Autor | Phil Collins | |
Titel | Da kommt noch was. Die Autobiographie | |
Originaltitel | Not Dead Yet | |
Verlag | Heyne | |
Erscheinungsjahr | 2016 | |
Bewertung |
Ach Mensch, Phil Collins. Man hätte davon ausgehen können, dass ein Musiker, der sowohl als Solokünstler als auch mit Genesis jeweils über 100 Millionen Tonträger verkauft hat, der drei Mal verheiratet war und sich dreimal hat scheiden lassen, und der zu den engeren Bekannten beispielsweise von Eric Clapton, Sting, Lady Di oder The Who gehörte, in seiner Autobiographie etwas Interessantes zu berichten hat. Man hätte Phil Collins, der beispielsweise im Video zu I Can’t Dance oder mit wiederholten Statements zu seiner (für einen Popstar eher mangelhaften) Optik immerhin einen Hauch von Selbstironie bewiesen hat, vielleicht sogar zugetraut, dass er ein witziges, zumindest kurzweiliges Buch vorlegt. Oder eine Abrechnung mit allen, die ihn nie haben wollten.
Aber leider ist Da kommt noch was allenfalls krude. „Dieses Buch zeigt meine Sicht der Dinge. (…) Ich werde keine alten Rechnungen begleichen, aber einiges richtigstellen“, kündigt der 65-Jährige zu Beginn an. Was dann folgt, soll wohl humorvoll, ironisch und cool sein. Es wirkt aber eher verkrampft, biestig und selbstgerecht. Man braucht nicht viel Gehässigkeit, um zu attestieren: Das Buch von Phil Collins ist genauso aalglatt, langweilig und überflüssig wie seine Musik.
Schon im Titel steckt der Minderwertigkeitskomplex, der weite Teile von Da kommt noch was prägt. Trotz der weitgehend chronologischen Erzählweise wirkt die Autobiographie ungeordnet, es gibt auf diesen 528 Seiten etliche Gedankensprünge und offensichtlich beträchtliche Schwierigkeiten, Belangloses von Relevantem zu trennen. Das bisschen Witz, das womöglich in diesem Buch steckt, geht auch noch durch die lieblose Übersetzung (Henning Dedekind und Heike Schlatterer) verloren, auch das ausnehmend schlechte Lektorat ist ärgerlich.
Erschreckend ist neben dieser Mentalität und den handwerklichen Mängeln vor allem, wie wenig Neuigkeitswert diese Autobiographie hat. Für Leser, die Phil Collins einfach nur als relevantes Phänomen aus mindestens vier Jahrzehnten Pop halten, gibt es kaum Erhellendes. Für Fans, die seinen Werdegang schon länger intensiver begleiten, dürfte die Lektüre noch weniger erquicklich sein. Spektakuläre Enthüllungen oder wenigstens amüsante Anekdoten muss man mit der Lupe suchen: Phil Collins wurde demnach einst von seiner Plattenfirma gezwungen, einen Pornofilm zu schauen. Genesis standen angeblich kurz vor der Auflösung, als er – auf eine Anzeige im Melody Maker hin – als Schlagzeuger bei ihnen einstieg. Der junge Phil Collins hat als pubertierender Schauspielschüler im Beatles-Film A Hard Day’s Night mitgespielt, wurde aber rausgeschnitten. Das gleiche Schicksal widerfuhr ihm, als er als 19-Jähriger spontan die Percussions auf einem Track von George Harrisons All Things Must Pass beisteuerte. Und er wäre womöglich fast der Nachfolger von Keith Moon bei The Who geworden.
Der Rest des Buchs ist ein sehr durchschaubarer Versuch, sich das eigene Leben und die eigenen Fehler schönzureden. Das ist im besten Fall langweilig, etwa wenn Collins seine Kindheit in London („in gewisser Weise ein Idyll“) nacherzählt oder von der lebenslangen Liebe zu seinem Instrument schwärmt („Ich kehre immer wieder in die warme Vertrautheit des Schlagzeughockers zurück. Er ist meine erste Liebe, der Sitz meiner ganzen Macht.“). Im schlimmsten Fall wird es haarsträubend, beispielsweise wenn er betont, er schere sich „kaum um Chart-Erfolge oder Verkaufszahlen“ – nur ein paar Seiten, nachdem er geschildert hat, wie er sich mit Genesis den Kopf darüber zerbrochen hat, wie man mehr Airplay im US-Radio bekommen kann und welche Maßnahmen die Band ergreifen sollte, um „die tertiären Märkte in Amerika zu erschließen“.
Das ist bei weitem nicht die einzige Stelle, an der die Betrachtungsweisen so sehr verdreht werden, dass diese Lebensgeschichte einem Selbstbetrug gleichkommt. „Ich habe in den Prog-Kriegen gekämpft, die überdrehten, taumeligen Siebziger überlebt und eine weiße Weste behalten. Ich habe jung geheiratet und wollte verheiratet bleiben, nur um betrogen zu werden. Jetzt bin ich glücklich verheiratet, werde aber erneut betrogen – diesmal allerdings von den Gefühlen, die ich immer noch für jemanden hege, der in meinen prägenden Jahren eine Schlüsselrolle spielte“, schreibt Phil Collins etwa über den Moment, als seine zweite Ehe in die Brüche geht. Dass seine erste Ehe womöglich (durch das Fremdgehen seiner Frau) scheiterte, weil er seiner Musikerkarriere stets den Vorrang vor dem Privat- und Familienleben einräumte, und dass es bei der zweiten Ehe er selbst war, der sich einen Seitensprung mit einer Jugendliebe erlaubte – das sind die Fakten dahinter. Doch statt Fehler einzuräumen, stellt sich Collins lieber als Opfer dar.
Es ist diese Eigenschaft, die ihn hier so unsympathisch erscheinen lässt. Er behauptet, nicht gut Entscheidungen treffen zu können und in Diskussionen schnell einzuknicken. „Mr. Unsicher“ ist ein Spitzname, den er sich an einer Stelle des Buches selbst verpasst. Er streitet so auch jede Form der Verantwortung ab. Seine oft als banal kritisierten Texte? Entstehen „sehr spontan“. Die Tatsache, dass er bei Genesis vom Trommler zum Frontmann wurde? War eine Notlösung, gegen die er sich dann auch selbst nicht mehr wehren konnte. Die gescheiterten Ehen? Sind den vermaledeiten Mechanismen des Musikgeschäfts geschuldet. Selbst wenn er im volltrunkenen Zustand während einer Phase von lebensbedrohlichem Alkoholismus stürzt, dann liegt es nicht am Ausmaß seines Alkoholkonsums, sondern an der Kombination des Alkohols mit Medikamenten, die er zum Wohle seiner Stimme nehmen muss. Hätten ihn die Ärzte damals nicht gerettet, wäre er zum Märtyrer für seine Fans geworden, denn er hat immer größere Torturen auf sich genommen, um für sie live spielen zu können, lautet die Logik dahinter. Keineswegs hat er einfach die selbst verschuldete Leere in seinem Leben auf verantwortungslose Weise im Suff ertränkt.
Dass bei ihm also sogar seine Drogensucht uncool wirkt, liegt nicht daran, dass er (schöne) Schnulzen wie Groovy Kind Of Love oder Against All Odds gesungen und jahrzehntelang Musik für Hausfrauen gemacht hat, die sich eben nur schwer mit einem Rock’N’Roll-Image vereinbaren lässt. Es liegt daran, dass er selbst dabei noch Ausflüchte sucht: „Ich brauchte bis zum Alter von 55 Jahren, um Alkoholiker zu werden. Ich schaffte es durch die aufregenden Sechziger, die LSD-geschwängerten Siebziger, die erfolgreichen Achtziger, die emotionalen Neunziger. Ich war im Ruhestand, zufrieden, und dann fiel ich. Weil ich plötzlich zu viel Zeit hatte.“
Immer wieder ist es fast erschütternd, wie egozentrisch der Rückblick auf das eigene Leben hier ausfällt. Nur einmal weicht er davon ab. Collins, der für 2017 sein Bühnen-Comeback angekündigt hat, berichtet dabei über die Gründe für seinen selbstgewählten Rückzug aus dem Musikgeschäft zu Beginn des neuen Jahrtausends. „Inzwischen hasse ich ‚Phil Collins’, meinen Doppelgänger, der da draußen war, auftrat, Applaus bekam und (zunehmend) scharfe Kritik einsteckte. ‚Phil Collins’ ist mit Ärger, Erwartungen, Verpflichtungen und Unterstellungen konfrontiert, einer Last, die er ständig mit sich herumschleppen muss. Er hat Familien zerstört, Partner und weit entfernt lebende Kinder verbittert. Ich sehe nicht aus wie dieser Typ. Ich will dieser Typ nicht sein. Ich habe genug von mir.“
Es ist ein seltener Moment in diesem Buch, in dem so etwas wie Ehrlichkeit, sogar Reue erkennbar wird. Angesichts der restlichen Seiten fällt es nicht schwer, den Selbsthass, der in dieser Aussage steckt, nachzuvollziehen: Phil Collins kommt in seiner Autobiographie rüber wie ein unreifer, beschränkter und larmoyanter Trottel.
Bestes Zitat: „Was macht es also, wenn mich Brett Easton Ellis’ Figur Patrick Bateman aus American Psycho als Verkörperung all dessen betrachtet, was die Musik dieser knalligen, oberflächlichen Zeit ausmachte? Er ist ein Psychopath.“