Autor | Peter Guralnick | |
Titel | Last Train To Memphis. The Rise Of Elvis Presley | |
Verlag | Abacus | |
Erscheinungsjahr | 1994 | |
Bewertung |
„His energy was incredible, his instinct was just amazing… Actually it affected me the same way when I first saw that David Lynch film [Blue Velvet]. I just didn’t know what to make of it. There was just no reference point in the culture to compare it.”
So erinnert sich Roy Orbison an seine erste Erfahrung einer Elvis-Presley-Show. Es ist eines von vielen vergleichbaren Statements von Fans (und Radio-DJs, Freunden und anderen Musikern) über ihre erste Begegnung mit der Musik dieses jungen Manns aus Memphis. Die Szenen der Erschütterung, Fassungslosigkeit, Wut, Begierde und Faszination sind einige der stärksten Momente in Last Train To Memphis. The Rise Of Elvis Presley, dem ersten Teil von Peter Guralnicks meisterhafter zweibändiger Elvis-Biographie. Guralnick, der seit 1967 über Elvis schreibt, lässt keinen Zweifel daran, wie unerhört einzigartig, gewagt und gefährlich der Mann war, aus dem später der King werden sollte.
Elvis sah sich auch selbst so. “I don’t sound like nobody”, beantwortete er die Frage, woran sich sein Gesang orientiere, als er bei Sun Records seine erste Platte aufnahm. Elvis Presley wollte genau so unvergleichlich sein, wie er es schließlich wurde. Schon als schüchternes Muttersöhnchen an der High School spielte er mit seinem Look – und erkannte, wie viel er mit seinem Äußeren über sich selbst aussagen kann. „He was watching, he was waiting – but he didn’t know for what“, fast Guralnick die frühen Jahre von Elvis in Tupelo und Memphis zusammen, wo die Presleys in sehr einfachen Verhältnissen (seine erste Gitarre bekam Elvis nur, weil sich die Eltern kein Fahrrad leisten konnten, das er sich eigentlich zum Geburtstag gewünscht hatte) und äußerst zurückgezogen lebten.
Und natürlich entlarvt der Autor auch den Mythos, die ersten Lieder von Elvis seien für die Musikszene quasi die Stunde Null gewesen. Elvis lebte schon als Heranwachsender ganz nah am Viertel der Schwarzen in der Stadt, an manchen Abenden auch mitten unter ihnen. Bei Gospelkonzerten erlebte Presley ausgelassene, mitunter schamlose Shows – und entwickelte daraus seinen eigenen Stil. “Gospel music combined the spiritual force that he felt in all music with the sense of physical release and exaltation for which, it seemed, he was casting about.”
Neben den eindrucksvollen Szenen der packenden Performances von Elvis zeigt Guralnick mit einem Blick für solche Details seine weiteren großen Stärken. Zum einen gelingt es ihm in fast unheimlicher Weise, sich in seinen Protagonisten hineinzufühlen. Zum anderen macht Last Train To Memphis extrem deutlich, wie sehr die Biographie von Elvis Presley eine Inszenierung ist.
Guralnick trägt zahllose Belege dafür zusammen, dass Elvis Presley in den ersten Jahren seiner Karriere ganz offensichtlich ein freundlicher, weltoffener, ehrgeiziger und durch und durch bodenständiger junger Mann war, der sich zudem immer wieder unfassbar dankbar gegenüber seinen Fans zeigte. Das liest sich nicht nur erstaunlich, wenn man den abgehobenen, isolierten Las-Vegas-Elvis der zweiten Karrierephase im Hinterkopf hat. Es ist auch höchst tragisch angesichts des Wissens um den späteren Niedergang des Helden.
Guralnick, der schon im ersten Absatz klar stellt, dass er keineswegs neutral ist, sondern ein Elvis-Fan, gibt selber zu, dass er mit Last Train To Memphis eine Mission verfolgt: Er will mit dieser Biographie das Image von Elvis retten, seine Reputation wiederherstellen: „I wanted to rescue Elvis Presley from the dreary bondage of myth, from the oppressive aftershock of cultural significance.“
Das führt keineswegs dazu, dass Guralnick eine eindimensionale Lobhudelei abliefert. Im Gegenteil: Der Autor weist deutlich auf Zweifel hin, auch wenn er damit mitunter die Strahlkraft einiger Legenden oder den Witz mancher Anekdoten schmälert. „I have tried to convey his complexity and irreducibility as well. This is an heroic story, I believe, and ultimately perhaps a tragic one, but – like any of our lives and characters – it is not all of one piece, it does not lend itself to one interpretation exclusively, nor do all its parts reflect anything that resembles an undifferentiated whole. To say this, I hope, is not to throw up one’s hands at the impossibility of the task; it is, simply, to embrace the variousness, and uniqueness, of human experience.” In der Tat schafft es Guralnick mit dieser Technik, einen einleuchtenden, sympathischen, lebendigen Elvis zu zeichnen.
Die Biographie, die mit dem Aufbruch zur Army in Deutschland endet, führt den unfassbaren Ehrgeiz und Lerneifer von Elvis vor Augen. Dieser Junge, nach technischen Maßstäben eigentlich bloß ein Amateur, hatte fast nichts außer seinem Willen und seiner Botschaft. Doch diese Botschaft wollte er unbedingt kommunizieren – und die Botschaft war er selbst.
Schon als kleiner Junge lernte Elvis hunderte Songtexte auswendig. Auch in den Jahren des Aufstiegs zeigte er „an appetite for change and self-improvement that seemed to know no experiental bounds. Not that the boy would ever be mistaken for an intellectual – and he was far too jittery to be called introspective. But he soaked up influences like litmus paper, he was open to new people and new ideas and new experiences in a way that defied social stereotype.”
Sein Hunger nach Erfolg und Anerkennung führte auch dazu, dass Elvis sich von Anfang an den Regeln des Business anpasste und das Spiel seines Managers Colonel Parker mehr als bereitwillig mitspielte. Elvis hatte kein Problem damit, bloß als Trend zu gelten – auch, weil er ahnte, wie mächtig die Bewegung in Wirklichkeit war, die sich Rock’N’Roll nannte und an deren Spitze er stand. Elvis “could dream of success beyond the scope of his knowledge or experience”, hat Guralnick ganz richtig erkannt.
Auf einer Meta-Ebene macht Last Train To Memphis somit auch klar: In diesen Jahren wurde die Jugend erfunden, als Zielgruppe, als Gesellschaftsschicht und als Gegenbewegung zum Establishment. Elvis war die Verkörperung dieses Aufruhrs, der viel mehr war als bloß hormonelle Wallung – auch wenn Last Train To Memphis ebenfalls sehr anschaulich macht, wie groß die sexuelle Kraft war, die Elvis entfachte. “He’s just a great big beautiful hunk of forbidden fruit”, zitiert Guralnick einen weiblichen Fan (und macht aus diesem Bild der Begierde auch gleich eine Kapitelüberschrift).
Im Rückblick erklärt das zumindest in Teilen das Ausmaß der Entrüstung, der sich Elvis ausgesetzt sah. “It seemed as if all the pent-up forces of puritanism and repression had been uleashed simultaneously to discover in rock’n’roll the principal source of America’s growing moral decadence and the world’s ills”, fasst Guralnick die Empörung zusammen, und liefert auch einige schockierende Beispiele wie die Kritik von Ben Gross in den Daily News nach einem TV-Auftritt von Elvis: „Elvis, who rotates his pelvis, was apalling musically. Also, he gave an exhibition that was suggestive and vulgar, tinged with the kind of animalism that should be confined to dives and bordellos.“
Seine Extravaganz, seine Aggressivität und Sexualität, sein Witz und seine Bereitschaft zum Opportunismus waren dabei nicht nur Ausprägung eines enormen Ehrgeizes, sondern auch einer tief sitzenden Unsicherheit. Elvis wollte gefallen, er wollte dazugehören – und das konnte er erst, als er ein Star war. Vorher war er immer ein Außenseiter. Statt zu den coolen Jungs zu gehören, fühlte er sich beim schwachen Geschlecht zuhause. “He likes the company of women, he loves to be around women, women of all ages, he feels more comfortable with them. (…) The women seem to sense something coming out of him, something he himself may not even know he possesses: it is an aching kind of vulnerability, an unspecified yearning. (…) To the women he is a nice boy, a kind boy, someone both thoughtful and attentive, someone who truly cares.”
Besonders deutlich wird das in der Beziehung zu seiner Mutter Gladys, die hier herzerweichend erzählt wird. Der Tod seiner Mutter führt auch zum zentralsten Zitat von Last Train To Memphis, das gleichsam eine Brücke zum zweiten Teil dieser Biographie ist: Als ihn eine Jugendliebe nach der Trauerfeier für die Mutter tröstet, rät sie ihm, einfach auszusteigen und seine Karriere an den Nagel zu hängen. Doch Elvis sieht sich außerstande dazu. „It’s too late for that. There are too many people. There are too many people that depend on me. I’m too obligated. I’m in too far to get out.”
Beste Stelle: “He sang all the time. Sometimes it seemed he’d rather sing than breathe.”
Wer nicht zwei Bände lesen will: Eine Kurzversion der Lebensgeschichte von Elvis Presley als Video:
httpv://www.youtube.com/watch?v=xI7xvh07Jmc
Na, hier scheint ja jemand schwer begeistert von der Biografie Guralnicks. Leider ist die sehr gut geschriebene Biografie sehr polarisierend, was den frühen und den späten Elvis angeht, eine Einschätzung, die inzwischen nicht zuletzt durch Musikhistoriker widerlegt ist. Aber der Mythos des Genies, dass sich selbst zerstört, verkauft sich eben gut… auch in Guralnicks Verpackung.