to assault him.”
Zur Ablenkung von der eigenen Orientierungslosigkeit dient ihm auch seine riesige Entourage. Er und seine Jungs – das ist ein eigenes Reich. “In Elvis’ life the outside world was a distant place he ventured out into but never really lived in”, umschreibt das Larry Geller. Und Peter Guralnick findet noch deutlichere Worte. Elvis war seiner Ansicht nach gefangen ”in an atmosphere that more and more resembled a zoo”. Wie er sich darin verhält, ist an manchen Stellen kaum zu glauben, wenn man den höflichen, sogar bodenständigen Elvis’ aus dem ersten Band noch vor Augen hat. Hier ist Elvis für jeden, der ihm begegnet verletzlich und unberechenbar, selbst auf seine engsten Vertrauten wirkt er mitunter arrogant und aufbrausend. Spätestens, seit ihn Priscilla verlassen hat, ist aus dem freundlichen, sympathischen Typ aus Tupelo ein Arschloch geworden, wie es Hollywood nicht besser erschaffen könnte.
Stetig ist jetzt nur noch sein musikalischer Niedergang, alles andere im Leben von Elvis Presley gleicht einer Achterbahnfahrt. Immer mehr Frauen, Drogen und semi-religiöse Bücher sollen ihn ablenken. „It was as if once the floodgates were open, he simply couldn’t stop. And it was as if, in another way, he were seeking to still some profound disquiet, cover up a need he couldn’t quite bring himself to recognize, and expiate some deep inner guilt.” Dieses Zitat bezieht sich auf den Kaufrausch, in den Elvis immer wieder verfällt, das Prinzip wirkte aber auch bei seinem Drogenkonsum, seiner Lektüre und dem Essen. Der Elvis der 1970er Jahre ist die personifizierte Maßlosigkeit. Doch all das bietet ihm letztlich keine Befriedigung. Seine Welt wird durch Geld, Ruhm und Erfolg nicht größer, sonder enger – und der Superstar immer isolierter.
Diese Mentalität führte zu einigen der skurrilen Auswüchse, die heute das Image von Elvis vielleicht mehr prägen als seine Hits von Hound Dog bis The Wonder Of You. Guralnick lässt keinen der Fehltritte aus: Elvis nahm LSD und drehte Videos, die man vielleicht nicht “Privatpornos” nennen kann, die aber viele Girls und wenig Wäsche beinhalteten. Er organisiert auf eigene Faust ein irres Treffen mit Richard Nixon, um sich offiziell für die Drogenfahndung anwerben zu lassen (auch seine Vorliebe für Freunde aus Polizei und FBI illustriert den Wunsch von Elvis, zum Establishment zu gehören). Als er für das TV-Event Aloa from Hawaii abnehmen muss, versucht er es angeblich, indem er sich den Urin einer schwangeren Frau injizieren lässt.
Eine weitere Stärke von Careless Love: Das Buch hält allen im Elvis-Umfeld den Spiegel vor. Es ist beinahe eine Marter, wenn man liest, wie blindlings alle Beteiligten Elvis in sein Verderben rennen lassen. Alle wissen, dass Elvis früh sterben wird, wenn er sich nicht ändert. Manche warnen ihn, viele bieten Hilfe an, aber Elvis ignoriert es – und die Leute, die fast immer nicht nur seine Freunde, sondern auch seine Angestellten sind, lassen es geschehen.
Der Colonel, sein engster Vertrauter, erkennt früh, dass Elvis auf einem bedenklichen Weg ist. „I’m havin‘ trouble with the boy“, sagt er 1966 einem Vertrauten, und entdeckt auch ganz richtig die Ursache der Spannungen. „Well, he’s changing, you know. He’s not the way he used to be.“
Bei einem Krankenhausaufenthalt 1973 wird erstmals offiziell erkannt: Elvis ist süchtig. Aber er zieht keine Lehren aus der Behandlung oder aus der Tatsache, dass sein Gesundheitszustand bedrohlich ist. Auch sein Umfeld melkt lieber weiter die Elvis-Maschine als ihn ernsthaft zur Besinnung zu bringen. „Elvis appeared to have hit bottom and was still singing“, umschreibt Guralnick diese Situation, der kein bisschen Trotz, aber ganz viel Tragik anhaftet. Noch im selben Jahr muss Elvis in Las Vegas erstmals Konzerte absagen (wegen gesundheitlicher Probleme, verursacht und behoben von immer mehr Tabletten), einmal verliert er auf der Bühne seine Stimme. Noch einmal zwei Jahre später, an seinem 40. Geburtstag, erkennt Elvis: Er kann nicht ewig jung sein, aber genau darauf hat er seine Karriere aufgebaut. Noch einmal zwei Jahre später verliert er nicht nur seine Stimme, sondern seine Würde. „There was no longer any pretense of keeping up appearances. The idea was simply to get Elvis out onstage and keep him upright for the hour he was scheduled to perform”, umschreibt Guralnick die Begleitumstände von Elvis’ letzter Tour im Jahr 1977.
Die Fans bleiben ihm trotzdem bis zum Schluss treu, sogar begeistert. Ein Kritiker schreibt, sie würden immer kommen, „no matter how bad, ho will, how uncaring he would get. But for some of us it would never be the same, because the man who had given us the original myth of rock’n’roll – the man who created it and lived it – was now, for whatever reason, taking it all back.“
Auch Guralnick widmet sich in seiner weisen Nachbetrachtung die Frage, warum Elvis’ sogar in seiner Selbstzerstörung noch zur Ikone wurde. Seine Antwort könnte nicht einleuchtender sein: „In the face of facts, for all that we have come to know, it is necessary to listen unprejusiced and unencumbered if we are to hear Elvis’ message: the proclamation of emotions long suppressed, the embrace of a vulnerybility culturally denied, the unabashed striving for freedom. Elvis Presley may have lost its way, but even in his darkest moments, he still retained some of the same innocent transparency that first defined the difference in the music and the man. More than most, he had an awareness of his own limitations; his very faith was tested by his recognition of how far he had fallen from what he had set out to achieve – but for all of his doubt, for all of his disappointment, for all of the self-loathing that he frequently felt, and all of the disillusionment and fear, he continued to believe in a democratic ideal of redemptive transformation, he continued to seek out a connection with a public that embraced him not for what he was but for what he sought to be.“
Bestes Zitat: „He had dozens of people around him, supposedly looking after him, but already seemed like a corpse.“ (Elton John erinnert sich an eine Begegnung mit Elvis im Jahr 1976)
Einen gute Zusammenfassung des 2. Bandes der Guralnick-Biografie. Leider ist dieser Band sehr düster geraten und auch nicht so gut recherchiert wie der 1.
Guralnick betreibt an einigen Stellen ziemliche Effekthascherei u. macht aus Elvis Presley erfolgreich eine viel tragischere Figur als er tatsächlich war. Heute, wo sehr viele Konzertmitschnitte aus den 70er Jahren durch das Sammlerlabel FTD und auf zahlreichen Bootlegs erhältich sind, weiß man, dass Elvis noch viele gute Konzerte nach 1970 gegeben hat. Auch unter Musikwissenschaftlern ist Guralnicks „Rise-and-Fall“-Perspektive alles andere als unumstritten.