Rachel Kushner – „Flammenwerfer“

Autor Rachel Kushner

Kunst in New York, Revolte in Italien - das sind die Schauplätze von "Flammenwerfer".
Kunst in New York, Revolte in Italien – das sind die Schauplätze von „Flammenwerfer“.
Titel Flammenwerfer
Originaltitel The Flamethrowers
Verlag Rowohlt
Erscheinungsjahr 2013
Bewertung

„Es war nur ein Motorrad, aber es fühlte sich an wie eine Daseinsform.“ Diese Erkenntnis hat die Ich-Erzählerin in Flammenwerfer, als sie durch New York rast, mit reichlich PS unterm Hintern und gehüllt in eine enge Lederkluft. Das Verschmelzen mit der Maschine, die Herrschaft über die Technik, die Hingabe an die Geschwindigkeit erklärt eine Menge, wenn man den zweiten Roman von Rachel Kushner und die leidenschaftlichen Reaktionen, die er in den USA ausgelöst hat, verstehen will.

Die Handlung beginnt 1975, die namenlose Ich-Erzählerin (die von ihren Freunden später nach ihrem Heimatort „Reno“ genannt wird) hat gerade ihr Kunststudium abgeschlossen und kommt in New York an. Sie ist fasziniert von all den kreativen, exzentrischen, glamourösen Menschen, aber einsam in der neuen Stadt. Bis sie sich in den etliche Jahre älteren Sandro Valera verliebt. Er ist ein gefeierter Konzeptkünstler – und seiner Familie in Italien gehört die Firma, die Renos heiß geliebtes Motorrad gebaut hat.

Von Anfang an ist es keine Beziehung auf Augenhöhe: Sandro ist erfahren, erfolgreich, wohlhabend – und vor allem entschlossen, diese Liebesbeziehung nicht halb so ernst zu nehmen wie Reno, die sich ihm mit Haut und Haaren verschreibt: „Er hatte eine Art, über den Anfang unserer Liebe zu reden, als hätten wir eine Wahl gehabt. Vielleicht war das einfach ein Unterschied zwischen uns. Ich empfand Liebe nicht als etwas, wofür ich mich frei entscheiden konnte. ‚Ich glaube, ich werde diese oder jene Person lieben.’ Wenn es kein Imperativ war, war es keine Liebe“, bekennt sie an einer Stelle.

Spätestens, als Reno mit Sandro dessen Familie in einer luxuriösen Villa am Comer See besucht, treten diese Spannungen immer offener zutage. Die krummen Geschäfte und düsteren Machenschaften, mit denen Sandros Familie steinreich und mächtig geworden ist, werden in Flammenwerfer auf einer 1917 beginnenden zweiten Zeitebene erzählt, und der Heimatbesuch führt Sandro vor Augen, dass er diese Herkunft nicht länger im fernen New York ausblenden kann, sondern sich zu ihr positionieren muss. Als er in Italien ankommt, proben dort die Roten Brigaden den Aufstand und setzen der Firma Valera mächtig zu. Sandro kokettiert mit kommunistischen Ideen, hegt aber eigentlich keine großen Sympathien für die Revolte. Zugleich schämt er sich für den Reichtum seiner Familie und spürt wenig Loyalität ihr gegenüber – so gerät er zwischen die Fronten, mitsamt Reno. Als es zum Eklat kommt, landet sie schließlich im Untergrund in einer Kommune in Rom und ist drauf und dran, zur Komplizin von Entführungen, Sabotage und Attentaten zu werden.

Vor allem diese zwei Facetten von Reno haben dazu beigetragen, dass Flammenwerfer 2013 bei Erscheinen in den USA so viel Begeisterung ausgelöst hat, aber auch Irritationen. Sie ist eine Heldin auf einem Motorrad, die Geschwindigkeitsrekorde auf den großen Salzseen aufstellt und im bewaffneten Widerstand landet. Aber sie ist auch eine Liebende, die Sandro beinahe treudoof folgt und darauf hofft, er könne ihr Halt im Leben verschaffen. Auch in ihrer Kunst hantiert Reno mit Werkzeugen (Foto- und Filmkameras), kämpft darum, sich als Individuum sichtbar zu machen, zugleich aber auch darum, von Sandro und seinen Freunden anerkannt zu werden: „Beim Erschaffen von Kunst ging es im Grunde um das Problem der Seele, ihren Verlust. Es war eine Technik, um in der Welt zu leben. Um sich nicht in ihr aufzulösen“, hat sie erkannt.

Ist das nicht chauvinistisch?, lautete eine der von Kritikern viel diskutierten Fragen. Oder ist Reno eine moderne, unabhängige, Frau? „Ich habe den Eindruck, Kushner kommt von einem Ort, wo jungen Frauen niemals vorgeschrieben wurde, was sie sein durften oder nicht“, hat Jonathan Franzen vielleicht die beste Antwort darauf gefunden.

Bestätigt wird das vom Ton, den Rachel Kushner, die 1968 geboren wurde und übrigens selbst eine Vorliebe für schnelle Motorräder hegt, in Flammenwerfer anschlägt. Ihre Erzählerin berichtet abgeklärt, weise, wie aus dem Abstand von Jahrzehnten. Zugleich ist alles so impulsiv, leuchtend und waidwund, als liege es gerade erst ein paar Stunden zurück. Reno ist begeisterungsfähig, für Motorräder, für Männer, für Geschwindigkeit, für Ideologien – aber sie stürzt sich nicht blindlings in diese Begeisterung, sondern nutzt sie als Treibstoff für Analysen.

Formal ist das Buch dabei beinahe gewöhnlich. Innerhalb der Zeitebenen wird chronologisch erzählt, auch sonst spart sich Flammenwerfer die postmodernen Tricks, die ein mit so viel Lorbeer versehener Roman heutzutage üblicherweise braucht. Aber auch ohne derlei Extravaganzen ist man schon nach wenigen Seiten gefesselt von diesem Sound und ahnt, dass dies das Werk eines großen Geistes ist. Diese Ahnung wird dann zur Gewissheit, und mit jeder Seite wächst die Gewissheit (und die Größe des Geistes) weiter. Ganz viel Leben steckt in diesem Roman, es ist ein Buch unter Vollgas.

Joshua Ferris sieht in Flammenwerfer „das Beste, was die zeitgenössische Literatur zu bieten hat, ein absolutes Meisterwerk.“, der Guardian fand den Roman „so gut, dass einem angst und bange wird“. Ebenso wie Kushners Debüt Telex From Cuba (2008) war Flammenwerfer ein Finalist für den National Book Award. Man kann sich solchem Lobpreis nur anschließen: Es gibt viele grandiose Metaphern, vor allem aber ein faszinierendes Ensemble. Alle Figuren, nicht nur die aus der schillernden Künstlerszene von New York, sind unwiderstehlich interessant. Sie scheinen ein Geheimnis in sich zu tragen, genug Tiefe zu haben, um sie zu Hauptfiguren zu machen, auch wenn sie nur flüchtige Begegnungen mit Reno (und dem Leser) haben. Vielleicht ist das die größte Leistung dieses Romans: Die Erkenntnis, dass auch Hausmeister in einem Motel, Mechaniker an einer Rennstrecke oder Straßenräuber in den New Yorker Nächten dramatische, wertvolle, leidenschaftliche Leben führen.

Bestes Zitat: „Das Verlangen nach Liebe ist universell, was aber noch nie ein Grund war, es zu achten. Dass wir Liebe brauchen, ist nicht bewundernswert, es ist nur einfach so.“

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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